Situation A: Die Strategie der Organisation ist es, Produkte und/oder Dienste zu niedrigeren Preisen als die Konkurrenten anzubieten. Hintergrund dieser Strategie ist z.B., dass die Organisation auf einem reifen Massenmarkt mit harter Konkurrenz tätig ist, oder es kann sein, dass der Markt fragmentiert ist und das obere Management zu der Entscheidung kommt, dass ein Anbieter fehlt, der auf niedrige Preis setzt (die niedrige Preisnische ist noch nicht besetzt).
Leistungsbestimmende Faktor: Effektivität & Prozessreliabilität, d.h. das Einsetzen von Personal und Ressourcen auf eine kostenminimierende Weise (Produktivität steigern). Bei Prozessreliabilitiät geht es um eine Produktion von Produkten oder Diensten, die Verzögerungen, Fehler, Qualitätsprobleme und Unfälle minimiert. Diese beiden Ziele können potentiell einander entgegenwirken, aber durch z.B. weitgetriebene Standardisierung können auch beide erreicht werden.
Passendes direktes Führungsverhalten (Führungsstil): Aufgabenorientierung (Task Behavior/ Initiating Structure), d.h. ein Führungsstil bei dem folgendes betont wird: Planung mit eher kurzem Zeithorizont; Klärung von Rollen und Zielen; Überwachung von Prozessen und Leistung; Lösung von operativen Problemen.
Passende indirekte Führung (formale Programme, Management Systeme und formale Strukturen): Zielsetzungsprogramme (z.B. MBO, Null Fehler); Qualität- und Prozess-verbesserungsprogramme (z.B. Reeingineering, TQM, Six Sigma); Kostenreduktions-programme (z.B. Downsizing, Outsourcing, Just-in-time); Performance Management Systeme (Zielsetzung, Feedback, Leistungsbeurteilung); Organisatorische Strukturveränderungen (z.B. funktionelle Spezialisierung, Formalisierung, Standardisierung); Anerkennungs- und Anreizsysteme (fokussiert auf die Belohnung von Effektivität und Reliabilität).
Situation B: Die Strategie der Organisation ist es, qualifizierte Dienste zu liefern, die von Experten ausgeführt werden. Diese Situation setzt einen hohen Grad an Fähigkeit und Motivation der Mitarbeiter voraus. Weil die Mitarbeiter hoch qualifizierte Experten sind, können sie einfach zu einem Konkurrenten wechseln und/oder sich selbständig machen.
Leistungsbestimmende Faktor: Human Resources & Relationen, d.h. Rekrutierung, Entwicklung und Bindung von fähigen und motivierten Mitarbeitern und das Sichern von gegenseitigem Vertrauen und guter Zusammenarbeit in den Arbeitsgruppen.
Passendes direktes Führungsverhalten (Führungsstil): Relationsorientierung (Relation Behavior/Consideration), d.h. ein Führungsstil bei dem folgendes betont wird: Unterstützung und Förderung; Leistungen und Beiträge beachten; Fähigkeiten und Selbstvertrauen der Mitarbeiter entwickeln; bei Entscheidungen relevante Personen konsultieren; Mitarbeiter ermächtigen, ihre Arbeitsaufgaben mehr selbständig/autonom zu lösen; Vertrauen, Zusammenarbeit und Identifikation mit der Organisation fördern.
Passende indirekte Führung (formale Programme, Management Systeme und formale Strukturen): HR Planung (Talent Management, Nachfolgeplanung, Rekrutierung und Auswahlprogramme); Mitarbeiter Entwicklungsprogramme (Schulungen, Mentorprogramme, 360 Grad Feedback, Assessment Centers); Empowerment Programme (Mitarbeiter Teilhabe- Programm, selbstregulierende Arbeitsgruppen, Mitarbeiterräte); Anerkennungs- und Anteilsysteme (Fokus auf der Verstärkung von Loyalität, Service, Fähigkeitserwerb); Qualität des Berufslebens (flexible Arbeitszeiten, Job-sharing, Kinderbetreuung, Sportmöglichkeiten); Karriereberatung und Teambuilding Programme (Sozialisations- und Assimilations-programme, Organisationsfeiern, systematische Anwendung von Symbolen, Ritualen und Zeremonien).
Situation C: Die Organisation ist in einer Branche mit sehr kurzen Produktlebenszyklen und hartem Druck, ständig neue Produktmodelle zu entwickeln tätig. Die Strategie der Organisation ist es, an vorderster Reihe mit neuen Produkten auf dem Markt zu stehen und Innovationsleiter zu sein. Eine andere Situation kann sein, dass eine früher vor Konkurrenz geschützte Organisation durch politische Entscheidungen der Konkurrenz ausgesetzt wird. Dies stellt neue und große Anforderungen an einen Kulturwandel (in Richtung Kunden-/Marktorientierung) und damit zusammenhängende Veränderungen der Arbeitsweisen.
