Ich saugte jedes Wort auf wie ein Schwamm und guckte gierig auf Egons Lippen.
„Hm..., einmal hat sie mir freundlich zugenickt. Sie hat schon eine faszinierende Ausstrahlung“, geriet Egon ins Schwärmen.
„Weißt du denn nicht, wie sie heißt, Egon, oder könntest du es vielleicht irgendwie herausbekommen?“
„Na, du machst mir Spaß.“
„Ich, als alter Mann, soll herausfinden, wo ein solch junges Ding herkommt? Du arbeitest doch bestimmt nicht mehr um diese Zeit oder? Dann könntest du dich doch selber dort hinsetzen und sie ansprechen.“
Ein genialer Einfall.
„Ist sie immer um die gleiche Zeit da.“
„Ich sagte dir doch, nicht immer. Manchmal ja und manchmal nein. Du musst schon ein bisschen Geduld haben. Denn die Dinge fügen sich immer dann zusammen, wenn die richtige Zeit gekommen ist.“
Das konnte ich nicht nachvollziehen. Gerade das hatte ich nicht. Zeit. Dann hätte ich ja alle Geduld der Welt. Die hatte ich ebenfalls nicht. In meinem Kopf rauschte es, wie an einem Wasserfall. Ich bedankte mich. Nun wusste ich wenigstens, dass Mira nach den Aussagen von Egon wahrscheinlich doch existierte. Grübelnd setzte ich mich wieder zu Marita, die meine ausgebrannte Zigarette samt Aschenbecher schon abgeräumt hatte.
„Ich dachte, du hättest die Zeche geprellt“, sagte sie lachend.
„Ich bekomme noch einen Cappuccino“, rief ich Marita zu, die am Nebentisch mit einer jungen Frau abrechnete.
„Ich danke Ihnen für den Tee und wünsche noch einen guten Tag“, hörte ich eine helle Stimme. Ich drehte mich um und sah gerade noch, wie ein hellgrauer Popeline-Mantel aus der Tür verschwand und in Richtung Dorf-Kirche lief.
Ehe ich diese Situation richtig einschätzen konnte, spürte ich in mir hunderte, nein tausende Nadeln, die man nicht mehr als ein normales Schmetterlingsgefühl einordnen konnte. Sie musste es sein! Diese Stimme! Ich sprang von meinem Stuhl wieder auf, rannte so schnell ich konnte über den Marktplatz, guckte in jede erdenkliche Richtung, aber sie war und blieb verschwunden. Die Kirche. Sie ist in der Kirche. Pech, die Kirchentüre war verschlossen. Enttäuscht hastete ich wieder zum Café zurück.
„Marita!“ rief ich pustend.
„Mein Gott, Wulf, wo brennt‘s denn?“
„Ist die öfters hier?“
„Wen meinst du denn?“
„Das Mädchen, das du gerade bedient hast. Das Mädchen mit dem langen Mantel“, rief ich ungeduldig.
„Ab und zu mal ist sie hier und...
„Was trinkt sie immer? Kaffee, Tee oder was?“, unterbrach ich Marita hektisch.
„Na ja, eigentlich immer nur diesen Kräutertee. Aber warum willst du das wissen, Wulf?“
„Das erkläre ich dir später, Marita.“
„Zeige mir bitte mal die Tee-Sorte. Es ist ganz wichtig für mich.“
Marita holte irritiert den für mich wertvollsten Kräutertee, den es bis zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben gegeben hatte, und guckte mich dabei ungläubig an. Sie griff in die Dose und holte mir ein solches Tütchen heraus.
„Hier, das ist er. Dieser wird selten verlangt“.
„Kann ich mir solch ein Tütchen mitnehmen?“
„Ja, klar, Wulf, aber ich bekomme wenigstens den Capo bezahlt.“ Ich legte ein Scheinchen auf den Tellerrand, verabschiedete mich von Marita und machte mich auf den Heimweg. Nein, ich ging noch eben in das Reformhaus und kaufte sechs Packungen seltenen Kräutertee.
Zuhause sank ich in mein Sofa und genoss das neu erworbene Getränk aus meiner schönsten Teetasse, die noch aus den Scherben vom Umzug übrig geblieben waren. Während ich den Tee genüsslich in mich aufnahm und mir vorstellte, wie ich in Miras Armen dahinschmolz, machte sich mein Körper selbstständig und begab sich von Waldfrucht und Blütenzeugduft, so langsam in die Waagerechte. Gott sei Dank hatte das Mädchen keinen Blasen und Nierentee getrunken.
Dichte Nebelschwaden zogen durch meinen Geist und ich schläferte in die interessantesten Gebiete, die es damals für mich auf dieser Erde zu geben schien.
