Er zuckte die Achseln. „Unter uns Brüdern haben wir die Schenkerei irgendwann eingestellt, meine Eltern – tja. Wertpapiere und so. Tante Amalie verteilt ausgewählte Stücke aus ihrem ererbten Silber. Das inspiriert mich nicht. Was bekommen Sie?“
„Das weiß ich doch noch nicht“, entgegnete ich empört. „Mein Bruder kriegt Oldtimermodelle, mein Vater etwas für seine Modelleisenbahn, mein Großvater eine Flasche Williamine – das hat er am liebsten. Haben Sie denn keine Hobbys? Notfalls ein erfundenes?“
„Hm – ich lese viel, aber Bücher? Von der Freundin?“
„Warum nicht? Gesammelte Werke in einer Prachtausgabe?“
„Okay, einen kompletten Tucholsky. Den hasst Mama, sie findet ihn zersetzend.“
„Hoppla – ist sie so drauf?“
„Wie drauf?“
„Na, so braun?“
„Nein, stockschwarz. Aber Sie wissen doch, Soldaten sind Mörder – und mein Urgroßvater war Feldmarschall oder was ähnlich Nutzloses. Und überhaupt, ich glaube, sie hätte gerne wieder einen Kaiser, dann könnte sie so lange taktieren, bis sie bei Hof empfangen wird.“
„Sie sollte eine bayerische Monarchistenpartei gründen, dann hätte sie es nicht so weit bis nach Hofe. Sie mögen Ihre Mutter nicht sehr, oder?“
„Nein. Merkt man das?“
„Och – ein ganz kleines bisschen, wenn man sehr genau hinhört.“ Ich sah ihn ernsthaft an, und dann mussten wir beide lachen.
Schließlich wurde er wieder ernst. „Sie haben wunderschöne Augen.“
„Ja? Soll ich mich an Weihnachten irgendwie besonders schminken?“ Ich griff wieder nach meinem Kugelschreiber.
„Wie Sie wollen. Das hatte jetzt gar nichts mit unserem Projekt zu tun.“
„Ach so. Gut, Geschenke sind erledigt – nein! Soll ich etwas mitbringen, Blumen, Christstern oder so was?“
„Nicht nötig.“
„Wirklich nicht? Um diese Zeit taucht man doch nirgendwo ohne eine Kleinigkeit unter dem Arm auf!“
„Bei uns schon.“ Ich merkte mir im Stillen Plätzchen vor. „Mir fällt ein, ich sollte lieber doch nicht nach Häuslichkeit lechzen, sonst muss ich beichten, dass ich nicht besonders kochen kann. Kann ich nicht einfach woanders arbeiten? Andere Abteilungen, ein paar Stufen höher, vielleicht so wie Gundler?“
„Klar. Niemand in Rothenwald interessiert sich für die Interna der Union Securé, also können wir denen alles erzählen.“
Ich schüttelte innerlich den Kopf. Ich fand alles spannend, was Achim aus seiner Firma zu berichten hatte, und Gundulas Schulgeschichten wären lustig gewesen, wenn sie nicht immer so weitschweifig und mit gelehrten Anmerkungen gespickt erzählt hätte. Was ich in der Versicherung erlebte, wurde ebenfalls mit Interesse angehört und nur etwa jedes dritte Mal mit „Willst du dir nicht mal einen anständigen Job suchen?“ quittiert.
Was hatte Praetorius nur für eine schaurige Familie? Immerhin hatten wir jetzt alles in etwa geregelt und tauschten sicherheitshalber noch unsere E-Mail-Adressen aus, um weitere Absprachen so erledigen zu können. Andernfalls hätte seinen Drachen sicher der Schlag getroffen. Und hier musste ich auch nicht noch einmal essen. Wir vereinbarten, dass er am Dienstag gegen elf bei mir klingeln würde, falls keine Änderungen mehr nötig würden, und ich winkte schon mal der Kellnerin.
„Lassen Sie, schließlich tun Sie mir ja einen gewaltigen Gefallen!“
„Danke schön“, fügte ich mich artig. So hoch war die Rechnung Gott sei Dank ohnehin nicht. Ich wusste nicht, was Leiter der Abteilung bei uns verdienten, aber dafür musste es noch reichen.
„Darf ich Sie nach Hause fahren?“
Hui, schon wieder so artig? „Nicht nötig“, antwortete ich hastig, „ich wohne fast direkt um die Ecke, und durch die Höfe ist es viel kürzer als über die Straßen, da müsste man dann außen herum fahren. Ich laufe schnell, das tut mir nach diesem Essen auch ganz gut.“
„Sie müssen doch nun wirklich keine Angst haben, zu dick zu werden!“
„Hab ich auch nicht. Aber eine gute Idee – ich kann die Diätbesessene spielen: Soll ich?“
„Nein!!“
„Warum so böse?“
„Ich bin nicht böse, aber warum fassen Sie denn jedes Wort von mir als Rollenvorschlag auf?“
„Weil wir ein Theaterstück planen – da ist das doch logisch!“
Er seufzte. „Ich geb´s auf. Gut, laufen Sie. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.“
„Danke gleichfalls“, antwortete ich wohl erzogen und schlüpfte in meinen Mantel. Dass Männer aber auch nie bei der Sache bleiben konnten! Und uns sagten sie dann, wir seien unlogisch, ärgerte ich mich, während ich unter Teppichklopfstangen und Kinderrutschen durchschlüpfte und unseren Hintereingang anpeilte.
