Den “Rest des Studiums” verschob ich auf äußere Bahnen. Das heißt, ich versuchte seine ganze Widrigkeit inhaltlich nicht an mich herankommen zu lassen. Zunächst gelang mir das nicht. Über den ersten Versuch einer Teilung meiner Person in eine wesentliche und eine un-wesentliche wurde ich krank. Bald konnte ich nicht mehr in meiner Buntlicht-Bar arbeiten. Die Kommilitonen des Studienjahres sammelten Geld, damit ich über die Runden kam. Das war gut gemeint, aber unerträglich für mich. Ich schmiß das Studium und ging nach Berlin zurück.
Alex in seiner nüchternen Art gab seinen Kommentar: Das habe ich dir ja gleich gesagt, Philosophie zu studieren ist ein absoluter Quatsch und macht krank. Ich diskutierte nicht. Ich war froh, wenn mir Alex eine warme Suppe brachte. Es dauerte, bis ich mich von mir erholt hatte und als Schulsekretärin in einer Grundschule vorsprach. Die Arbeit selbst war nicht besonders schwierig, aber man mußte sich auf sie konzentrieren. Das schaffte ich nicht. Ich war zu sehr mit Sein und Nichts beschäftigt, das unter bestimmten Bedingungen dasselbe sein konnte. Ich machte bei der Arbeit unverzeihliche Fehler. Nachdem ich irgendwelche Einladungen für den Elternbeirat zum Milchhof und die Rechnungen für die Schulmilch zu den Eltern geschickt hatte, gab es einen ziemlichen Krach mit dem Direktor. Er wollte mich als Sachbearbeiterin in den Rat des Stadtbezirks befördern lassen. Da könnte ich weniger Unheil anrichten. In seiner Schule könne er mich nicht länger ertragen. Ich kündigte und ging wieder ins Glühlampenwerk zur Nachtschicht. Bei dieser Arbeit konnte ich zumindest meinen Kopf frei halten.
Aber es lag auf der Hand, beim Sortieren der Glühlampen und ihrem Verpacken am Fließband kam ich nicht weiter mit meiner Frage nach Sein und Nichts und ihrem Klang. Bald drehten sich die Wörter im Kreis und nahmen zeitweilig den Takt des Laufbandes an, auf dem die Glühlampen mir entgegenkamen.
Ich verstand, ich mußte noch einmal von vorne beginnen. Nach einigem Zögern beschäftigte ich mich daher endlich mit den politischen Prämissen eines Philosophiestudiums in der DDR, um diesmal klüger und effizienter mit meiner Kraft umzugehen.
Ich ging zur Humboldt-Universität, ließ meine Immatrikulation von Leipzig nach Berlin umschreiben und begann 1966 noch einmal im ersten Studienjahr. Zuvor hatte ich allerdings das Problem des Stipendiums zu regeln. Mit den Eltern zu verhandeln war aussichtslos. Die Lösung fand ich in den Verordnungen für den Erhalt eines Stipendiums selbst. Da stand nämlich, als Verheiratete bekomme ich unabhängig vom Einkommen der Eltern ein Stipendium. Ich heiratete daraufhin meinen homosexuellen Freund Dieter. Ihm war der Status ”Verheiratet” auch willkommen, da Schwulsein in der DDR zu dieser Zeit noch verboten war und nicht nur politisch verfolgt wurde. Für zehn Mark Schreibgebühren schlossen Dieter und ich also die Ehe. Wir bestanden auf einem Doppelnamen. Nach diesem formellen Akt unterschrieben wir beide ein persönliches Schriftstück, in dem wir uns verpflichteten, nach einem Jahr die Scheidung einzureichen. Grund: “Sexuelle Unverträglichkeit”. Das taten wir auch, ohne dem hohen Gericht mit Einzelheiten aufzuwarten. Die Scheidung kostete 200 Mark. Der Status: “Geschieden” garantierte mir weiterhin ein Grundstipendium von 185 Mark im Monat. Das war nicht viel, reichte aber zum Überleben.
Danach heirateten Alex und ich, obwohl Alex nach wie vor mit meinem Philosophiestudium nicht einverstanden war.
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