Marie Louise Fischer
Roman
SAGA Egmont
Hörigkeit des Herzens
Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
Copyright © 2017 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, ( www.marielouisefischer.de)
represented by AVA international GmbH, Germany ( www.ava-international.de)
Originally published 1992 by Lübbe Verlag, Germany
All rights reserved
ISBN: 9788711718902
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
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»Bitte, laß mich fahren!« forderte sie und streckte ihm die Hand, Fläche nach oben, mit einer nahezu flehenden Bewegung entgegen.
Er hatte die Schlüssel gerade gezückt, und einen Augenblick sah es so aus, als wollte er sie in ihre Hand fallen lassen. »Nein«, sagte er dann, bückte sich und schloß auf.
Ihr schien es, als schwanke er leicht und geriete in Gefahr, sein Gleichgewicht zu verlieren. Sie zögerte immer noch einzusteigen, als er schon hinter dem Steuer saß. Deutlich waren die Zurufe der anderen zu hören, die um die Ecke am Olivaer Platz geparkt hatten, Lachen und das Zuschlagen von Wagentüren, unterlegt von dem anund abschwellenden Gebrause der Riesenstadt, die niemals, auch jetzt nicht, weit nach Mitternacht, völlig zum Schlafen kam. Der Himmel wölbte sich in einer Dunstglocke diffusen Lichts.
Er beugte sich über den Nebensitz und kurbelte das Fenster an ihrer Seite herunter. »Du brauchst nicht mitzufahren«, sagte er mit kühler Freundlichkeit.
Diese Feststellung alarmierte sie. Er hatte ja nur zu recht. Sie beeilte sich so sehr, neben ihm Platz zu nehmen, daß sie auf den ungewohnt hohen Absätzen ihrer Abendschuhe ins Stolpern geriet.
»Na also«, sagte er zufrieden.
Sie zog ihren Mantel eng an sich und knallte die Tür ins Schloß. Gleichzeitig verfluchte sie sich und ihre ewige Nachgiebigkeit. Warum konnte sie sich ihm gegenüber nie durchsetzen? Sie hätte nur den Kurfürstendamm überqueren müssen und wäre zu Fuß in weniger als zwanzig Minuten zu Hause gewesen.
Aber sie wußte auch, daß sie dazu die Kraft nicht aufbrachte. Sie hätte schlaflos im Bett gelegen und sich wieder und wieder gefragt, wieso sie ihn im Stich gelassen hätte. Nein, sie hatte sich nicht anders entscheiden können, auch wenn sie sich jetzt wie in der Falle fühlte. Der Motor sprang ohne Schwierigkeiten an. Fabian fuhr zügig los, durch die, wenn auch nicht leeren, so doch fast freien nächtlichen Straßen. Dabei summte er vor sich hin und schlug den Rhythmus auf das Lenkrad.
Eva versuchte sich zu entspannen. Es war ein so schöner Abend gewesen. Warum mußte wieder eine ihrer tausend Ängste sie umkrallen? Fabian hatte recht, wenn er ihr vorwarf, eine Provinzlerin zu sein. Nach all den Jahren in Berlin war sie immer noch im Herzen das kleine Mädchen aus dem Nest im Taunus.
Als er an einer Ampel halten mußte, hätte sie ihn fast noch einmal gebeten, sie ans Steuer zu lassen. Aber sie wußte nur zu gut, daß sie damit nichts erreicht, sondern ihn nur wütend gemacht hätte.
Er unterbrach seinen Singsang. »Starr mich nicht so an!«
Es war ihr nicht bewußt gewesen, daß sie das getan hatte: Sein schönes Profil, der volle Mund, das feste Kinn, die leicht gebogene Nase und die hohe, gewölbte Stirn, die jetzt, nachdem er sein Toupet abgenommen hatte, das er während der Aufführung tragen mußte, erst zur Geltung kam, hatte ihren Blick mit geradezu hypnotischer Kraft auf sich gezogen. Bei seinem Vorwurf, dem oft wiederholten Vorwurf, errötete sie und zwang sich, geradeaus zu sehen.
»Du warst wundervoll in deiner Rolle!« stieß sie hervor.