Träumend fand ich mich in einem weiblichen Schoß wieder und schaute hoch zu wohlgeformten Busen, die mich lustvoll anlachten. Mich hatte die schiere, nackte Leidenschaft gepackt, und wollüstige Schauer rieselten wieder einmal über meinen Rücken. Hände streichelten sanft über meinen Körper und ich hörte meinen eigenen Atem. Spielerisch nahm das Weib meine Finger zwischen ihre Zähne. Gab sie behutsam wieder frei und wir schmolzen hingebungsvoll dahin. Nach der erotischen Handschrift zu urteilen, musste es Mira sein. Ich versuchte ihr Gesicht zu entdecken, sah aber nur ein helles Licht.
„Wir haben alle Zeit der Welt“, sagte diese mir bekannte Stimme und küsste meinen Körper sanft von oben abwärts, in den für mich glücklichsten Himmel. Ich genoss ihren Geruch an jeder Körperstelle. Ich spürte ihre heiße Haut an der meinen. Sie benahm sich wie eine kleine Wildkatze und ich erwiderte ihre weiblich, verspielten Fähigkeiten.
Dann raffte ich alle Kraft zusammen und hielt sie fest um ihr Gesicht zu sehen. Es war Mira. Als ich sie anschaute, verblassten ihre schönen Gesichtszüge und sie sah müde und beträchtlich älter aus.
„Mira, bist du es?“
„Ja, ich bin es! Warum verfolgst du mich? Ich habe dir doch gesagt, wir werden uns wiedersehen, wenn die Zeit gekommen ist. Du musst noch ein wenig Geduld haben und an uns glauben. Ich muss wieder zurück. Wir sehen uns.“
Dann war sie verschwunden. Oh Gott, du warst es. Aber du bist älter, als ich erwartet habe. Deine Gesichtszüge sind mir so vertraut. Du siehst für mich trotz allem wunderschön aus.
Plötzlich spürte ich eisige Kälte und ein blaugrüner Dunst umgab mich.
„Liebst du sie?“ keifte eine schrille Stimme hinter mir.
Es war Tatjana.
„Wie kommst du denn hierher?“ fragte ich erschrocken.
Schlitzäugig sah sie mich an und fragte mich bissig im gleichen Atemzug:
„Ich will wissen, ob du sie liebst?“
Ich wollte mich verteidigen, aber ich war in meinem Traum zu schwach dazu. Tatjana umklammerte mich mit ihren Armen so fest, dass ich fast keine Luft mehr bekam.
„Lass mich los!“, schrie ich.
„Du wirst keine andere mehr lieben können“, fauchte sie mich an und verwandelte sich augenblicklich in eine abscheuliche Grimasse. Laut schrie ich um Hilfe, aber mich schien in diesem Traum niemand zu hören.
Wild gestikulierend wachte ich auf. Langsam versuchte ich mich zu fangen in dem ich erst einmal tief durchatmete. Der absolute Wahnsinn!
Ich hatte Mira auf jeden Fall wiedergesehen. Mit Erfolg.
Nachmittag.
Die Zeit verlief viel zu schnell und ich wollte doch noch den Rest meiner Werkzeuge und Möbel aus Düsseldorf holen. Mein älterer Bruder Frederik hatte sich gütigst angeboten, mir diesen Gefallen zu übernehmen, da er das größere Auto von uns beiden hatte. Obendrein musste ich einem beinahe, zustande gekommenen Mietvertrag absagen. Ich griff zum Telefonhörer und rief meinen Bruder an.
„Hallo, Fredrik! Ich bin dabei, hier in der Nähe ein Lager zu suchen. Da spare ich jeden etliche Kilometer.
„Du hast wohl gesoffen?“ kam es wissend durch den Hörer.
„Nö, ich habe nur ein bisschen gedöst“, wehrte ich mich.
„Liegst du mit ihr schon im Bett?“ drang es spöttisch an mein Ohr.
„Willst du Streit oder bist du sauer, weil ich mich länger nicht gemeldet habe?“
„Na gut“, klang es verständnisvoller. Wenn es soweit ist, gib mir Bescheid. Tschüss, bis später.“
Ich vermutete, dass er noch in einem Kundengespräch war. Anders konnte ich mir diese Kurzform von einem brüderlichen Telefongespräch nicht erklären. Wir hatten zwar nicht das beste Verhältnis, aber irgendwie hielten wir auf eine Art und Weise zusammen, wie es sich eigentlich für Geschwister gehörte. So hatte ich wenigstens noch Zeit, mir in Ruhe ein neues Arsenal für meine Maschinen und Werkzeuge zu suchen.
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