„Das meine ich doch – das ist doch die Arbeit!“
Seine Augen verengten sich leicht. Jaja, der Rauch! Sollte er es eben aufgeben, wäre eh gesünder. „Was wollen Sie denn wissen?“
„Zunächst mal, was Sie eigentlich mit dieser Aktion genau anstreben."
„Zielbeschreibung?“
„Richtig.“
Praetorius überlegte. „Ich möchte, dass meine Eltern erkennen, dass mein Geschmack in punkto Frauen nicht ihrem eigenen entspricht.“
„Und welchen Geschmack möchten Sie präsentieren? Ich meine, wie soll ich auftreten?“
Er kräuselte einen Mundwinkel. „So wie Sie sind. Frech, rothaarig, in Jeans.“
„Ist das nicht stark übertrieben?“
„Warum?“
„Naja – ich denke mal... Sie kommen ja recht chefmäßig daher...“
„Danke“, war der trockene Kommentar. „Weiter?“
„Dann gehe ich davon aus, dass Ihre Eltern sozusagen was Besseres sind – oder sich dafür halten. Und Ihnen eine – also, eine Dame, was immer das ist, zugedacht haben. Bin ich da nicht ein zu starker Kontrast?“
„Warum denn? Sie sind nur ein bisschen flotter und deutlich intelligenter als die beiden Kandidatinnen, die meinen Eltern vorschweben. Sie haben Recht, die sind wirklich Society-Zicken, aber Sie kommen ja nun auch nicht gerade aus dem Slum, oder?“
„Na, Selling ist nicht gerade eine schöne Gegend.“
„Ich weiß, ich hab während des Studiums auch mal hier gewohnt. Ich fand es eigentlich ganz gemütlich. Ein bisschen spießig vielleicht, aber mir hat es ganz gut gefallen. Und die Miete war niedrig.“
Ach? Wie demokratisch... „Was machen Ihre Eltern?“
„Mein Vater ist Unternehmensberater, und meine Mutter spielt die Dame des Hauses. Meine Eltern leben in Rothenwald, kennen Sie das?“
„Ein paar Kilometer hinter Leiching, oder? An der Bundesstraße? Als nächstes kommt dann Unterfreiharting, glaube ich.“
„Sehr gut. Genau dort. Und meine Mutter glaubt, sie sei gleichsam die Herrin über den Ort, die Spitze der Gesellschaft. Sie würde es nie zugeben, weil es ja auch völlig lächerlich ist, aber sie bildet es sich insgeheim eben doch ein.“
„Und Sie wollen sie desavouieren?“
„Ach nein, den Leuten in Rothenwald kann sie ja vorspielen, was sie will. Sie soll nur verstehen, dass ich keine Lust habe, ihr bei ihrer Imagekampagne als Werkzeug zu dienen. Königliche Eheabsprachen und so – nicht mit mir!“
„Eins verstehe ich nicht: Warum sagen Sie ihr das nicht einfach?“
Praetorius schnaubte. „Glauben Sie, das habe ich noch nicht versucht? Sie ist dermaßen taub auf diesem Ohr, das ist schon gar nicht mehr wahr.“
„Aber kann sie Ihnen denn etwas? Ich meine, ich weiß nicht, wie alt Sie sind, aber volljährig doch auf jeden Fall -“
„Einunddreißig.“
„- und Sie haben einen recht anständigen Job. Wie kann sie Sie denn zwingen?“
„Zwingen kann sie mich nicht. Nur höllisch nerven.“
„Und warum fahren Sie dann hin? Ich kenne jede Menge Leute, die Weihnachten nicht zu ihren Eltern fahren. Oder nur ganz kurz und dann ins Ratlos gehen oder eine Alternativfete machen. Hängen Sie so an Ihrem Vater oder Ihren Brüdern?“
„Woher wissen Sie – ach so, das hab ich ja schon erzählt. Nein, es gibt ohnehin immer nur Streit. Meine Brüder sind dauernd verzankt, und wer in die Schusslinie gerät, ist verloren. Und man gerät unweigerlich in die Schusslinie. Meinem Vater ist alles egal, außer dass er mich unbedingt als Nachfolger sehen will, wozu ich keine Lust habe -“
„Sie sind der Älteste?“
„Ach wo, der mittlere Sohn. Albert ist der älteste, aber mein Vater ist mit ihm nicht zufrieden, keine Ahnung, warum. Und Wenzel ist ein kleiner Idiot.“
„Noch ein Kind?“
„Nicht direkt, er ist achtundzwanzig. Und dann gibt´s noch Tante Amalie, eine Tante meiner Mutter. Amalie von Hauenfeld, Mutters ganzer Stolz – damit hält sie sich nämlich für adelig. Amalie ist ein boshaftes altes Luder, aber manchmal ganz erheiternd – wenn sie gerade auf jemand anderem herumhackt.“
