„Halt wartet, stopp! Hört ihr euch eigentlich reden? Das Ganze ist kein Spiel, es gibt im echten Leben keinen Reset-Knopf! Shana vielleicht will dein Vater dich vor was noch Gefährlicherem beschützen und handelt deswegen so seltsam. Die ganze Aktion könnte glatter Selbstmord sein!“ In dem Moment bemerkte Shana, wie ihrer aufgebrachten Freundin Tränen in die Augen stiegen. Oh Mann, sie hat einfach nur Angst um mich und ich verhalte mich so dämlich! Vorsichtig griff Shana nach Amys Hand und drückte sie leicht. „Amy, hör auf immer nur an das Schlimmste zu denken. Es muss doch nicht immer etwas passieren, ich werde schon wieder heil ankommen, versprochen.“
Plötzlich konnte Amy nicht mehr an sich halten. Eine Träne nach der anderen lief ihr übers Gesicht. „Hey, mir passiert schon nichts. Mein Entschluss steht so oder so fest, egal was für Konsequenzen mich erwarten. Ich muss meine Mum einfach finden, diese Unruhe in mir ist nicht auszuhalten! Amy, du und Jenna ihr seid meine besten Freundinnen und ich brauche euch jetzt, euch beide. Ich kann das alles schaffen aber nur mit deiner Hilfe. Also bist du dabei oder nicht?“ Selbstverständlich hatte Shana Angst, eine Heiden Angst sogar, aber ihr Herz zwang sie dazu über die Scherben zu gehen. „Und du lässt dich wirklich durch nichts was ich sagen könnte umstimmen?“ Amys Stimme war brüchig, immer noch liefen ihr die Tränen über die Wangen. Lächelnd schüttelte Shana den Kopf und der Naturgeist seufzte tief. „Okay, aber schwör mir, dass du heil zurückkommst. Und wenn du dich nur einen einzigen Tag nicht meldest, so verspreche ich dir, werde ich kommen egal wo du bist und dich an den Haaren nach Hause schleifen, hast du verstanden?!“ Zitternd wischte sich Amy die frischen Tränen ab. „Ich versprech’s dir, ich werde mich melden und heil zurückkommen.“ Plötzlich fiel ihr Amy schlunzend um den Hals. „Gruppenkuscheln!“ Brüllte die kleine Hexe und warf sich mit voller Wucht in das Getümmel.
Amy konnte immer noch kein Auge zumachen. Wiederwillig sträubte sich ihr Herz gegen das Versprechen, was sie Shana geben musste. Ich kann sie nicht alleine gehen lassen, das geht nicht! Aber was mache ich dann? Wie soll ich Shana bloß davon abbringen? Neben ihr ertönte das leise und rhythmische Atmen ihrer Freundinnen. Egal wie beruhigend dieses Geräusch sonst für sie war, heute half es nicht. „Psst, Jenna, bist du wach?“
Bettwäsche begann zu rascheln, Jenna drehte sich zu ihr. In der Dunkelheit konnte Amy sie kaum sehen, nur ihre Silhouette und ihre Augen glitzerten im Mondschein. „Ja, was ist los?“ Vor dem Schlafengehen hatte Jenna sich ihre Haare noch durchgekämmt und schon wieder fielen sie ihr völlig zerzaust wieder ins Gesicht. Amy mochte das wogegen Jenna ihre widerspenstigen Haare verfluchte. „Ich kann nicht schlafen. Ich bin immer noch der Meinung, dass Shana nicht alleine gehen sollte. Das ist einfach zu gefährlich.“ Plötzlich ertönte ein lautes Seufzen. Vor Schreck hielten sie den Atem an, lugten zu Shana herüber. Doch ihre Freundin war tief und fest am Schlafen. „Das glaube ich ehrlich gesagt auch, aber es hätte einfach nichts gebracht dagegen zu sprechen.“
Jennas Flüsterstimme war tiefer als sonst und klang etwas befremdlich. „Und was machen wir jetzt? Sollen wir doch mit ihr mitgehen?“ Vorsichtig richtete sich Jenna auf und schüttelte wild ihre Haare. „Nein Shana hat schon recht. Sie braucht uns als Kontaktpersonen.“ „Und was dann?“ Jennas Blick wanderte nach draußen und Amy konnte ihr Gesicht nicht mehr sehen. „Wir können sie nicht alleine lassen, aber mitgehen klappt auch nicht. Was sollen wir denn deiner Meinung nach tun?“ Wieder seufzte Shana tief, schlief aber unbeirrt weiter. „Ganz einfach.“ Jennas breites Grinsen war selbst in dem dunklen Raum deutlich zu erkennen. „Wir bringen einfach einen neurotischen Supervampir auf ihre Fährte und den Rest erledigt sein zwanghafter Beschützerinstinkt Shana gegenüber.“ Das könnte funktionieren. Aber was, wenn nicht? Vorsichtig richtete sie sich jetzt auch auf um Shana nicht doch noch zu wecken. „Und du meinst echt, dass Gabriel sich darauf einlässt?“ Siegessicher wie Jenna es nur konnte warf sie ihrer Freundin einen vielsagenden Blick zu.
„So wahr Vampire beißen!“ Flüsterte sie verschwörerisch.
