Hatte man alles schon erlebt, ich musste ja bloß an den biederen Bernhard denken oder an den tumben Thomas. Bernhard fand, Waschen sei Frauensache (er war eher konservativ veranlagt, da, wo es ihm zugute kam), Thomas dagegen war schon vom Anblick einer Waschmaschine völlig überfordert ( „Wo muss ich jetzt draufdrücken? Wieso Waschpulver? Ach, ich kann mir das nie merken, willst du nicht lieber...?“ Nein, ich wollte nicht. Tschüss, Thomas!)
Bernhard hatte von selbst Tschüss gesagt, nach einem längeren Vortrag darüber, welche üblen Folgen es haben würde, wenn ich weiterhin meine Weiblichkeit so verdrängte. Aber das Risiko wollte ich lieber eingehen.
Wie war das eigentlich mit Carlas Paul und Silkes Fabian? Ob die alltagstauglich waren? Nein, ich rief die beiden jetzt nicht an, um danach zu fragen, die rührten sich schnell genug von selbst wieder – wegen Blumenkränzen, zerbeultem Rolls Royce, lästigen Korrekturen, Tante Mathildes entsetzlichem Hochzeitsgeschenk oder was auch immer.
Wie schaute es damit wohl bei Nicholas Rosen aus? Der sah mir irgendwie nicht aus, als hätte er noch eine Mutti im Hintergrund, die mit Töpfen voller Sauerbraten und Paketen mit gebügelten Hemden zu ihm radelte. Er wirkte eher, als hätte er eine gute Putzfrau und ein Abo bei der Reinigung.
Egal, der wollte ja sowieso nichts von mir. Wahrscheinlich war er einfach schon in festen Händen, und ich sollte mir die Sache endlich mal aus dem Kopf schlagen. Leichter gesagt als getan! Ich nahm mir dauernd vor, damit aufzuhören, aber dann sah ich ihn wieder, im Meeting, in seinem Zimmer mit dem Rücken zur Tür telefonieren, über den Parkplatz zu seinem Wagen hinken – und jedes Mal entdeckte ich etwas anderes Entzückendes: die Form seiner Ohren, seine Rückenlinie, die Art, wie er sich kleidete (irgendwie englisch), seine langen, schmalen Hände, den trockenen Ton, in dem er auf juristische Probleme hinwies, die kalte Art, mit der er ungerechtfertigte Beschwerden abwies, die Bewegung, wenn er sich durchs Haar fuhr, die akkurat gebundenen Krawatten, die Tatsache, dass er absolut keine Ringe trug (das fand ich bei Männern bescheuert, vor allem Siegelringe).
Verheiratet war er nicht, das wusste ich aus der Personalakte, weil da die Steuerklasse drin stand. Aber deshalb konnte er schließlich eine Freundin plus Kinder haben! Entweder das oder ich war einfach nicht sein Geschmack. Vielleicht redete ich zu viel, vielleicht trat ich bei den Meetings nicht so auf, wie er es wollte, vielleicht stand er auf kleine dicke dunkle Frauen und nicht auf große dünne mit undefinierbar hellbraunen Haaren. Vielleicht liebte er blaue Augen. Oder ein anschmiegsames Wesen... aber da konnte ich ihm dann auch nicht helfen, anschmiegsam war ich nun mal nicht.
Alles sinnlos.
Vielleicht stand er auch eher auf Männer? Oder hatte sich dem Zölibat verpflichtet? Oder er glaubte, mit seinen Behinderungen fände er sowieso keine? Nein, das war zu sehr Kitschroman, so blöde waren die Leute im wahren Leben nicht. Egal.
Nein, nicht egal. Ich wollte wissen, warum er so schlecht drauf war, woher er den lahmen Arm und das Hinkebein hatte, was er dachte, was er liebte und was er hasste (außer mir natürlich) – und das seit einem halben Jahr. Ich hatte schon mit dem Gedanken gespielt, mir irgendein juristisches Problem zuzulegen, privat natürlich, und ihn um Rat zu bitten. Aber wie ich ihn einschätzte, würde er mir den vollen Stundensatz berechnen und nach fünf Minuten merken, dass das Problem gefakt war. Und dann hätte ich endgültig bei ihm verschissen.
Carla und Paul hatten ihren Ehevertrag woanders aufsetzen lassen, bei irgendeinem Bekannten von Paul, aber das hatte mich nicht so interessiert, dass ich nachgefragt hätte. Ansonsten hätte man ihn dadurch vielleicht an die Familie Engelmann binden können... ach, wozu - der wollte ja gar nicht.
