Hans Fallada - Der Trinker

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›Der Trinker‹ beschreibt den Abstieg eines Mannes, der dem Alkohol verfällt, angefangen beim ersten Glas Wein bis zur Einlieferung in eine Heilklinik. Erwin Sommer und seine Frau Magda sind ein kinderloses Ehepaar um die 40. Sie haben ein Landproduktengeschäft in einer norddeutschen Kleinstadt und eine prächtige Villa. Als Magda sich nach und nach aus dem Unternehmen zurückzieht, geht es bergab, wofür Erwin sie hasst. Er beginnt zu trinken, bricht in die eigene Villa ein, hebt das gesamte Geschäftsguthaben ab, das ihm anschließend entwendet wird. Als er vom Alkohol nicht mehr loskommt, wird er in eine Trinkerheilanstalt eingewiesen, wo er durch die Hölle geht. ›Der Trinker‹ ist Falladas persönlichstes Buch, basierend auf eigenen Erfahrungen.

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LUNATA

Der Trinker

Der Trinker

Roman

© 1944 Hans Fallada

© Lunata Berlin 2020

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

1

Strelitz, 6.9.44

Ich habe natürlich nicht immer getrunken, es ist sogar nicht sehr lange her, daß ich mit Trinken angefangen habe. Früher ekelte ich mich vor Alkohol; allenfalls trank ich mal ein Glas Bier; Wein schmeckte mir sauer, und der Geruch von Schnaps machte mich krank. Aber dann kam eine Zeit, da es mir schlecht zu gehen anfing. Meine Geschäfte liefen nicht so, wie sie sollten, und mit den Menschen hatte ich auch mancherlei Missgeschick. Ich bin immer ein weicher Mensch gewesen, ich brauchte die Sympathie und Anerkennung meiner Umwelt, wenn ich mir das auch nicht merken ließ und stets sehr selbstbewußt und sicher auftrat. Das Schlimmere war, daß ich das Gefühl bekam, auch meine Frau wende sich von mir ab. Es waren zuerst unmerkliche Zeichen, Dinge, die ein anderer ganz übersehen hätte. Zum Beispiel vergaß sie, mir bei einem Geburtstag in unserem Hause Kuchen anzubieten; ich esse zwar nie Kuchen, aber früher bot sie mir trotzdem stets welchen an. Und dann war einmal drei Tage lang ein Spinnweb in meinem Zimmer über dem Ofen. Ich ging alle Zimmer ab, aber in keinem gab es ein Spinnweb, nur in meinem. Ich wollte eigentlich abwarten, wie lange sie es so treiben würde mir zum Ärger, aber am vierten Tage hielt ich es nicht mehr aus und sagte es ihr. Darauf wurde das Spinnweb entfernt. Ich sagte es ihr natürlich ziemlich scharf. Ich wollte mir um keinen Preis merken lassen, wie sehr ich unter diesen Kränkungen und meiner Vereinsamung litt.

Aber es blieb nicht dabei. Bald kam die Sache mit dem Fußabtreter. An jenem Tage hatte ich Schwierigkeiten auf meiner Bank gehabt, zum ersten Male hatten sie mir eine Geldauszahlung verweigert; es hatte sich wohl herumgesprochen, daß ich Verluste erlitten hatte. Der Bankvorsteher, ein Herr Alf, tat sehr liebenswürdig, sprach von vorübergehenden Schwierigkeiten und erbot sich sogar, mit seiner Zentrale wegen eines Sonderkredits für mich zu telefonieren. Ich lehnte das natürlich ab, ich war lächelnd und sicher wie immer gewesen. Aber ich hatte gut gemerkt, daß er mir dieses Mal nicht wie sonst meist eine Zigarre angeboten hatte, dieser Kunde lohnte ihm das wohl nicht mehr. Sehr niedergedrückt ging ich durch einen schwer herabrauschenden Herbstregen nach Hause. Ich war noch gar nicht in eigentlichen Schwierigkeiten; es war nur eine gewisse Stagnation in meinen Geschäften eingetreten, die zu jenem Zeitpunkt mit einigem Elan sicher noch zu überwinden gewesen wäre. Aber gerade diesen Elan vermochte ich nicht aufzubringen, ich war zu niedergedrückt von all dem stummen Mißfallen, dem ich begegnete.