Leistungsbestimmende Faktor: Innovation & Anpassung, d.h. passende Reaktionen auf Bedrohungen und Möglichkeiten, neue Wege zu finden um Materialien und Ressourcen zu akquirieren, Maßnahmen um den Absatz zu steigern.
Passendes direktes Führungsverhalten (Führungsstil): Veränderungsorientierung (Change Behavior), d.h. ein Führungsstil bei dem folgendes betont wird: Überwachung der Umwelt; Identifikation einer relevanten Konkurrenzstrategie unter Berücksichtigung von Kernkompetenzen der Organisation und der Umwelt; formulieren und kommunizieren einer attraktiven Vision; interne und externe Unterstützung für die notwendigen Veränderungen aufbauen; das Implementieren notwendiger Veränderungen; kreatives Denken ermuntern; kollektives Lernen fördern.
Passende indirekte Führung (formale Programme, Management Systeme und formale Strukturen): Innovationsprogramme (Intrapreneurprogramme, formelle Ziele für Innovation und Kommerzialisierung, Budget für Forschung und Produktentwicklung); Programme um Konkurrenten zu verstehen (vergleichende Produkttests, Benchmarking von Produkten und Diensten der Konkurrenten); Programme um Kunden und den Markt zu verstehen (Marktuntersuchungen, Fokusgruppen, Kundenpanelen, Kunden-Relationsteams); Kenntnisse erweitern (Consultants beschäftigen, joint ventures, best-practice von anderen Organisationen übernehmen); Programme für kollektives Lernen (kontrollierte Experimente, durchgeführte Maßnahmen überprüfen); Knowledge-Management Systeme (Expertenverzeichnisse und Netzwerke, best-practice Forums, Datenbanken für Knowledge-Sharing; Anerkennungs- und Anreizsysteme (fokussiert auf Belohnung von Innovation und Anpassung); Strukturveränderungen (kleine Produktabteilungen, Produkt Managers, funktionsübergreifende Entwicklungsteams, Gestaltung der Räumlichkeiten für höhere Kreativität, R&D Abteilungen); Wachstums- und Diversifikationsstrategien (Erwerb, strategische Allianzen, Auslandstöchter).
2.1.6.1 Kommentare zum Flexible Leadership Model
Das Modell geht von den gut erforschten drei Führungsdimensionen aus und setzt sie in einen organisatorischen Zusammenhang. Yukl & Lepsinger (2004) betonen, dass das Modell umfassender ist als viele andere. Das Modell gehört eher, wie Mahsud, Yukl, & Prussia (2011) bemerken, zum strategischen Management; es verknüpft Führungsverhalten mit Managementtheorie und erklärt welches Verhalten und welche organisatorischen Strukturen wann und warum erfolgreich seien. Es geht weniger um genaue, praktische Anleitungen wie man gewisses Führungsverhalten richtig ausführt (z.B. wie man ein gutes Mitarbeitergespräch hält, konkrete Techniken um Mitarbeiter erfolgreich zu motivieren etc.).
Kaiser & Overfield (2010) stellen fest, dass es keine explizite Definition von ”Flexible Leadership” im Buch (Yukl & Lepsinger, 2004) gibt. Die Benennung ”Flexible Leadership” hängt aber wohl damit zusammen, dass Yukl & Lepsinger (2004) betonen, wie wichtig es für Führungskräfte sei, verschiedene Ziele laufend gegeneinander zu balancieren und ihr Führungsverhalten und ihre Entscheidungen über Programme und Strukturen, entsprechend anzupassen (”The real art of Leadership is to perform a balancing act”. S. 217). Allerdings ist es m.E. widersprüchlich, dass sie am Ende ihres Buches sechs Führungsprozesse und fünf Führungskompetenzen als generell wünschenswert präsentieren. Diese sollen sämtliche das ”Flexible Leadership” begünstigen. Der Kritikpunkt gilt vor allem den sechs Führungsprozessen: 1. Build commitment to a core ideology, 2. Build capable leadership at all levels, 3. Involve and empower people at all levels, 4. Keep lines of communication open, 5. Use rewardsystems to support multiple objectives, 6. Encourage and exemplify leadership by example. Punkt 1. hat deutlich mit dem LBF Innovation und Anpassung zu tun, Punkte 2. und 3. deutlich mit dem LBF Human Relations and Resources zu tun. Es scheint widersprüchlich, zuerst das Balancieren und Anpassen des Führungsstils an der Situation und den Zielen zu betonen, um danach doch mehrere der besprochenen Verhaltensweisen als generell passend zu empfehlen.
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