Am Nachmittag wurde Fiete informiert, dass der Personalchef ihn sprechen wollte, er sollte um 17.00 h bei ihm erscheinen, nach Feierabend also, aber Fiete hätte sich gegen den Termin nicht wehren können. So ging er also um kurz vor 17.00 h rüber zum Büro des Personalchefs und meldete sich bei seiner Sekretärin. Sie sagte ihm, dass ihr Chef schon auf ihn wartete und begleitete Fiete zu dessen Zimmer. Der Personalchef war sehr freundlich zu Fiete und eröffnete ihm:
„Man hat in der Konzernspitze über Sie beraten und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass man Ihnen eine Festanstellung geben will, Ihr hervorragender Abschluss an der Universität hat alle überzeugt.“ Fiete strahlte über sein ganzes Gesicht, als er das hörte, wurde aber etwas besonnener, als er vernahm, was man mit ihm vorhatte: er sollte für E.ON die Errichtung einer Windkraftanlage auf den Lofoten in Norwegen betreuen, man gäbe ihm drei Tage, darüber nachzudenken. Fiete bedankte sich für das ihm entgegengebrachte Vertrauen und verabschiedete sich wieder vom Personalchef, er fuhr nach Hause zu Clarissa. Als er ihr davon berichtete, was E.ON mit ihm vorhatte, wurde sie nachdenklich:
„Dein Einsatz auf den Lofoten wird eine lange Trennung zwischen uns bedeuten!“ Fiete entgegnete, dass er sich ausbedingen würde, regelmäßig nach Hause fliegen zu können, er wollte an jedem Wochenende kommen. Clarissa meinte:
„Die Lofoten sind sicher ein Sprungbrett in deiner Karriere bei E.ON und ich finde, du solltest zusagen, auch wenn wir uns für lange Zeit nur an den Wochenenden sehen!“ Fiete war hin- und hergerissen, er könnte ja auch versuchen, woanders einen Job zu bekommen, mit seinem Abschluss stünden ihm im Grunde alle Türen offen.
„Aber ich denke schon daran, auf das Lofotenangebot einzugehen“, sagte er. Er sähe das genau wie Clarissa als Chance, innerhalb des E.ON-Konzerns weiter aufzusteigen. Er ließ sich am nächsten Tag einen Termin beim Personalchef geben und nahm sein Angebot an, er hinterfragte weitere Einzelheiten, wann es losginge und wie oft er nach Hause könnte, und der Personalchef antwortete Fiete:
„Sie sollen schon zu Beginn des nächsten Monats, wenn Ihr Job bei der Arbeitsgruppe erledigt ist, auf die Lofoten, sie können selbstverständlich an jedem Wochenende nach Hause fliegen, dafür wird schon gesorgt werden.“ Er dankte Fiete, dass er den Auftrag übernähme und bot ihm jederzeit seine Hilfe an, wenn irgendwelche Probleme aufträten. Vor seiner Abreise auf die Lofoten bekäme er von E.ON noch eine Woche Urlaub, um sich auf seinen Job über dem Polarkreis auch richtig einstimmen zu können. Fiete fuhr wieder nach Hause und beredete mit Clarissa alles Weitere, sie wollten täglich miteinander skypen und sähen sich an den Wochenenden.
„Ich muss mir zunächst einmal eine Orientierung verschaffen, wo genau die Loforten liegen und wie man dahin kommt, ich weiß nur, dass die Lofoten über dem Polarkreis liegen und es deshalb dort drei Monate lang im Winter dunkel ist.“ Fiete setzte sich an seinen Computer und gab Google Map ein, er sah sich die Lofoten auf seinem Monitor an und bemerkte gleich, dass dort nicht viel los sein konnte. Man käme in Bodoe an, entweder mit dem Zug oder mit dem Flugzeug und nähme von dort aus entweder eine Fähre oder den Helikopter. Er gab auf Google „db“ ein und suchte einen Zug von Hamburg nach Bodoe, im günstigsten Falle brauchte der Zug achtunddreißig Stunden, der Zug schied somit aus. Daraufhin suchte er einen Flug von Oslo nach Bodoe und fand mehrere Möglichkeiten, er wäre eineinhalb Stunden unterwegs, nach Oslo müsste er von Hamburg fliegen, auch da gäbe es viele Möglichkeiten, die Flüge würden natürlich alle von E.ON bezahlt. Fiete dachte daran, was er in den drei Monaten Dunkelheit und in der Eiseskälte auf den Lofoten unternehmen sollte, auf jeden Fall würde er viel lesen, so viel war ihm schon klar. Er setzte sich mit Clarissa zusammen und sagte ihr:
„Das wird vermutlich für mich eine harte Zeit werden, die ich mit deiner Hilfe aber durchstehen will.“ Clarissa hielt seine Hand und entgegnete:
„Das ist nicht unsere erste Bewährungsprobe, als wir beide Schüler gewesen sind, sind wir auch lange voneinander getrennt gewesen, ich will alles tun, um Dir die Trennungszeit so leicht wie möglich zu gestalten.“
Sie hatten beide schon von den Lofoten gehört, aber natürlich war noch niemand von ihnen dort. Als Urlaubsziel schieden die Lofoten aus, dachten sie immer, es war dort viel zu kalt und die Preise, die dort zu zahlen waren, entbehrten jeglicher Vorstellung. Sie hatten Bekannte, die mit der norwegischen „Hurtigrute“ von Bergen zum Nordkap gefahren waren und auf dem Weg auf den Lofoten Station gemacht hatten. Sie hatten erzählt, dass die Lofoten steil aus dem Meer aufragende Felseninseln wären, es lebten kaum Leute dort, die Gewässer wären ausgesprochen fischreich, das Wetter wäre nicht wirklich gut dort, es würde viel regnen und es wäre kalt. Clarissa und Fiete wollten sich genau informieren, sie wollten sich im Netz sachkundig machen und natürlich Bücher aus Büchereien besorgen.
