Hastig versicherte ich mir, dass die beiden schon nett waren – bloß eben nicht heute. Ich wollte ja nicht herzlos sein! Und jetzt hatte ich mir etwas Anständiges zu essen verdient - dumm nur, dass sich der Kühlschrank in meiner Abwesenheit auch nicht gefüllt hatte. Wo waren die Flyer? Nein, das war auch Blödsinn, im Fabrizio gab´s wunderbare Pizza und Pasta, da musste ich doch nicht wenige Stunden vorher für teures Geld etwas kommen lassen!
Lieber zog ich noch mal los und holte mir an der Tankstelle eine Tafel Schokolade! Mit ganzen Nüssen natürlich.
Die Tankstelle war nur zwei Ecken weiter, und als ich mich zu Fuß näherte (es war immer etwas blöde, zu Fuß zur Tankstelle zu kommen, entweder dachten die Leute dann, man sei irgendwo wegen Spritmangel liegen geblieben – I´m Walking – oder man komme nur wegen der Süßigkeiten. Stimmte ja leider auch), fuhr gerade ein dunkler Jaguar weg, der mir vage bekannt vorkam, vor allem wegen des Kennzeichens, LR 100. Das war doch Rosen? Ich hatte den Wagen oft genug auf dem Firmenparkplatz gesehen und mir LR im Stillen immer mit Lonesome Rider übersetzt, weil er sich gar so kontaktarm aufführte.
Was tat Rosen hier? Der wohnte doch nicht in Mönchberg? Ich hatte ja mal ein bisschen geschnüffelt und glaubte, mich dunkel an Henting erinnern zu können. Ach, wem wollte ich hier etwas vormachen? Ich erinnerte mich nicht dunkel, ich wusste es ganz genau. Kein Detail, das Rosen betraf, würde ich doch jemals vergessen!
Also, warum hatte er hier getankt? Von dieser Marke gab es in Leisenberg schon noch andere Tankstellen, und so nahe am Prinzenpark waren wir mitten in Mönchberg auch nicht. Wahrscheinlich kannte er hier bloß Leute und hatte einen kleinen Feiertagsbesuch gemacht. Hoffentlich in besserer Laune aus der, die er im Park an den Tag gelegt hatte!
Dieser blöde Stinkstiefel. Na, immerhin hatte er mich wohl nicht mehr gesehen, sonst glaubte er noch, ich wollte ihm nachlaufen. So, wie ich ihn einschätzte, würde er sofort zur Geschäftsleitung rennen und behaupten, ich belästigte ihn. Als ob ich so was wie ein Stalker wäre!
Ich tröstete mich mit einer großen Tafel Vollmilch-Nuss und eine Tüte Gummibärchen über mein frustrierendes Liebesleben hinweg und griff mir gleich auch noch eine Zeitschrift. Fünfzig Trendfrisuren , Die leckersten Erdbeerrezepte , Worauf Männer im Bett wirklich stehen ...
Was tat ich hier eigentlich? Das interessierte mich doch gar nicht, dann lieber noch Klatsch und Tratsch über diverse Prinzessinnen, von denen ich noch nie gehört hatte. Hastig legte ich das Käseblatt wieder zurück, schwankte angesichts eines Börsenblattes, das aber schon zwei ziemlich irreführende Aussagen in den Titelthemen aufzuweisen hatte, und beschloss, lieber in meinen Regalen zu Hause nach etwas Lesbarem zu suchen.
Zu Hause kramte ich eine Zeitlang herum, bis ich einen Krimi gefunden hatte, an den ich mich kaum noch erinnern konnte, und ließ mich damit und mit den Gummibärchen aufs Sofa fallen. Ich hatte mich gerade wieder zurechtgefunden, als es an der Tür klingelte. Wer konnte das denn jetzt sein? Carlas Hiobsbotschaften kamen doch immer telefonisch.
Rosen, um sich für seine überzogene Reaktion im Park zu entschuldigen? Wohl kaum, er hatte schließlich keine Ahnung, wo ich wohnte. Er schnüffelte ja nicht aus lauter Liebe! Da half nur eins – durch den Spion gucken. Hübscher Anblick, ein junges, niedliches Kerlchen, nur in ein Badetuch gewickelt und mit einer Zeitung in der Hand. Aha, alles klar. Ich öffnete und grinste wissend, das Kerlchen – höchstens zweiundzwanzig, schätzte ich, und nichts, was man von der Bettkante schubsen würde – errötete und hielt das Handtuch noch krampfhafter fest. „Sagen Sie nichts“, bat ich, „in dem Moment, als sie nach der Zeitung auf dem Abtreter gegriffen haben, ist die Tür hinter Ihnen zugefallen?“ Er nickte beschämt. „Blöde, was? Ich dachte, so was passiert nur in der Werbung.“ Ich kicherte. „Kommen Sie rein – aber Nescafé hab ich keinen, nur echten. Möchten Sie jemanden anrufen?“
„Ja, meine Freundin, die hat auch einen Schlüssel. Wissen Sie, ich wohne noch nicht so lange hier – äh – ich heiße Tom. Tom Jordan.“
„Kati Engelmann.“
„Naja, jedenfalls, ich kenne hier irgendwie noch niemanden, und da hab ich´s einfach gleich nebenan probiert. Ich hoffe, ich störe Sie nicht bei irgendwas?“
„Nein, nein“, versicherte ich, und das war nicht mal gelogen. Der Kleine brachte doch wenigstens etwas Abwechslung in den Samstag. Und außerdem war ich auf die Freundin gespannt.