„Puh – da freut man sich ja wirklich auf besinnliche Festtage. Und wie erklären Sie Ihrer Familie, warum dann aus unserer Beziehung nichts wird?“
„Bitte?“
„Na, haben Sie geglaubt, ich komme zu jedem Familienfest mit und wir täuschen auch noch eine Hochzeit vor?“
Er sah mich wie vom Donner gerührt an. Ich sprach gleich weiter: „Obwohl – ich kenne einen, der kann herrlich Priester spielen, das macht er im Fasching immer... und später dann ein Sofakissen unters Sweatshirt – und ein Baby kann man sich sicher ausleihen. Hatten Sie sich das so vorgestellt?“
Er lachte schallend. „So weit hatte ich noch gar nicht gedacht. Ich fürchte, Sie haben Recht, da brauche ich noch eine Lösung. Aber die Sache mit dem Sofakissen und dem Leihbaby hat etwas.“
Die weitere Diskussion wurde vom Essen unterbrochen, das mehr oder weniger lauwarm und zu schwach gewürzt auf den Tisch kam. Immerhin konnte man es essen, das war mehr, als man von unserem Kantinenfraß sagen konnte. „Dass der Speiseplan ab Januar grundlegend geändert wird, hab ich Ihnen schon erzählt, oder?“
Ich nickte kauend und schluckte hastig herunter. „Ja, und das finde ich sehr gut. Prompte Reaktion.“
„Wir haben zu wenige Leute, die Missstände nach oben weiter geben. Viele Mitarbeiter meckern nur vor sich hin und beschweren sich nicht offiziell – und wir können nicht ändern, wovon wir gar nichts wissen.“
„Richten Sie einen Kummerkasten ein. Die Zettel Marke Sowieso telefoniert privat und arbeitet nichts können Sie ja immer noch wegschmeißen.“
„Gute Idee. Und die Arbeitsverteilung zwischen Privat I und II kann so auch nicht bleiben, das nehme ich mir nach Weihnachten vor.“
„Ihren Drachen könnten Sie auch mal umerziehen – oder wollen Sie so fanatisch abgeschirmt werden?“
„Großer Gott, nein! Macht sie sich so mausig?“
„Gewaltig. Man glaubt wirklich, man habe um eine Audienz beim Papst angesucht.“ Praetorius grinste wieder und sah dabei Jahre jünger aus. „Passt doch, oder?“ Ich musste auch lachen und hoffte, dass mir kein Brokkoli an den Zähnen klebte.
„Wie haben Sie sich jetzt den Ablauf vorgestellt?“
„Nun, wir fahren am Dienstagmittag hinaus, Mutter wird Sie frostig begrüßen, sich aber zusammenreißen, weil sie ja eine Dame von Welt sein will. Sollte sie eine der beiden Wunschschwiegertöchter eingeladen haben, muss sie sie wieder ausladen. Ist doch peinlich, wenn ich schon eine Freundin mitbringe, oder? Wir Buben schmücken unter viel Gezänk den Baum, es gibt reichlich zu essen, eine etwas verkniffene Bescherung, spitze Bemerkungen von Tante Amalie, eine kalte Nacht, das Haus ist schwer heizbar, Spaziergänge im Schnee -“
Ich gab einen höhnischen Laut von mir. „Haben Sie schon mal Weihnachten im Schnee erlebt? Regen, meinten Sie wohl!“
„Nein, im Schnee. Dieses Jahr wird es schneien. Und ich kann mich erinnern, als ich in der ersten Klasse war, konnte ich meinen neuen Schlitten am ersten Feiertag ausprobieren, also gab es – Moment – 1977 weiße Weihnachten.“
„Tolle Leistung. Jaja, das Langzeitgedächtnis hält sich ja immer am besten.“
„Genau diesen Ton, bitte! Meine Eltern können schlecht protestieren, aber im Stillen werden sie verzweifelt sein und wissen, dass sie mich keiner Frau von Rang mehr anbieten können. Hoffe ich wenigstens.“
„Und wenn sie echt sauer werden? Sie zum Beispiel enterben?“
„Schön wär´s! Ich pfeife auf das unheizbare Haus und die blöde Unternehmensberatung, aber das machen die nie! Und wenn, müsste man ihnen ja bloß mit der öffentlichen Meinung in Rothenwald drohen. Wo waren wir stehen geblieben – ach ja. Spaziergänge im Schnee, wieder viel zu essen, kleinere Wortgefechte – und am ersten Feiertag abends wird mich jemand anrufen, dass es einen Notfall in der Firma gibt, so bleibt uns eine zweite kalte Nacht erspart.“
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