„Ich bin schon sehr daran interessiert, zu erfahren, wo ich in den nächsten vier Monaten eingesetzt werde“, sagte Fiete.
„Das ist meine Anfangsanstellung bei E.ON und ich bekomme 4400 Euro brutto im Monat, nach erfolgreichem Absolvieren meines Jobs auf den Lofoten werde ich in Hannover zum Abteilungsleiter befördert und damit auf der Karriereleiter schon ein gutes Stück aufgesteigen.“ Clarissa freute sich für Fiete, es war nicht so, dass sie die Geschäftspolitik von E.ON vorbehaltlos unterstützte, aber Fiete hätte mit seinem Abschluss als Diplom-Elektroingenieur kaum eine andere Möglichkeit, in seinem Beruf voranzukommen.
Sie sah sich mit ihm auf dem PC-Monitor die Norwegenkarte an, und sie maßen die Entfernung von Oslo nach Bodoe, die Lofoten lagen ungefähr 1200 Kilometer nördlich von Oslo, weit über dem Polarkreis, man fror schon bei dem Gedanken, dorthin fliegen zu müssen. Der nächste Tag war ein Samstag und sie hatten beide frei, sie wollten in die Stadt und einen Reiseführer und Informationsmaterial über die Lofoten holen. Fiete hätte noch eine Woche in seiner Arbeitsgruppe zu tun, danach hätte er eine Woche Urlaub, um sich vorzubereiten. Am nächsten Morgen fuhren Clarissa und Fiete in die Stadt und hielten sich lange in der Buchhandlung auf, sie deckten sich mit viel Literatur über die Lofoten und mit touristischen Führern ein. Sie fuhren mit dem Material wieder nach Hause, machten es sich dort gemütlich und lasen sich ein, ab und zu unterbrachen sie ihre Lektüre und unterhielten sich über Dinge, die ihnen aufgefallen waren. So sagte Clarissa:
„Ich habe gesehen, dass es drei Flughäfen auf den Lofoten gibt, die von Bodoe aus angeflogen werden.“ Fiete hatte sich gerade über den Alltag auf den Lofoten eingelesen und sagte:
„Auf den Inseln steht alles im Zeichen des Fischfangs, ich werde wohl wieder angeln gehen, wie damals auf Süderland.“ Der Tourismus spielte auch eine Rolle, es wäre aber nicht so, dass dort im Sommer Unmengen von Touristen angelandet würden, wie das auf den Mittelmeerinseln der Fall wäre, die Lofoten wären etwas für Liebhaber. Man führe nicht auf die Lofoten, um dort Badeurlaub zu machen, vielmehr liefe man dort immer in wärmender Kleidung herum und täte gut daran, sich für das Fischen oder das Wandern zu interessieren. Clarissa und Fiete legten ihre Lektüre für einen Moment zur Seite, und sie unterhielten sich über die Stelle in ihrem Leben, an der sie gerade angelangt waren. Fiete meinte:
„Ich bin dabei, mich zu etablieren, darin sehe ich aber nicht so ein Problem, wie das viele tun. Es ist meiner Ansicht nach wichtig, zu trennen zwischen einem Sesshaftwerden nach außen hin und einem Aufgewühltsein im Inneren, das die Energien steuerte, die gelegentlich freigesetzt werden müssen, die die eigentliche Persönlichkeit ausmachen. Es kommt nicht darauf an, wie man nach außen hin agiert, sondern nur darauf, welche die inneren Überzeugungen sind, die man immer hochhalten muss und nie preisgeben darf. Das erfordert innere Stärke, die man aufbauen und sich bewahren muss, sie steht in engem Zusammenhang zur äußeren, körperlichen Stärke.“ Fiete sagte, dass diese beiden Energiepotenziale in einer Wechselwirkung zueinander stünden, und das eine nicht ohne das andere bestehen könnte, so seine Überzeugung.
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