„Du hirnverbrannte Kuh, du! Jetzt reicht es mir langsam mit deiner Penetranz und Aufdringlichkeit!“, fauchte ich feucht mein Handy an.
„Wie bitte?!“, hörte ich eine geschockte männliche Stimme.
„Aber was habe ich dir denn getan?“
„Hallo..., wer ist denn da...?“
„Fred, nur der alte Fred.“
„Oh, entschuldige bitte, Fred, ich dachte, es wäre wieder sie.“
„Du liebe Güte, hast du ein Temperament am Leib“, sagte Fred fast beleidigt. „Ich wollte dich nur fragen, ob du Lust auf ein Bier hast. Ich sitze auf dem Marktplatz bei Olli.“
Und ob ich Lust hatte. Außerdem musste ich einfach mal wieder raus. Wie lange hatten wir uns in der gemütlichen Dorfkneipe „Bei Olli“ nicht mehr getroffen.
„Ja, ich komm Fred, bis gleich.“
Ich ließ alles stehen und liegen und machte mich auf den Weg.
Als ich dort ankam, stand schon mein Bier auf dem Tisch in unserer alten Lieblingsecke am Fenster.
„Wie geht es dir denn, Wulf?“
„Ganz gut Fred“, log ich.
Wir hoben die Gläser und stießen an.
„Bist du sie endlich los?“
„Wen meinst du?“
„Na, diese Kuh, mit der du mich eben betitelt hast.“
„Ja, ja, sie ist weg“, sagte ich gelangweilt.
„Du bist nicht bei der Sache, Wulf. Was ist los mit dir?“
Was verstehst du schon von den Gefühlen, die mich martern. Außerdem würdest du mich für bekloppt halten, wenn ich dir jetzt von Mira erzählen würde, lieber Alfredo.
„Sie wird mich nicht mehr belästigen.“
„Ihr wart einfach zu unterschiedlich, Wulf. Sei froh, dass du sie los bist.“
Ich guckte zum Fenster raus und sah die Abendsonne hinter den Häusern versinken. Wie romantisch.
„Komisch, du benimmst dich so, als wenn du in die dumme Kuh noch verknallt wärst“, stellte Fred fest.
Was sollte ich ihm erzählen? Dass ich mich in eine Traumfigur verliebt habe und es mich deshalb gepackt hatte? Unschuldig zog ich meine Augenbrauen hoch und zuckte mit den Schultern.
Fred ging zur Bar um zu telefonieren. Im gleichen Augenblick sah ich durch das Fenster draußen auf dem Marktplatz eine junge Frau an der Bushaltestelle stehen. Sie besaß eine frappierende Ähnlichkeit mit Mira. Wie benommen stolperte ich hinaus. Als ich aus der Tür kam, stieg sie gerade in einen Linienbus ein.
„Mira!“ rief ich lautstark über den Marktplatz und lief so schnell ich konnte dem Bus ein Stück hinterher. Was machte ich denn nur? Ich konnte doch nicht einer Traumerscheinung hinterherlaufen. Außerdem gab es vielleicht viele, die so aussehen wie sie. Nein, Mira gibt es nur einmal. Mein Traum hatte mir bestimmt etwas zu sagen. Sie ist für mich real. Das Medaillon, das Mira mir gegeben hatte, war der Beweis. Enttäuscht setzte ich mich einen Augenblick auf die Bank an der Haltestelle, an der sie eben noch gestanden hatte. Es gibt keine andere Frau, die Mira so ähnlich sein konnte. Außerdem darf es das auch gar nicht geben, sonst wäre ja alles tatsächlich nur ein Traum gewesen. Ich werde jetzt jeden Tag hier sitzen. Von morgens bis abends. Ich glaube einfach an sie. Ich ging zurück zu Fred.
„Was war das denn gerade?“, fragte Fred ein wenig spöttisch.
„Ich hatte gedacht, es war eine Bekannte.“
„Du bist mir so eigenartig geworden, Wulf.“
„Fred, wir sollten öfters mal wieder hier sitzen und zusammen quatschen“, sagte ich ablenkend.
„Klar, können wir machen. An mir lag es nicht, dass wir uns so lange nicht gesehen haben.
„Ich hole mir eben was zum Qualmen“, sagte ich nervös und schlenderte zum Zigarettenautomaten. Danach, ging ich noch ein paar Meter weiter zum Blumenstand. Die Frau, die ihn führte, hatte noch geöffnet und bot lauthals ihre letzten Blumen an.
„Junger Mann, auch ein paar letzte Stängel? Für nur die Hälfte. Deine Frau wird sich sicherlich mal über solch nette Blümken freuen!“
Bitte, Mira, die sind für dich. Ganz allein. In Liebe gekauft. Ich wusste, dass du doch noch kommen würdest.