Irgendwann käme ich schon darüber hinweg. Das war mir schon früher passiert, als ich mich im zweiten Semester rettungslos in diesen süßen Assistenten in der VWL-Übung verknallt hatte. Total umsonst, der wurde immer von seiner hochschwangeren Freundin abgeholt und freute sich auch noch darüber. Gegen Ende des Semesters dann von Freundin mit umgeschnalltem rotgesichtigem Zwerg. Konnte ich vergessen. Und eines Tages, im Semester darauf, hatte ich ihn in der Bibliothek getroffen, ihn geistesabwesend gegrüßt (ich suchte gerade einen Artikel, denn offenbar jemand für eine Hausarbeit geklaut hatte) und dann erst gemerkt, dass mein Herz kein bisschen schneller geschlagen hatte: Vorbei, ich war geheilt.
Mit Rosen würde es mir genauso gehen, eines Tages würde er ins Besprechungszimmer kommen, ich würde ihm gleichgültig zunicken und dann erst merken, dass er mich so kalt ließ wie ich ihn.
So toll waren Beziehungen schließlich auch nicht. Klar, Carla und Paul glaubten im Moment an die ewige Liebe. Mussten sie ja auch, sonst könnten sie sich den ganzen Almauftrieb gleich sparen. Anette hatte ziemlich daran geknabbert, dass Andi so plötzlich verschwunden war, und wenn ich an den Kerl dachte, den Silke vor Fabian gehabt hatte, diesen – äh – Max, genau. Der hatte immerzu Heiratspläne geschmiedet. Anfangs hatte Silke dabei auch mitgemacht, sie war der Typ, der langfristig geordnete Verhältnisse vorzog.
Der erste Termin musste verschoben werden, weil Max dringend geschäftlich nach Köln musste. Der zweite, weil er einen hässlichen Ausschlag hatte. Der dritte, weil sich seine Mutter plötzlich quer stellte und lieber wollte, dass Max eine Tochter ihrer lieben Jugendfreundin heiratete. Max schwor, er würde sich nur einmal mit dieser Tochter treffen und seiner Mutter dann klar machen, dass er die blöd fand. Gut, Silke wartete und sagte den Termin im Rathaus ab. Max legte einen vierten Termin fest, Silke buchte wieder alles, ich bügelte mein dunkelgraues Seidenkostüm zum vierten Mal auf, und Max´ Mutter musste genau an diesem Tag zur Kur gefahren werden. das ging natürlich vor.
Das fünfte Mal platzte, weil Max am Tag zuvor einen Unfall baute. Nur Blechschaden, aber er stand ja so fürchterlich unter Schock, dass ihm eine Hochzeit nicht zuzumuten war.
Beim sechsten Mal sagte er nicht ab. Das war auch gar nicht nötig, weil Silke überhaupt keinen Termin mehr vereinbart hatte. Zu dem Zeitpunkt, den sie Max genannt hatte, warteten wir gegenüber dem Rathaus – und er kam gar nicht. Er nicht, seine Mutter nicht, sein stieseliger Trauzeuge nicht.
Daraufhin forderte sie ihn abends auf, doch endlich zuzugeben, dass er gar nicht heiraten wollte, und machte Schluss. Max soll ziemlich erleichtert gewirkt haben. Warum schmiedete jemand gegen seinen Willen Hochzeitspläne? Silke hatte doch nicht damit angefangen, sondern er, aber warum bloß?
Auf jeden Fall war Silke hinterher ziemlich entnervt, und ich konnte mir gut vorstellen, dass dieses Mal Fabian die Termine machen musste, weil Silke sich langsam vor den Leuten im Rathaus genierte.
Nina war verheiratet, gut. Aber ob das noch so toll war? So, wie sie manchmal über ihren Florian redete, wenn er wieder mal ungefragt Gäste anschleppte, immerzu Urlaube in Südtirol buchte, obwohl Nina und die Kinder seit Jahren von einem anständigen Sandstrand träumten, nie bemerkte, wenn sie an sich oder im Haus etwas verschönert hatte und mittlerweile nur noch ein Viertel so viel redete wie vor der Hochzeit, ihr außerdem die Kindererziehung ganz alleine überließ... war das noch der große Liebestraum? Oder konnte man das sowieso nicht erwarten, sondern wurschtelte einfach friedlich neben jemandem her, in den man immerhin vor Jahren mal verliebt gewesen war? Vielleicht ging gar nicht mehr.
Cora hatte dauernd einen neuen Freund, und wenn man fragte, was denn aus Sowieso geworden war, prustete sie bloß: „Der? Wer war das noch mal gleich wieder? Der war ja so doof, nee, den hab ich schnell wieder abgehakt. Jetzt hab ich einen kennen gelernt, der ist wirklich süß...“
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