Hanrek lächelte Miria an und schloss sie liebevoll und vorsichtig in seine Arme. Einen Moment genossen die beiden die Umarmung, dann führte Hanrek seine schwerfällige Frau vorsichtig die Treppe hinunter und hinaus ins Freie. Er wollte prüfen, wie es dem ungeborenen Leben im Bauch seiner Frau ging und nach einem kurzen Moment sagte er zufrieden.
„Ja, du hast recht. Es kommt und es geht ihm gut.“
Sie lächelten sich glücklich an. Unterdessen schaute Franzisko neugierig zu seinen Eltern hinauf. Geistesabwesend streichelten ihm Miria und Hanrek über seine braunen Locken.
Hanrek hatte die Gabe , eine außergewöhnliche Fähigkeit, die ihm ermöglichte, zu erspüren, wie es den Lebewesen in seiner Umgebung ging. Genau das hatte er gerade bei Miria getan, und er hatte gespürt, dass die Geburt unmittelbar bevorstand.
Der Steinboden im Haus verhinderte aber, dass Hanrek die Gabe fließen lassen konnte. Flüsterer so nannten die Drachenkrieger aus dem Norden die Menschen, die über diesen zusätzlichen Wahrnehmungssinn verfügten. Auf Stein war er jedoch selbst bei einem so starken Flüsterer , wie Hanrek einer war, völlig nutzlos.
Nachdem Hanrek jetzt beruhigt war, führte er Miria vorsichtig wieder die Treppen hinauf in die Schlafkammer und danach gab es für ihn kein Halten mehr. Er drehte sich um und stürmte die Holztreppe wieder hinunter. Es gab viel zu tun.
***
Bis die Hebamme kam, hatte Hanrek sich die Hände sauber geschrubbt, er hatte Wasser auf dem Ofen erhitzt und die feinen weißen Leinentücher bereitgelegt.
„Hm.“ brummte die Hebamme Leria zufrieden, als sie sah, dass bereits alles vorbereitet war. Finella, Hanreks Tochter und die Zwillingsschwester von Franzisko hing ihr am Rockzipfel. Sie lief nun zu ihrem Vater hinüber und Hanrek nahm sie auf den Arm.
„Gut gemacht, Finella.“, lobte er sie und zur Hebamme gewandt, „Ich gehe mit den Kindern hinaus, bleibe aber in Hörweite, falls ich gebraucht werde. Es müsste eine problemlose Geburt werden, der Kopf des Jungen ist nicht sehr groß und er liegt in der richtigen Position.“
Der Kopf der Hebamme zuckte hoch und sie starrte ihn verdattert an. In barschem Ton antwortete sie ihm.
„Wohl ein Hellseher, was?“
Dann brummte sie schimpfend und hörbar vor sich hin von überklugen Männern, die taten, als wären sie Hebammen. Und dann zornig wieder zu Hanrek gewandt sagte sie.
„Wir werden sehen, was es für ein Kind wird. Wenn es ein Mädchen wird, ist es auch in Ordnung und hoffen wir, dass es diesmal eine einfachere Geburt wird. Ich glaube nicht, dass es diesmal wieder Zwillinge werden.“
Hanrek wusste, dass es keine Zwillinge waren, aber er hielt sich zurück. Die Hebamme wusste nichts von seiner Gabe und dabei wollte es Hanrek belassen. Stattdessen schnappte er sich Finella und Franzisko und ging mit ihnen hinaus und weiter zum Nachbarhaus, in dem Dresson sein treuer Freund wohnte.
Das Warten zehrte an Hanreks Nerven. Nervös ging er in Dressons Haus auf und ab, während Dresson liebevoll mit Finella und Franzisko spielte. Hoffentlich ging alles gut. Die Geburt der Zwillinge war schwer gewesen und eine furchtbare Tortur für Miria. Auch jetzt hörte man sie immer wieder schreien. Hanrek wollte nicht hinhören, denn jeder Schrei tat ihm körperlich weh, doch stattdessen spitzt er die Ohren, um den einen leisen erlösenden Schrei hören zu können. Und dann endlich kam der dünne Protestschrei eines neugeborenen Kindes aus seinem Haus. Die Geburt seines Sohnes war gelungen und sein Freund Dresson war der erste der vielen Gratulanten, die ihn überschwänglich beglückwünschten.
...
Die junge Dame, die vor der Tür nervös hin und her ging, war ungewöhnlich gut gekleidet. Das dunkelblaue Seidenkleid, das sie trug, war extra für sie geschneidert worden und hatte ein Vermögen gekostet. Die dazu passenden weichen Schuhe hatten exakt die gleiche Farbe. Die junge Dame war aber nicht nur gut gekleidet, sie sah auch sehr gut aus. Ihre langen blonden Haare fielen ihr in Locken über die Schulter und sie rahmten ihr leicht gebräuntes makelloses Gesicht ein. Ihre blauen Augen leuchteten daraus hervor wie Edelsteine in einem kostbaren Ring. Und da sie außer ihrer Schönheit auch noch sehr aufgeweckt und intelligent war, war sie für jeden jungen Mann im Königreich die begehrteste Partie, die man sich vorstellen konnte.
