›Aber dieser Dr. Wilhelm‹, grübelte Doll dann wohl weiter, ›hat den Mut gehabt, zu tun, was ich zu tun nicht den Mut habe – obwohl ich Tag für Tag auch immer mehr verliere an Würde, Selbstachtung, Scham, Glauben und Hoffnung. Ich kann es nicht, und ich habe mir doch immer eingebildet, ein leidlich mutiger Mann zu sein. Aber er, der Feigling, hat es gekonnt. Er, der Feigling, den ich ins Gesicht schlug, er hat diesen Mut gehabt, und ich habe ihn nicht.‹
Mit solchen Gedanken ging Doll an diesem Hause vorbei, immer mit solchen quälenden Gedanken beschäftigt, denen er um jeden Preis entgehen wollte, und denen er doch nicht entging, er mochte hinsehen oder nicht. Dann suchte er sich das Zimmer vorzustellen, in dem dieser Mann die letzte Stunde seines Lebens verbracht hatte, in dem er „das“ getan hatte. Doll wußte, zuletzt hatte der alte Tierarzt fast nichts mehr besessen als Bett, Tisch und Stuhl, alles andere war für Alkohol dahingegangen. Er suchte sich den Mann vorzustellen auf diesem einzigen Stuhl, die Pistole lag auf dem Tisch vor ihm – waren vielleicht auch da Tränen über sein Gesicht gelaufen, hatte er vielleicht auch da „Oh –! Oh –! Oh –!“ geflennt –?!
Doll schüttelte den Kopf, er wollte sich dies nicht vorstellen, es quälte ihn zu sehr.
Eines stand jedenfalls fest: der Alte mit der Lederhaut ließ Doll zurück, leer, voller Selbstvorwürfe und Zweifel. So vieles Sichere war in diesen Tagen nun schon zweifelhaft geworden, und über dem alten Tierarzt verlor Doll nun auch noch seinen so alten Haß und den Glauben daran, dass er ein mutiger Mann sei. Wahrscheinlich war er gar nichts, ein ausgeblasenes Ei; er hatte sich mit Selbsttäuschungen gefüttert, und nun zerging alles! Nichts blieb mehr von Doll.
Wie gerne hätte er den Weg vorbei an diesem verschlossenen Hause überhaupt vermieden. Aber die Lage der auf einer Halbinsel gebauten Stadt zwang ihn immer wieder daran vorüber. Zwang ihn zu diesen quälerischen Gedanken. Erzwang von ihm das Geständnis, dass er nichts war, auch nie etwas gewesen war und in aller Zukunft, möge sie nun lang oder kurz sein, nichts sein würde als ein – Garnichts! Immer weiter ein Garnichts –!
Da war es schon am besten, man sagte zu der jungen Frau: „Gut, er ist tot. Wir wollen ihn vergessen. Wir wollen nie mehr von ihm sprechen!“
Es war eine Lüge. Nichts war gut, es konnte nichts vergessen werden. Aber was kam es denn heute noch auf eine Lüge an –?! Mochte die Frau ruhig denken, er haßte den alten Kerl immer noch so, wie er es vordem getan. Er konnte niemanden mehr hassen, aber lügen, das ging noch. Lügen paßte auch besser zu seiner Halbheit.
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