Silke war genauso, aber die war ja auch Lehrerin. Mittags fertig und dann hatte sie frei – egal, wie oft sie erzählte, das sei gar nicht wahr. Und Nina arbeitete überhaupt bloß stundenweise in einem Reisebüro, nicht, um groß was zu verdienen – Florian verdiente genug für alle – sondern nur, um nicht „einzurosten“. Ich war die einzige mit einer Fünfzigstundenwoche, dann stand es mir wohl verdammt noch mal zu, mir das Essen liefern zu lassen, egal, ob das ungesund war (Silke) oder langweilig (Nina) oder von Faulheit zeugte (Anette).
Ich bezahlte den Boten und ließ mich mit meiner Ausbeute auf dem Sofa nieder. Mhm, lecker! Ein riesiger Salat (ohne Bohnen), scharfe Sauce, Enchiladas... Eine halbe Stunde später ging es mir schon eindeutig besser, so gut, dass ich die Wäsche aus der Maschine holte und aufhängte, alle Schuhe putzte, die ich in nächster Zeit tragen würde, und zwei Kostüme für die Reinigung heraushängte. Sehr brav, fand ich.
So, und was sollte ich nun für die Hochzeit vorbereiten? Ich war kaum zu der Feststellung gediehen, dass wenigstens der Fummel für die Kirche ja schon feststand – samt Blumenkranz (oder Hut?) und Seidenpumps – als das Telefon schon wieder läutete. Dieses Mal war es tatsächlich Carla – ob ich nicht schnell vorbeikommen könnte? Sie hätte da ein echtes Problem.
„Lass mich raten“, antwortete ich, lehnte mich gemütlich zurück und schnappte mir eine vergessene Tomatenscheibe, „du weißt nicht, ob apricotfarbene oder weiße Servietten beim Essen besser aussehen. Oder deine Brautschuhe haben doch etwas niedrigere Absätze, als du dachtest, und jetzt weißt du nicht, ob du über dein Kleid stolperst und in der Kapelle auf die Fresse fliegst. Oder deine Schwiegermutter will doch lieber, dass du ihren Schleier trägst, aber der hat ein anderes Weiß als dein Kleid und außerdem verträgt er sich nicht mit deinem Blumenkranz. Oder in Bali ist die Revolution ausgebrochen und Corinna hat nun doch Zeit, aber sie will nicht Apricot tragen. Das wollen wir übrigens alle nicht, aber uns hat ja keiner gefragt. Hab ich´s getroffen?“
„Nein“, antwortete Carla ärgerlich, „und tu nicht so, als würde ich mir den Kopf nur über solchen Pipifax zerbrechen! Ich hab ein echtes Problem! Kommst du?“
„Nein, heute nicht. Ich bin fix und alle und schon im Morgenmantel. Jetzt sag schon!“
„Wir wollten doch diesen weißen Rolls mieten, weiß du noch?“
„Ja, weiß ich. Bloß nicht, wozu. Wollt ihr darin auf dem Schlosshof herumkurven? Noch kürzere Wege kann man doch gar nicht haben als in Grafenreuth!“
„Du bist dermaßen prosaisch! Jedenfalls haben die den Rolls an einen vermietet, der ihn zu Schrott gefahren hat.“
„Das geht? Ich dachte, ein Rolls ist unsterblich?“
„Naja, nicht zu Schrott, aber bis man da Ersatzteile kriegt... jedenfalls müssen wir ihn streichen. Was machen wir denn jetzt? Ich meine, jeder andere Wagen ist doch vergleichsweise schäbig!“
„Und dafür hätte ich nach Leiching rausfahren sollen? Soll ich dir einen anderen weißen Rolls klauen oder was? Verzichtet doch ganz auf den Wagen, lauft vom Schloss in die Kapelle. Schön feierlich. Wir können auch am Rand stehen und Fähnchen schwenken. Mit dem Familienwappen drauf. Oder mit C & P drauf.“
„Haha. Klingt ja fast wie eine Billigmarke vom Supermarkt. Aber zu Fuß... das könnte was haben. Und Ninas Kleine vorneweg, Blumen streuend...“
„Logisch. Draußen kann man die später auch besser wieder wegfegen als von dem kratzigen Läufer in der Kapelle.“
„Typisch! Immer praktisch, was?“
„Eine muss ja praktisch denken. Und bitte, jetzt mach nicht alle damit verrückt, dass du nicht weißt, welche Blumen Simone streuen soll. Die wird sich schon genug genieren, sie ist doch schon viel zu alt für so was.“
„Sie ist elf!“
„Eben. Vierjährige mögen so was, Elfjährige finden das alles voll uncool. Kannst du nicht irgendwo einen charmanten vierzehnjährigen Beau auftreiben, damit sie auch ein bisschen Spaß hat?“