Als ich nach Hause kam (wir wohnen etwas vor der Stadt in eigener Villa, und die Straße dorthin ist noch nicht ausgebaut), wollte ich vor der Tür meine schmutzigen Schuhe reinigen, doch gerade heute fehlte der Fußabtreter. Ärgerlich schloss ich auf und rief ins Haus nach meiner Frau. Es dunkelte schon, aber nirgends sah ich Licht, und Magda kam auch nicht. Ich rief wieder und wieder, aber nichts erfolgte. Ich befand mich in einer höchst fatalen Situation: ich stand im Regen vor der Tür meiner eigenen Villa und konnte nicht ins Haus, wollte ich nicht Vorplatz und Diele ärgerlich beschmutzen, und das alles, weil meine Frau vergessen hatte, den Fußabtreter hinauszulegen, und zu einer Zeit nicht zur Stelle war, wo ich, wie sie genau wußte, von der Arbeit heimkam. Schließlich mußte ich mich überwinden: ich ging vorsichtig auf Zehenspitzen ins Haus. Als ich mich auf einen Stuhl in der Diele setzte, um die Schuhe auszuziehen, und dafür Licht machte, sah ich, daß all meine Vorsicht nichts genützt hatte: auf dem zartgrünen Dielenteppich waren die häßlichsten Flecke entstanden. Ich habe Magda immer gesagt, daß solch ein empfindliches Resedagrün nichts für die Diele sei, aber sie hatte ja gemeint, wir beide seien ja wohl alt genug, ein bißchen aufzupassen, und die Else (unser Dienstmädchen) benütze ja sowieso den Hintereingang und sei gewohnt, im Hause auf Pantoffeln zu gehen. Ich zog sehr ärgerlich meine Schuhe aus, und gerade als ich den zweiten auszog, sah ich Magda, die eben aus der Tür kam, die die Kellertreppe verdeckt. Der Schuh entglitt mir und fiel mit Poltern auf den Teppich, einen abscheulichen Fleck machend.

»Paß doch ein bißchen auf, Erwin!« rief Magda sehr ärgerlich. »Wie der schöne Teppich wieder aussieht. Kannst du dir nicht angewöhnen, die Füße ordentlich abzutreten?!«

Die offene Ungerechtigkeit in diesem Vorwurf empörte mich, aber noch hielt ich an mich.

»Wo in aller Welt hast du bloß gesteckt?« fragte ich, sie noch immer anstarrend. »Ich habe mindestens zehnmal nach dir gerufen!«

»Ich war bei der Zentralheizung im Keller«, sagte Magda kühl. »Aber was hat das mit meinem Teppich zu tun?«

»Es ist ebensogut mein Teppich wie der deine«, antwortete ich erregt. »Ich habe ihn wirklich nicht gerne beschmutzt. Aber wenn kein Abtreter vor der Tür liegt –!«

»Es liegt kein Abtreter vor der Tür? Natürlich liegt er vor der Tür!«

»Es liegt keiner davor!« rief ich mit Nachdruck. »Bitte, überzeuge dich selbst!«

Aber sie dachte gar nicht daran, vor die Tür zu gehen.

»Wenn Else eben vergessen bat, ihn hinzulegen, so hättest du die Schuhe gut auf dem Vorplatz ausziehen können! Jedenfalls hättest du nicht den einen Schuh hier mit solchem Plumps auf den Teppich zu werfen brauchen!«

Ich sah sie, stumm vor Ärger, nur empört an.

»Ja«, sagte sie, »da schweigst du. Wenn man dir Vorwürfe macht, schweigst du. Aber mir machst du ständig Vorwürfe ...«

Ich fand keinen rechten Sinn in diesen Worten, aber ich sagte doch: »Wann habe ich dir Vorwürfe gemacht?«

»Eben erst«, antwortete sie rasch, »einmal, weil ich auf dein Rufen nicht gekommen bin, und ich mußte doch nach der Heizung sehen, weil Else heute ihren freien Nachmittag hat. Und dann, weil der Abtreter nicht vor der Tür liegt. Aber ich kann doch unmöglich bei all meiner Arbeit auch noch jede Kleinigkeit, die Else zu tun hat, kontrollieren.«

Ich nahm mich zusammen. Ich fand im stillen, Magda hatte in allen Punkten unrecht. Aber laut sagte ich: »Wir wollen uns nicht streiten, Magda. Ich bitte dich, mir zu glauben, daß ich die Flecke nicht mit Absicht gemacht habe.«

»Und du glaube mir«, antwortete sie, noch immer ziemlich scharf, »daß ich dich weder mit Absicht habe rufen noch mit Absicht habe warten lassen.«

Ich schwieg dazu. Bis zum Abendessen hatten wir uns beide wieder ziemlich in der Gewalt, eine ganz vernünftige Unterhaltung kam sogar zustande, und plötzlich hatte ich den Einfall, eine Flasche Rotwein, die mir irgend jemand mal geschenkt hatte, und die seit Jahren im Keller stand, heraufzuholen. Ich weiß wirklich nicht, wieso ich auf diese Idee kam. Vielleicht löste das Gefühl unserer Aussöhnung bei mir den Gedanken an etwas Festliches, wie Trauung oder Taufe aus. Magda war auch ganz überrascht, lächelte aber beifällig. Ich trank nur anderthalb Glas, obgleich mir an diesem Abend der Wein nicht sauer schmeckte. Ich kam sogar in eine heitere Stimmung und brachte es fertig, Magda allerlei vom Geschäft, das mir so viel Sorgen machte, zu erzählen. Natürlich sprach ich kein Wort von diesen Sorgen, sondern ich log im Gegenteil meine Misserfolge in Erfolge um. Magda hörte mir so interessiert wie schon lange nicht zu. Ich hatte das Gefühl, daß die Entfremdung zwischen uns völlig geschwunden war, und in der Freude darüber schenkte ich Magda hundert Mark, damit sie sich etwas recht Hübsches kaufen könnte: ein Kleid oder einen Ring oder wonach sonst ihr Herz stand.

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