Trat sie als Dame auf? Lag es an meinem Pumucklkopf? Ich hatte die größte Lust, ihn umzufärben. Oder das Rot rauswachsen zu lassen. Die Originalfarbe war zwar auch rot, aber nicht so penetrant, eher mahagonifarben. Aber dann würde ich Praetorius die Show verderben. Nach den Feiertagen also? Andererseits hatte er es eigentlich verdient, dass man ihm die Show verdarb...
Nein, wenn ich mich jetzt als beleidigte Leberwurst präsentierte, bekam ich nie einen besseren Job. Welchen besseren Job auch? Den einzig möglichen hatte Dietlinde, und wenn sie in Pension ging, war ich vierundsechzig. Schauriger Gedanke... graue Haare, Stützstrümpfe, eine Katze – und immer noch Sachbearbeiterin. Ob ich von meiner Rente überhaupt leben konnte? Müssten meine erfolgreichen Geschwister mich durchfüttern? Die würden sich schön bedanken, Gundula würde mir von der Ameise und der Grille erzählen und Achim würde schallend lachen.
Übelnehmen konnte ich es den beiden nicht; ich war nach dem letzten versauten Schein mehr als Notlösung bei Union Securé reingerutscht und hängen geblieben, das war nun auch schon ... sechs Jahre her. Und immer noch auf dem gleichen Platz! Anfangs hatte ich meine Kommilitonen verachtet, die immer noch kellnerten, bei MacDonalds Pommes brieten – und entsprechend rochen – oder auf dem Marktplatz Passanten mit Umfragen belästigten. Ich hatte einen festen Job! Mittlerweile waren meine Kommilitonen Anwälte, Rechtsberater von Firmen und sogar Richter – und ich? Ich hatte immer noch einen festen Job. Und sonst nichts. Vielleicht wäre es noch spannender, sich in ein Vorzimmer zu bewerben, da war die Arbeit sicher weniger monoton. Aber so ganz ohne Kollegen? Chefs saßen ja gerne hinter verschlossener Tür, und wann kam schon mal jemand vorbei, außer dem Büroboten? Außerdem hatte ich kein so glückliches Händchen mit Kaffeemaschinen, und soweit ich wusste, war Kaffeekochen wesentlicher Bestandteil der Stellenbeschreibung.
Frust auf der ganzen Linie! Ich reagierte mich ab, indem ich die Wohnung auf
Hochglanz polierte und sogar die Fenster putzte, was in einer regnerischen Nacht besonders sinnvoll war: Ich konnte nicht sehen, ob ich den Dreck nur verschmiert hatte, dafür sah ich mehr als deutlich, dass die Rahmen dringend mal wieder gestrichen werden mussten – auch innen, was ich leider selbst finanzieren musste.
Als ich auch noch alles gewaschen und aufgehängt hatte, kam ich mir zwar sehr tugendhaft vor, aber immer noch schlecht behandelt, ja, verkannt. Meine Fähigkeiten wurden nicht anerkannt! Welche Fähigkeiten hatte ich denn? Ich konnte geringwertige Schadensfälle bearbeiten – das konnte auch ein Schimpanse, wenn man ihn einarbeitete. Und sonst? Das Übliche – Abitur, zwei Fremdsprachen (nicht wirklich flüssig), Computerkenntnisse, Führerschein – und ein paar unübliche Dinge: Autos reparieren, Plätzchen backen, Frechheiten von mir geben... Ich konnte ganz gut organisieren, fand ich, aber das wusste außer mir niemand, ich bekam ja nie Gelegenheit, mich zu profilieren.
Damit war Praetorius entlastet – ich hatte mich als allgemein unfähig präsentiert, also warum hätte er mir einen besseren Job geben sollen? Ich konnte nicht einmal anständigen Kaffee kochen, jedenfalls nicht mit den Büromaschinen. Vielleicht sollte ich mir wirklich einen anderen Job suchen. Nach Weihnachten würde ich mal die Stellenanzeigen studieren – und wahrscheinlich wieder in einer Versicherung landen, und wieder in der Schadenssachbearbeitung.
Ich gab auf und warf mich mit der Fernbedienung aufs Sofa. Längeres Herumzappen förderte zwei Serienkrimis zutage, bei denen ich schon den Anfang verpasst hatte, einen amerikanischen Teeniefilm ( To Have Sex or Not To Have Sex , das Übliche), eine ziemlich blutrünstige Geschichte um einen Killerroboter, einen esoterischen Film um eine seltene Orchidee (aha, arte ), eine verlogene Reportage darüber, wie oft als Nikolaus verkleidete Studenten es mit ihren Auftraggeberinnen trieben ( RTL 2 ) und einen Bericht über Weihnachtsbräuche in der Innerschweiz, im Originalton. ( 3Sat ). Ich verstand kein Wort. Auf TV 5 gab es eine in sprudelndem Französisch geführte Debatte über die Zukunft Europas – o Gott, nein.