Er zuckte die Achseln. »Nu, na, nebbich.«
»Doch, warst du! Alle haben das gesagt.«
»Hör nicht auf das Gerede von Kollegen. Hinter dem Rücken tönt das anders.«
»Paul Seiters hat das bestimmt ernst gemeint.«
Wieder zuckte er wegwerfend mit den Schultern. »Der alte Seiters, dein großer Schwarm!«
»Ist er gar nicht.«
»Der hat leicht loben. Für den bin ich ja keine Konkurrenz. Was habe ich denn gespielt? Den Butler. Nichts als eine belanglose Charge. Eine Wurzenrolle dritter Ordnung.«
»Aber du warst großartig. Allein, wie du das ›Sir‹ gesagt hast.« Sie versuchte, ihn nachzuahmen. »›Wie Sie wünschen, Sir!‹ Lach nicht, ich kann das nicht wie du. Niemand kann das. Du wirst der Kritik auffallen.«
»Na ja«, gab er selbstgefällig zu, »ich habe aus einem Nichts eine runde kleine Sache gemacht.«
»Einen Charakter!«
»Du weißt ja, wie ich an die Dinge rangehe. Ich begnüge mich nicht mit dem, was der Mann auf der Bühne zu sagen hat, sondern ich frage mich: woher kommt er, was sind seine Träume, seine Ziele, wie steht es mit seinem Privatleben? Ein Butler, den man nur als Butler darstellt, wäre doch nichts als ein Klischee.«
»Ja, genau das bringst du auf die Bühne«, sagte sie begeistert, und ihre Augen hingen, ohne daß sie es merkte, schon wieder an seinem Gesicht, »damit fesselst du das Publikum. Ich schwöre dir, alle haben immer nur auf deinen Auftritt gewartet.«
»Nun übertreib man nicht, Kleene«, mahnte er in seinem artifiziellen Berlinerisch, konnte aber ein geschmeicheltes Lächeln nicht unterdrücken.
»Eines Tages«, prophezeite sie, »früher oder später wirst du der Größte sein.« Sie hatte inzwischen vergessen, daß er angeheitert, wenn nicht gar angekokst war. Er sprach, schien ihr, so vernünftig und sicher. Es war ihm wieder gelungen, sie ganz in seinen Bann zu ziehen.
»Warum kriegst du es nicht in deinen kleinen Schädel, daß mir an der Schauspielerei nicht das mindeste liegt? Das ist doch alles nur Possentanz. Was ich wirklich will …«
»… ist Schreiben!« ergänzte sie. »Aber das weiß ich doch. Nichts hängt enger zusammen. Wer könnte bessere Stücke schreiben als ein Schauspieler, dem die Gesetze des Theaters in Fleisch und Blut …« – Sie hatte voll Begeisterung geredet, unterbrach sich aber abrupt, als ihr bewußt wurde, daß sie nichts anderes tat, als ihn zu zitieren. Sie war dabei, einen seiner Sprüche zu wiederholen, die sie hundertmal gehört hatte. – ›Wie ein Papagei!‹ dachte sie. ›Er muß mich ja für ein ganz albernes Ding halten!‹ Ihr fiel auf, daß auch sie selber nicht mehr ganz nüchtern war.
Aber ihre Einfalt schien ihn diesmal nicht zu stören. Ungehemmt vertiefte er sich weiter in das Thema, das ihm mehr als alles andere am Herzen lag. Das Echo ihrer Stimme beflügelte ihn noch, und er merkte nicht einmal, daß es allmählich matter wurde.
Sie hatten das Rathaus Kreuzberg hinter sich gelassen und waren in die Baruther Straße eingebogen. Fabians Erregung übertrug sich nicht auf seine Begleiterin. Sie spürte, wie sie allmählich müde wurde. Seine Ausführungen, die sie so gut kannte, bedeuteten ihr kaum etwas, aber sie genoß den Anblick seines Gesichtes, das im schwachen Schein des Armaturenbretts schimmerte, die blonden Haare, die ihm über den Kragen fielen, und die Bewegungen seiner ausdrucksvollen schlanken Hände, die er zuweilen, um seine Worte zu unterstreichen, vom Lenkrad hob. All das war ihr wie ein Traum.
Ein heftiger Stoß gegen den einen der vorderen Kotflügel ließ sie jäh hochschrecken. »Was war das?«
»Nichts weiter.«
»Aber es hat doch geknallt!«
»Möglich, daß ich die Bordsteinkante gestreift habe«, erklärte er achselzuckend.
»Aber das war mehr! Halt an!«
»Wozu?«
»Wir müssen nachsehen, was passiert ist!«
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