„Sicher“, rief er, „was berührt es uns, wenn die Entarr den Menschen in der Rhein oder der Nil Provinz das Leben schwer machen, liegen diese Provinzen doch am Rande des Imperiums. Ich bin sicher, wenn diese Leute sich an der Wahl zum Kaiser beteiligen dürften, sie würden für Veränderung stimmen, sie würden sich für mehr Sicherheit entscheiden und für eine stärkere Hand des Imperiums in ihrer Region, für eine schützende Hand.“ Smidt nickte verständnisvoll. „Wir hier auf den Zentralplaneten glauben, dass wir sicher sind, und vielleicht haben wir da auch recht. Vielleicht wird der Vormarsch der Entarr so lange dauern, dass wir schon lange verstorben sind, bevor sie auch über unsere wunderschönen Zentralplaneten herfallen. Ich kann das nur für uns alle hoffen. Aber wir dürfen nie vergessen, dass es da noch immer eine versteckte Gefahr gibt, Menschen, Menschen wie Sie und ich, die mit den Entarr gemeinsame Sache machen, aus Profitgier, die ihr Imperium, die uns verraten. Auch von diesen Menschen mag keine große Gefahr ausgehen, noch nicht, aber vielleicht werden gerade sie es sein, die den Vormarsch der Entarr in unser Territorium erleichtern und vielleicht sogar beschleunigen werden? Mit Sicherheit wird das so sein, wenn wir nichts unternehmen, nicht versuchen, herauszufinden, wer diese Menschen sind, die unerkannt unter uns leben. Sie wissen, was mein Gegner gegen sie unternimmt – und Sie wissen, was ich zu tun bereit bin, um mein Imperium, um unser Imperium gegen Gefahren von außen und von innen zu schützen. Ich wünschte, mehr von Ihnen würden sich für einen Weg in eine Zukunft entscheiden, die für jeden von uns mehr Sicherheit bietet-“
Ein Schuss fiel.
Smidt sah überrascht auf.
Dann blickte er auf seine Brust herunter.
Ein roter Fleck breitete sich langsam auf seinem weißen Hemd aus.
Er brach zusammen.
Die Ärzte brauchten mehrere Stunden im Operationssaal, bis sie sicher waren, dass er außer Lebensgefahr war. Das Geschoss hatte alle lebenswichtigen Organe verfehlt, aber der Schaden war trotzdem groß genug, um den Senator für einige Wochen ans Bett zu fesseln. Man versetzte ihn in ein künstliches Koma, während sich um ihn herum die Welt veränderte. Die Wahlen standen vor der Tür und man überlegte, ob man sie absagen sollte, aber Tanju Bounaventura, Smidts Wahlkampfleiterin, bestand darauf, dass sie durchgeführt wurden: „So hätte er das gewollt“, sagte sie. „Gerade in Zeiten wie diesen ist es wichtig, dass wir zeigen, dass wir uns nicht unterkriegen lassen. Gerade dieses Ereignis hat gezeigt, wie wichtig diese Wahl ist!“
Und sie sollte recht behalten. Die Wahlbeteiligung war so hoch wie noch nie seit Gründung des Imperiums. Während Senator Christos T. Smidt im künstlichen Koma lag, gaben Millionen von Bürgern ihre Stimme ab. Der Schütze war bislang nicht gefunden worden, aber man hatte seine Tatwaffe entdeckt. Es war ein Präzisionsgewehr. Und es stammte von den Entarr. Die Wahlbeteiligung stieg noch einmal an, als dies bekannt wurde. Es kam zu einem Erdrutsch – und Christos T. Smidt gewann die Wahl, während er noch immer im Koma lag. Er hatte das erreicht, was er immer erreichen wollte, er war der neue Kaiser – und wusste es noch nicht einmal.
„Was?“ brachte er mühsam heraus, als er aufwachte und in das strahlende Gesicht seiner Wahlkampfleiterin sah.
„Du hast es geschafft!“ flüsterte sie. „Du hast es geschafft!“
Ein Lächeln kletterte auf sein Gesicht, das gleich durch ihm nacheilende Schmerzen wieder heruntergezogen wurde.
„Ha!“ hauchte er nur, aber man konnte ihm die Befriedigung anmerken.
„Die Frage ist, nimmst du die Wahl an?“
Diesmal blieb ihm das Lächeln trotz der damit verbundenen Schmerzen im Gesicht.
Nur wenige Stunden später fand seine Vereidigung statt. Noch im Krankenhaus, in seinem Bett liegend. Der alte Kaiser trat zurück, Christos I. wurde neuer Kaiser des Imperiums. Als der Trubel abgeklungen, Würdenträger, Senatoren und Admiräle sein Krankenzimmer wieder verlassen hatten, lehnte sich Smidt in seinem Bett zurück und seufzte befriedigt.