Aber all das würde Pilroos nicht vor dem Zorn ihres Vaters schützen, der immer dann über sie herein brach, wenn sie wieder einmal etwas angestellt hatte. Und sie hatte etwas angestellt.
Das blaue Kleid war ein Geschenk ihres Vaters gewesen und sie hatte es extra für das bevorstehende Gespräch angezogen, da sie festgestellt hatte, dass ihr Vater nachsichtiger mit ihr war, wenn sie gut gekleidet war.
Am Abend vorher war sie nicht so gut angezogen gewesen. Pilroos war in unscheinbarer Arbeiterkleidung, ihr auffälliges Haar unter einer Mütze versteckt aus der Burg in die Stadt geschlichen. Sie hatte einfach raus gemusst. Sie kam sich oft so eingesperrt vor. Seit man sie vor fast acht Jahren entführt hatte, gab es für ihren Vater fast nur ein einziges Ziel. Er wollte seine Tochter nicht noch einmal verlieren und daher war alles darauf ausgerichtet, Pilroos zu schützen und zu behüten. Es schnürte ihr die Luft ab.
Pilroos ging weiter auf und ab und wartete darauf, dass sie in das Amtszimmer ihres Vaters gerufen wurde. Ihre weichen Schuhe machten dabei auf dem schönen Holzboden fast keine Geräusche. Sie musste sich langsam eine Taktik ausdenken, um ihrem Vater den Wind aus den Segeln zu nehmen. Vielleicht sollte sie in Tränen ausbrechen und ihm versprechen, dass sie es nie wieder tun würde, aber ob er ihr das glauben würde. Sie war nicht so gut im Lügen.
Sie könnte ihm aber auch von dem schönen cremefarbenen Stoff erzählen, den sie gestern Abend auf dem Markt gesehen hatte. Vielleicht würde ihr Vater sich ablenken lassen, wenn sie ihm beschreiben würde, was man daraus für ein schönes Kleid machen könnte. Aber es war ihr gestern Abend nicht um einen schönen Stoff gegangen, deshalb war sie nicht ausgebüxt. Im Gegenteil, Pilroos wollte endlich einmal dem geordneten bequemen Leben in der Burg mit seinen schönen Kleidern und dem ganzen Zeremoniell entkommen. Sie hatte eine Fleischrolle aus der Hand gegessen und Wasser direkt aus dem Brunnen getrunken. Sie hatte endlich einmal eine Gelegenheit gehabt unter normale Menschen zu kommen, statt behütet wie eine Prinzessin in der Burg zu sitzen. In den Straßen von Kiroloom wurde niemand verhätschelt. Wenn man nicht aufpasste, dann geriet man schnell unter die Räder eines Ochsenkarrens, und auf seine Geldbörse musste man auch sorgfältig aufpassen.
Nein, von dem cremefarbenen Stoff würde sie nicht anfangen. Eine andere Möglichkeit wäre über die Behandlung von Malte zu jammern. Er hatte sie gestern, nachdem er sie in der Schenke gefunden hatte nicht gerade zart behandelt. Ihr Arm schmerzte ihr immer noch von seinem harten Griff. Aber wahrscheinlich würden sie dann beide Ärger bekommen, sie fürs Ausreißen und Malte für sein rohes ungehobeltes Verhalten.
Pilroos seufzte. Am besten würde sie einfach ertragen, was immer der Zorn ihres Vaters auch für sie bedeuten würde.
Bei ihrer Wanderung vor der Tür des Amtszimmers beobachtete Malte Pilroos aufmerksam. Seine Augen folgten ihr bei jedem Schritt und seine Augen blickten nicht freundlich. Sein Blick war nervtötend. Pilroos hatte den Verdacht, dass er sie bewachte, damit sie sich nicht davon stahl.
„Schönes Kleid.“
Pilroos drehte sich zu dem ihr zugewiesenen Beschützer um. Malte war nur etwas größer als sie, dafür war er um so breiter und muskulöser und er hatte einen riesigen Brustkorb. Pilroos verglich ihn gerne mit den Hunden, die die Wächter der Burg gerne für ihre Rundgänge benutzten. Diese Hunde waren eher klein aber sehr breit gebaut und außerdem hatten sie ein eingedrücktes Gesicht. Auch das war eine Gemeinsamkeit, die die Hunde mit Malte hatten. Nur das Sabbern der Hunde passte nicht zu Malte, denn im Allgemeinen hatte er sehr gute Manieren. Er war jetzt das erste Mal aus der Rolle gefallen, seit sie ihn kannte. Seit gestern Abend war er jedoch rücksichtslos und respektlos zu ihr. Wahrscheinlich hatte sie mit ihrer Flucht aus der Burg nicht nur ihren Vater getroffen.
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