Ich kaufte einen Strauß rosa Rosen und strahlte dabei übers ganze Gesicht.
„Hören Sie, junge Frau“, fragte ich freundlicher, denn.je.
„Ick bin janz Ohr, junger Mann“.
„Sie stehen hier doch jeden Tag und wissen doch, wer so kommt und geht, hier auf dem Platz. Bei Sonnenschein und bei Regen...“
„Warum quatschte denn so kompliziert“, unterbrach sie mich.
Frag doch gleich die alte Lore, wer sie war?“
Ich wurde tatsächlich verlegen. Und das noch in meinem Alter. Vielleicht benehme ich mich ja tatsächlich schon sehr auffällig?
„Ich habe dich gerade hinter dem Bus her hetzen sehen“, grinste Lore breit.
„Du bist ja ganz schön in sie verknallt, was?“
„Ja, kann man so sagen.“
„Na ja“, erbarmte Lore sich. „Ich meine sie zu kennen. Aber sie redet nicht viel. Sie ist immer schnell weg und keiner weiß, wo sie herkommt. Sie ist schön, nicht? Aber du weißt doch ihren Namen. Dann habt ihr euch doch schon mal getroffen?“ sagte sie skeptisch.
„Wir haben uns einige Zeit nicht mehr gesehen.“
„Also kuppeln tu ich nich. Dat sag ich dir gleich. Aber ich frag mal den Alten, der morgens die Papierkörbe leert. Dat is sowieso die Zeitung vom Dorf.“
Ich nahm die eingepackten Blumen, bedankte mich und ging zurück zu Fred.
„Sag ich doch, dass du verknallt bist“, flötete Fred mir entgegen, als er mich mit dem Blumenstrauß kommen sah und formte spitz seine Lippen zu einem spöttischen Pfeifen.
„Von wegen, wir wollen mal über alles reden. Du bist mir vielleicht einer.“
„Die sind für meine Schwester“, log ich.
„Klar, und mein Bier, das ich hier trinke, ist für meinen Bruder“, prustete Fred. Deshalb hast du auch lauter rote Rosen gekauft, was?“
Ich starrte irritiert in das halboffene Papier hinein und sah zu meinem Erstaunen, dass Lore die Blumen tatsächlich ausgetauscht hatte. Sie waren offensichtlich rot. Knallrot. Fand ich irgendwie rührend.
Bevor Fred noch mehr in triumphierende Gebärden ausbrach, entschuldigte ich meinen plötzlichen Aufbruch damit, dass ich noch woanders hinmüsste. Es zog mich nach Hause.
Ich nahm heute meine alte Abkürzung zu meiner Wohnung am Berg, die mich durch Buschwerk und über felsiges, steiles Steingeröll führte. Anschließend sah ich aus, wie nach einer Treibjagd, aber ich war schneller zu Hause, ohne dass die Nachbarn wieder mitbekamen, wann ich gekommen war.
Es gibt nichts Grausameres als einen Kater nach ein paar Stunden Schlaf und wenigen Bieren, die man eigentlich gar nicht getrunken hat. Kritisch begutachtete ich die fast leere Whiskyflasche, die mich ebenso fragend vom Tisch herüber beäugte wie ich sie. War es tatsächlich gestern, oder vor-, oder vor vor..., gestern! Natürlich war es gestern. Denn der Inhalt meines Glases war noch nicht getrocknet. Säufer. So nicht. Das geht auf keinen Fall. Ich muss mich am besagten Riemen reißen. Ich beschloss, wütend zu werden. Mit mir selbst. Das funktionierte auch nicht. Vielleicht sollte ich meditieren, um wieder zu Mira zu gelangen. Mir fielen die Zeilen von Vater wieder ein. Oh Gott, wie klangen diese Worte wirkungsvoll. Alles schien wieder so vertraut und sich perfekt in meinem Hirn aneinanderzufügen. Raus aus der Bude und ab in die frische Luft. Das isses.
Ich fühlte mich plötzlich frisch, jung und unverbraucht. Die Whiskyflasche landete gekonnt im Mülleimer. Den Aschenbecher stellte ich vor die Terrassentüre und mein Bettzeug faltete ich besonders ordentlich, denn man weiß nie, wer kommen kann. Die von meiner nächtlichen Klettertour etwas lädierten roten Rosen ordnete ich sorgfältig in eine Vase und stellte diese vor die Fensterecke. So wirkte alles urgemütlich. An der Wohnungstür überzeugte ich mich mit gezielten Blicken meiner Bilderbuchordnung und schritt leichtfüßig von dannen.
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