Nun tat ich mir noch mehr Leid – nicht einmal Ablenkung war mir vergönnt! Und zu lesen hatte ich auch nichts, weil ich vergessen hatte, mir etwas auszuleihen. Sollte ich zum Bahnhof-? Trivialliteratur, ein paar Zeitschriften, diese edlen, teuren Chips mit Kräutergeschmack? Nein, ich konnte morgen auch ganz normal einkaufen, und jetzt noch mit dem Bus zum Bahnhof, wirklich nicht.
Und wenn ich mich richtig rundum pflegen würde? Pediküre, enthaaren, Maske, Haarkur? Tolle Idee!
Mein einziger Nagellack war eingetrocknet, die Haarkur war leer, und ich hatte nur noch einen ziemlich stumpfen Rasierer und keine Creme mehr. Morgen... ich könnte mir eine Einkaufsliste schreiben!
Mit diesem armseligen Amüsement verbrachte ich eine Viertelstunde, dann schaltete ich den Fernseher entschlossen aus und schnappte mir meine Jacke. Ging ich eben spazieren! Draußen hatte es begonnen zu schneien. Der Schnee blieb zwar nicht liegen, aber gegen den Nachthimmel sahen die Flocken, von den Straßenlaternen diffus beleuchtet, doch sehr romantisch aus. Meine Laune hob sich gleich etwas, obwohl es recht kalt war.
Ich lief eine Stunde durch die eintönigen Straßen und versuchte, die kalte Luft und die Schneeflocken zu genießen und nicht daran zu denken, dass ich keine Beförderung verdiente und mich an Weihnachten wahrscheinlich grauenvoll blamieren würde.
Danach hatte ich wenigstens die nötige Bettschwere.
Nach einem stressigen Samstag (Einkaufsschlacht und mäßig erfolgreiche Schönheitskur: Jetzt hatte ich Schnittwunden am Schienbein, schiefe Fußnägel und von der Kur klatschige Haare) stand ich am Sonntagmittag bei meinen Eltern auf der Matte. Dort herrschte wilde Hektik, weil sie schon dabei waren, viel zu viel Gepäck ins Auto zu quetschen. Meine Geschenke wurden mit Dankesworten und resignierten Seufzern entgegen genommen – die mussten ja auch noch transportiert werden!
Ich half ihnen ein bisschen, nahm enttäuscht zur Kenntnis, dass es kein bisschen nach Essen roch und die Küche blitzsauber war, schielte nach meinen Geschenken, die nirgendwo zu sehen waren, und flachste mit Achim herum, der fluchend den Skiträger montierte. Gundula studierte die Karte und versuchte, eine staufreie Route zu finden.
Ich hatte nachgerade das Gefühl, nur im Weg zu stehen, und verdrückte mich nach einer Anstandsfrist wieder; Achim sollte den anderen frohes Fest, gute Fahrt und Ski Heil wünschen. Achim winkte mir nach, als ich wegfuhr, aber ich kam nur bis zur nächsten Ecke, dann hielt ich, weil ich vor Tränen nichts mehr sah. Keine Beförderung, keine Zukunft – und meine Familie amüsierte sich prächtig ohne mich! Ich hatte sie heute nur irritiert. Und an Geschenke für mich hatte offenbar auch keiner gedacht. Keiner hatte mich lieb.
Meine Familie hatte mich total vergessen, Dietlinde säße bald im Glaskasten, meilenweit über mir, Hannah und Cora amüsierten sich sicher wunderbar und verschwendeten keinen Gedanken an mich, und Praetorius brauchte mich auch nur, um seine Eltern zu schockieren. War ich denn so unvorzeigbar?
Offensichtlich – ich musste ja nicht einmal eine Rolle spielen, nur ganz normal sein, dann war ich offenbar schon erschreckend genug. Wirklich ein schönes Kompliment! Gut, ich würde mein Bestes tun, bei den Idioten in Rothenwald. Und dann würde ich mir einen anderen Job suchen – und wenn es als Hilfstippse wäre! – und mich bei niemandem mehr melden, bis sie angekrochen kämen! Genau, jetzt waren die anderen mal dran!
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