„Herzlichen Glückwunsch“, lächelte Tanju, „du hast dein Ziel erreicht.“
„Ja“, murmelte der neue Kaiser, „wie ich es mir immer erträumt habe.“
„Das war wirklich gutes Timing.“
„Was meinst du?“
„Das Attentat. Ich weiß nicht, ob du das weißt, aber das hat dir wirklich geholfen. Ohne dieses Attentat glaube ich ehrlich gesagt nicht, dass man dich gewählt hätte. Aber es hat den Leuten die Augen geöffnet, es hat ihnen gezeigt, dass du recht hast und es hat ihnen bewiesen, dass du für das Imperium alles tun und dich sogar dafür opfern würdest.“
„Ja“, nickte er leise.
„Ich hoffe, du wirst etwas tun.“
„Deswegen wollte ich immer Kaiser werden.“
„Ich meine, gegen die Bedrohung.“
„Die was?“
„Die Bedrohung. Durch die Entarr. Und die Verräter, die sich ihnen angeschlossen haben. Ich meine, das Attentat auf dich beweist doch, dass…“
Er begann laut zu lachen.
„Was?“ fragte sie.
„Oh, ich denke, du musst dir keine Sorgen machen.“
Tanju sah ihn misstrauisch an.
„Warum?“
„Weil die ‚Bedrohung’ nicht existiert.“
„Aber der Attentäter…“
„War ein alter Schulfreund von mir.“ Der Kaiser lachte wieder. „Ich hab verdammt Glück, dass er so ein guter Schütze ist. Das hätte wirklich schief gehen können.“
„Du meinst, das Attentat…“
„Es hat verdammt weh getan“, stöhnte er, „also sag nicht, ich würde die ganze Sache zu leicht nehmen.“
„Und dein Freund?“
„Hat sich eine Waffe von den Entarr besorgt und ist anschließend abgehauen. Oh, ich hoffe wirklich, die haben meinen Wahlkampf nicht verfolgt, sonst könnte ich da wirklich ein paar Konflikte heraufbeschworen haben, die ich gerne vermeiden würde.“
Die Wahlkampfleiterin sah ihn noch immer fassungslos an.
„Ich glaube es einfach nicht“, murmelte sie.
„Früher nannte man das Hingabe.“
„Früher nannte man das illegal. Und unmoralisch. Und gefährlich !“
„Das ist es immer noch. Alle drei Dinge.“ Kaiser Christos I. hustete. „Aber es war ein voller Erfolg, oder? Zum ersten Mal hat die Bürger die Wahl wieder interessiert. Und habe ich nicht haushoch gewonnen?“
„Ja, das hast du.“
„Na also“, lachte er, „dann hat es seinen Sinn doch erfüllt.“ Er klatschte in die Hände. „Und jetzt werde ich es diesen Leuten zeigen. Ich werde der ganzen Galaxie beweisen, dass der Kaiser doch etwas verändern, dass er etwas bewirken kann. Dass es kein bedeutungsloses Amt ist…“ Er begann zu husten. „…und dass man…“ Sein Husten wurde stärker. Blut kam aus seinem Mund. Voller Panik rief Tanju die Ärzte. Drei Stunden lang operierten sie den frischgebackenen Kaiser, dann mussten sie zu ihrem Bedauern seinen Tod feststellen. Der Schütze war offensichtlich erfolgreicher gewesen, als sie angenommen hatten.
Um ihn in seinem Mut und seiner Aufopferung für das Imperium zu ehren, ließ man den gerade gewählten Kaiser im Amt, ohne einen neuen Kaiser zu bestimmen. Und er bewies all denen, die ihm stets widersprochen hatten, dass er recht gehabt hatte. Die Amtsperiode von Kaiser Christos I. sollte 52 Jahre lang andauern und in den Geschichtsbüchern sollte er als einer der erfolgreichsten, gütigsten, warmherzigsten, diplomatischsten und ehrlichsten Kaiser mit einer der friedlichsten Amtszeiten geführt werden, die das Imperium je erlebt hatte…
Wenn man über das Imperium spricht, wird immer wieder gesagt, dass es in ihm keine Religionen mehr gab, scheinbar, weil diese den Weg zu den Sternen nicht mitgemacht hatten, doch das entspricht nicht ganz der Wahrheit. Richtig ist, dass Religion im Imperium keine große Rolle mehr spielte, aber auch das war nicht von Anfang an so. Als man neue Welten besiedelte, spielte man mit dem Gedanken einer „Religionsfreiheit“, doch die Erfahrung auf der Erde hatte gezeigt, dass eine solche nicht ganz so frei und gut war, wie der Begriff es vermuten ließ. Genau genommen verleitete sie die Vertreter von Religion dazu, ihre Religion nicht nur auszuüben, sondern auch andere damit zu behelligen, was die Vertreter anderer Religionen wiederum dazu veranlasste, das gleiche zu tun. So wurde das, was als Freiheit gedacht war, schnell zur Unfreiheit, zum Zwang und zur Unterdrückung. Mit wenigen Ausnahmen hatte man die Erde verlassen, gerade weil man sich von Religionen trennen wollte, doch auch mit diesen Ausnahmen musste man irgendwie umgehen.
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