„Also, möchten Sie jetzt einen Kaffee?“
„Nein, danke“, lehnte er artig ab, „wenn ich nur mal telefonieren dürfte?“
Ich schob ihm das Telefon hin. „Ist Ihnen kalt? Soll ich Ihnen ein Sweatshirt leihen?“ Er grinste schief. „Ich glaube, da passe ich doch nicht rein. Aber mir ist auch gar nicht kalt.“ Er konnte Recht haben – für so einen jungen Kerl hatte er einen beachtlich muskulösen Oberkörper. Vormittags Uni, nachmittags Job, abends Fitness, schätzte ich. Wann hatte er wohl für seine Freundin Zeit?
Ich stellte ihm wenigstens ein Glas Mineralwasser hin, während er intensiv nachdachte und dann mehrere Anläufe brauchte, bis er die Nummer zu seiner Zufriedenheit eingetippt hatte. Schlechtes Zahlengedächtnis oder wenig Interesse an seiner Süßen? Oder Handyspeicher.
Ich wusste Rosens Telefonnummer auswendig, obwohl ich lieber gestorben wäre als wirklich da anzurufen. Gut, mit einem wirklich anständigen Vorwand – Schmitt drückt mir die Nummer (die ich offiziell ja nicht kenne) in die Hand und verlangt, den erkrankten Rosen wegen irgendwas Ultrawichtigem anzurufen... Wie alle meine Tagträume war das so unwahrscheinlich wie nur was.
„Ja, grüß dich“, stotterte mein kleiner Nachbar ins Telefon, „du – äh – ich hab mich ausgesperrt, und jetzt sitze ich bei einer Nachbarin...“
„Ja, wäre schon schön...“
„Och, jung, ja.“
„Was? Wieso nicht früher?“
„Ach so, ja, hab ich vergessen. Und wenn du ein Taxi schickst?“
„Hm... ja, gut, verstehe ich natürlich. Bloß, ich sitze hier, bloß mit einem Handtuch um...“ Jetzt hörte sogar ich es aus dem Hörer quäken, obwohl ich mich betont an anderer Stelle zu schaffen machte. Ohne etwas zu verpassen, natürlich. Die Gute schien ja ziemlich Haare auf den Zähnen zu haben! Aber der Kleine parierte aufs Wort, auch nicht schlecht.
„Gut, in zehn Minuten dann? Danke, das ist total lieb von dir. Ja, ich dich auch.“
„Ja, sicher. Soll ich sie grüßen?“
„Gut, bis gleich.“
Er legte auf und zwinkerte mir zu. „Dass ich nur mit einem Handtuch bekleidet bei einer schönen Frau herumsitze, hat ihr gar nicht gefallen. In zehn Minuten ist sie da, und Sie sind mich los.“
Ich lachte. „Handtuch? Das Ding ist doch riesig. Wetten, Ihre Freundin stellt sich so ein Gästefähnchen vor? Außerdem stören Sie mich gar nicht. Soll ich für Ihre Freundin Kaffee kochen?“
Er schüttelte den Kopf. „Sie lehnt Genussgifte und die Monokulturen in Südamerika ab.“ Ach, so eine. Ehrenwert, aber anstrengend. Ich plante schon mal Jutebeutel und Birkenstocksandalen ein.
Deswegen wollte sie wohl auch kein Taxi schicken – Emissionen vermeiden!
Also warteten wir, und Tom Jordan machte fleißig Konversation. Besser gesagt, nahm er mich ins Kreuzverhör: Wo ich arbeitete? Wie lange ich schon hier wohnte? Wie alt ich sei? Wie viel Miete ich zahlte? Ich antwortete anfangs offen, dann zunehmend ausweichend, und erklärte dann nicht ohne tadelnden Unterton, dass wir uns für manche Fragen einfach noch nicht gut genug kannten.
Er errötete wieder und sah mich schelmisch an. Ja, mit diesem Blick hatte er sich früher bestimmt so manchen Extrariegel Kinderschokolade ergattert! Überhaupt konnte man sich bei diesen Spanielaugen und dem hellbraunen Wuschelkopf so richtig gut vorstellen, wie er mit vier ausgesehen hatte.
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