Shana lag in Gedanken versunken in ihrem Bett. Das einzige Geräusch, was sie noch wahrnahm war Faolans leises Schnarchen. Der weiße Riesenwolf war schon so zu einem Teil ihrer Familie geworden, dass sie sich die Zeit ohne ihn nicht mehr vorstellen konnte. Es war bereits dunkel, als sie nach Hause gekommen war. Shana wollte nur so viel Zeit wie absolut nötig Zuhause verbringen.
Natürlich war sie immer noch sauer auf ihren Vater, was sie ihn bei jeder Gelegenheit deutlich zeigte. Aber nicht nur die Wut brachte sie dazu ihre Familie momentan zu meiden. Shana musste um jeden Preis ihren Plan ihre Mutter auf eigene Faust zu finden vor allen verstecken. Würde einer ihrer Brüder dahinter kommen würde es sich nur um Stunden handeln bis auch Luca Bescheid wusste. Und darauf konnte sie verzichten! Bevor Shana sich in ihrem Zimmer verbarrikadiert hatte, erzählte sie beim Abendbrot von dem Angebot die Sommerferien mit Amy und Jenna bei Amys Großmutter verbringen würde.
Dabei fragte sie nicht mal um Erlaubnis, es war eher eine Art Feststellung. Normalerweise wäre ihr Vater in die Luft gegangen, hätte sie angemault und es ihr sicherlich verboten. Aber dank dem ganzen Mist, den er fabriziert hatte, hatte sie in Handumdrehen seine Zustimmung. Beim Essen war ihr aufgefallen, dass Lucas Augenringe immer stärker wurden und seine Haltung war auch nicht mehr so großspurig. Es schmerzte ihren Vater in einem so schlechten Zustand zu sehen aber Shana war einfach noch nicht bereit ihm zu verzeihen. Wäre er doch nur von Anfang an ehrlich gewesen, dann hätte ich es sicherlich verstanden. Tief seufzend rappelte sie sich auf und kramte in ihrem Kleiderschrank nach ihrer Lieblingsreisetasche. Ich bin gerade eh viel zu aufgewühlt um zu schlafen, da kann ich auch gleich anfangen etwas zu packen. Es sind schließlich nur noch drei Wochen. Drei Wochen musste sie noch durchhalten, ihre Wut schlucken und das Scharadespiel aufrechterhalten. Bei dem Gedanken ihre leibliche Mutter kennenzulernen beschleunigte sich ihr Herzschlag jedes Mal.
Was, wenn ich sie nicht finde? Oder wenn ich vorher erwischt werde? Was, wenn sie mich gar nicht will und uns deswegen verlassen hat? Schnell schob sie die schmerzenden Fragen bei Seite. Sie musste nach vorne schauen, nicht zurück. Ein weiteres Mal zwang sich Shana das ungeklärte Gefühlschaos zur Seite zu schieben. Nicht jetzt! Befasse dich damit, wenn du vor ihr stehst! Abgelenkt von ihren zwiespältigen Gefühlen ließ Shana den Rucksack etwas zu hart auf ihren Schreibtisch fallen und fuhr erschrocken herum. Obwohl der Ahnenkampf all ihre bisherigen Fragen aufgeklärt hatte, fühlte sie sich schlimmer als zuvor. Es fehlte ihr an Kraft sich für die kleinsten Dinge aufzuraffen. „Am besten mache ich eine Liste, dann kann ich auch nichts Wichtiges vergessen.“ Plötzlich hörte sie wie der Wolf von ihrem Bett sprang und zu ihr trottete. Liebevoll strich sie ihrem treuen Freund über das dichte Fell. Er würde ein guter Begleiter abgeben, da war sie sich sicher. „Gut wär’s, wenn wir für dich noch eine Leine und Halsband besorgen.“ Als hätte er sie verstanden, schaute Faolan seine Herrin missbilligend an. Sein Protest war mehr als deutlich, allerdings war daran nichts zu machen.
„Ich mag den Gedanken auch nicht Fao, aber nicht jede Stadt ist so wie hier. Es gibt viele Menschen, die noch nicht mal ahnen, dass es uns gibt. Und glaub mir dann sitzen wir wirklich tief in der Tinte!“ Versöhnlich kraulte sie seinen Nacken. Wie erwartet legte Faolan seinen Kopf schief, wie er es immer machte, wenn er etwas nicht verstand. Oder nicht verstehen möchte! Shana musste kichern. Sie fand es jedes Mal aufs Neue süßer, wenn er das tat. „Faolan du bist zu groß, um freizulaufen! Selbst große Hunde wirken im Vergleich zu dir klein. Unnötige Aufmerksamkeit könnte uns den Kopf kosten, verstehst du das?“ Sie hielt kurz inne, kraulte aber weiter. „Bitte schau mich nicht so an! Ich verspreche dir ich mache es nur, wenn es wirklich nötig ist. Ich weiß doch, dass du brav bist, aber man kann nicht vorsichtig genug sein.“ Immer noch skeptisch leckte er einverstanden ihre Hand. Seine Zunge war rau, seine Berührung hingegen sehr liebevoll und hingebungsvoll. „So ist’s brav. Du bist ein guter Junge, weißt du das?“ Noch heftiger wedelnd legte Faolan seine prankenartigen Vorderpfoten auf ihren Schoß, sodass er mit ihr auf einer Augenhöhe war.
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