Warum machte er immerzu Bemerkungen, die gar nichts mit dem Projekt zu tun hatten? Dass ich hübsche Augen hatte und ziemlich dünn war, wusste ich auch so, aber das war in diesem Fall doch irrelevant. Ich sollte mich ganz normal geben – sehr hilfreich! Ganz normal war ganz belanglos, damit konnte er seine Eltern jedenfalls nicht das Fürchten lehren.
Was brauchte ich denn? Etwas für die Fahrt, dort konnte ich mich ja wohl umziehen. Fahrt – ganz alltäglich, Jeans, Sweatshirt, Daunenjacke. Meinetwegen ein schönes Sweatshirt und ordentliche Jeans. Vielleicht grauer Cord und das graue Shirt mit dem bestickten Kragen. Heiligabend – das anthrazitfarbene Wollkleid, darüber leuchteten meine Haare auch besonders hübsch. Passende Strumpfhosen plus Reserve, schwarze Lackpumps. Nachtzeug – äh. Sittsam, scharf, schlampig? Im Klartext: Sleepshirt mit ordinärer Aufschrift, weiße Spitze oder Satinschlafanzug in Blau? Sicherheitshalber alles? Dann ging der Koffer nicht mehr zu. Und für drüber brauchte ich auch noch was. Den Schlafanzug, entschied ich und suchte nach dem Hausschlüssel, der sah am unangreifbarsten aus. Praetorius würde noch dumm schauen – wenn wir Pech hatten, hielten die Eltern mich für die ideale Schwiegertochter und nervten unter anderen Vorzeichen nahtlos weiter!
Und den Kimono, der war zwar doof, aber auch aus Satin. Und ebenfalls blau, wenn auch gemustert. Wo hatte ich den eigentlich? Hoffentlich hatte ich ihn nicht in einem Wutanfall in die Altkleidersammlung gegeben, weil er so fürchterlich knitterte! Oder immer noch im Koffer, seit dem Sommer? Hm... vielleicht lag er auch ganz, ganz unten in der Wäschetonne.
Für den ersten Feiertag – Hosen und Pullover Marke Spaziergang im Schnee. Praetorius war verrückt, es schneite garantiert nicht. Oder noch mal ein Kleid? Bei uns gab es mittags Gans in festlicher Kleidung – und dort? Okay, ein zweites Kleid, das silbergraue mit dem schwarzen Spitzenkragen.
Ich stellte fest, dass ich eine Garderobe besaß, als hätte ich mich seit Jahren auf diesen Event vorbereitet. Das verdankte ich Alex, der mich genötigt hatte, mir mehrere Theateroutfits anzuschaffen. Kein Kleid war besonders aktuell, aber das merkte man wohl nicht – ich jedenfalls hätte nicht sagen können, was man in dieser Saison nun Besonderes trug. Die Berichte von den Modeschauen, die ab und an nach den Nachrichten kamen, zeigten ja immer das Gleiche, zaundürre Mädels mit Chiffon über dem nackten Busen. Wer ging denn so zu einem Familienfest? Obwohl, der Gedanke... Nein, so hatte Praetorius das Ganze nicht bestellt, und ich sollte mich doch lieber an die Anweisungen halten.
Die Kleider waren auf jeden Fall noch brauchbar und ich hatte sie auch erst in der Reinigung gehabt. Strumpfhosen, hell- und dunkelgrau, mit Glitzer oder ohne? Sowohl als auch. Kosmetika, ein Buch – nein, zwei. Ein seichtes und ein hochgeistiges, je nachdem, womit ich mehr Effekt erzielen konnte. Im Krebsgang und – und genau, Im Taumel der Leidenschaft . Das hatte mal jemand bei mir vergessen – wer eigentlich? Egal, jetzt konnte es mal was arbeiten. Vielleicht noch eine Einführung in die Versicherungsmathematik? Klasse, aber das holte ich mir aus der Bibliothek, dafür schmiss ich kein Geld raus, ich würde es ja doch nie kapieren. Duschgel, Shampoo, Deo und den übrigen Kram, Schminkzeug... Sollte ich mich richtig gut schminken oder ein bisschen zuviel des Guten tun? Gerade einen Hauch, so, dass es nur so pingeligen Frauen wie Mutter Praetorius auffallen konnte? Ach, ich würde mich an seinen Befehl halten, und der lautete wie immer und ganz normal .
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