„Woher nehmen? Auf Pauls Seite hat überhaupt niemand Kinder, und auf unserer ist Nina auch die einzige. Wenn du eine anständige große Schwester wärst...“ Ich kicherte. „Das heißt, ihr macht euch auf der Hochzeitsreise an die Arbeit, damit es bei Coras Hochzeit genug schmückende Engelchen gibt?“
„Bist du wahnsinnig! Papa will mich zur stellvertretenden Geschäftsführerin machen, das versau ich mir doch nicht auch noch mit Absicht!“
„Weiß Paul das?“
„Klar.“
„Und Pauls Eltern? Die sehen mir ziemlich enkelgeil aus.“
„Nö, die merken das noch früh genug. Vielleicht erzählen wir ihnen, wir könnten nicht.“
„Na, viel Spaß. Wetten, die Alte schleppt dich dann von Arzt zu Arzt und schlägt dir alle möglichen Tricks vor, IVF und so weiter?“
„Okay, wir hüllen uns in geheimnisvolles Schweigen. Jedenfalls bist du aber echt zu nichts zu gebrauchen.“
„Komisch, das denke ich zur Zeit auch öfter – über dich!“, gab ich zurück. „Wo steht der DAX gerade?“
„Dreineunirgendwas. Glaubst du, ich lasse meine Arbeit hängen?“
„Ach, du nervst nur in der Freizeit, ja?“
„Klar, da lohnt es sich doch wenigstens. Stefan ist schon ganz kleinlaut.“ Sie lachte. „Schadet ihm gar nichts, das lenkt ihn etwas von Martines ewigen Zipperlein ab. Man könnte ja glauben, vor ihr ist noch nie eine schwanger gewesen!“ Wir gönnten uns einige Minuten gepflegtes Herziehen über unsere zurzeit etwas primadonnenhafte Schwägerin, mussten dann aber zugeben, dass sie von ihren Zickenanfällen abgesehen eigentlich okay war.
„Also, du kommst nicht?“
„Nein, nicht wegen eines Autoproblems, das wir gerade eben sehr schön telefonisch gelöst haben. Was soll ich sonst? Papa zeigen, dass er auch noch eine normale Tochter hat? Mich von Mama mit der Geschenkeliste verfolgen lassen? Überlegen, ob man Rowan Atkinson für die Trauung gewinnen könnte? Du weißt schon, Heiliger Geiz und so.“
„Um Gottes Willen, bei meiner Hochzeit muss alles perfekt sein! Wenn sich der Priester verspricht, trete ich am nächsten Tag aus der Kirche aus!“
Da hatte ich ihr ja was ins Ohr gesetzt! Ich wimmelte sie ab und erinnerte mich an den Film, bei dem ich vor längerer Zeit so rüde unterbrochen worden war. Immerhin kam ich bis zu Hugh Grants Trauzeugenrede samt allen Peinlichkeiten, bis das Telefon wieder klingelte. Ich tippte auf Nina, die sich über ihre Frisur beklagen wollte, und nahm ab. Nein, Silke.
Silke war immer schon unsere Brave gewesen, sie hatte schon so ausgesehen – mittelgroß, schlank, dunkelbrauner Bob (nie würde sie auf eine auswaschbare Tönung in Pflaume oder so hereinfallen), Brille, gepflegte Kleidung, ordentliche Mitschriften, intelligente Praktika, lukrative Nebenjobs. Und dann hatte sie nach drei Semestern auf Lehramt gewechselt, Mathe und Wirtschaft. Auch nicht übel, aber so brav war sie immer noch.
Sie wohnte in dem Haus, das Anette mittlerweile gehörte, einem top sanierten klassizistischen Hinterhaus in Univiertel; Anette wohnte selbst dort.
Nach den neuesten Gerüchten aber war sie drauf und dran, zu ihrem Freund zu ziehen, der eine schicke Zwei-Etagen-Wohnung in der Altstadt hatte, eine Mischung aus Loft und Maisonette, so wie sie es beschrieben hatte. Silke hatte mit der Hochzeit die geringsten Probleme und merkwürdigerweise auch keine Angst, ihren Freund mitzubringen. Anscheinend fasste dieser Fabian das entweder nicht als zarten Hinweis auf oder es schreckte ihn nicht. Silke, die bis jetzt fast alles auf ihre stille Art erreicht hatte, schaffte es wahrscheinlich auch, den richtigen Mann zum Heiraten zu bringen und dann eine perfekte Ehe mit perfekten Kindern zu führen. Und nebenbei noch weiter zu arbeiten. Na, für Lehrerinnen war das ganz gut zu organisieren.
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