›Die Lustmuschis sind der totale Renner momentan.‹«
Bei diesem Satz verschlucke ich mich an meinem letzten Schluck Weißwein. Als ich mich wieder von meiner Hustenattacke erholt habe, antworte ich nur noch krächzend vor Lachen: »Das ist nicht dein Ernst. Ich geh kaputt. Du wolltest ihm eine Gummimuschi andrehen?«
»Hey, wir haben neue bekommen, die zucken sogar. Du glaubst gar nicht, wie gut die verkauft werden. Seine Selbstsicherheit hat er dann mit Müh und Not versucht zusammenzuhalten. Ich habe ihm dann augenzwinkernd versprochen, dass sein Freund es ihm danken wird, sobald er sie auch nur einmal benutzt hat. Tja, und somit war die Muschi verkauft. Ich habe sie ihm sogar noch hübsch verpackt, du kennst doch unsere tollen schwarzen Geschenkverpackungen. Er wollte mich dann für morgen Abend auf einen Drink einladen, denn zwischen uns hat es schon heftig geknistert, das sage ich dir. Ich habe ihm dann abgesagt und dass ich da leider schon verabredet bin. Aber glaub mir, wenn sich die Gelegenheit bietet, würde ich ihn nicht von der Bettkante stoßen.«
»Du kannst ruhig mit ihm was ausmachen, das ist doch kein Problem.«
»Ach Quatsch, Süße! Wir feiern doch jedes Jahr in deinen Geburtstag rein. Ich habe ihm meine Nummer gegeben und wir treffen uns einfach nächste Woche. Da fällt mir ein, hat sich George bei Dir gemeldet?«
»Du bist süß, danke! Aber versprich mir, dass du morgen Abend kein Wort darüber verlieren wirst, dass ich am Sonntag Geburtstag habe! Und ja, George hat mir gestern eine SMS geschickt, dass sie den Besuch verlegen müssen. Seine Mum ist gestürzt und sie braucht seine Unterstützung im Haus. Du weißt doch, sie hat die Pension in London.«
»Na klar, du kennst mich doch. Dass George nicht kommen kann, ist schade, aber aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. Dann bis morgen. Kuss.«
Wir beenden unser Gespräch und ich muss unweigerlich an George denken. Ich hätte mich sehr über einen Besuch von meinem guten Freund aus London gefreut. Viel zu selten sehen wir uns noch. Aber das ist verständlich, ich habe jetzt mein Leben hier in Berlin und er seines mit seinem Liebsten in London.
Seine Mutter führt mitten in London eine Pension und die ist immer ausgebucht. Da kommt so ein Unfall wirklich schlecht. Aber wir holen ja alles nach.
Ich gehe die Treppe hoch in mein Badezimmer, entledige mich meiner Sachen und werfe alles in meinen Wäschekorb. Dann binde ich meine Haare mit einer Haarspange zusammen, um zu duschen.
Unter der Dusche kann ich mich sichtlich entspannen und Sabrinas Geschichte von der Gummimuschi und dem geschockten Fremden schleicht sich wieder in meine Gedanken. Sie lässt mich nicht mehr los, sodass ich nicht mehr zu lachen aufhören kann.
TOMJoker lasse ich jetzt noch mal fix in den Garten, damit er seinen Bedürfnissen nachgehen kann. Dann muss ich aber auch schon los, ich habe heute noch so einiges zu besorgen.
»Joker, Joker komm!«, rufe ich ihn wieder herein und stelle ihm eine neue Schüssel mit frischem Wasser neben seinen Hundekorb. Da ich noch keine Gartenbegrenzung habe, muss Joker drinnen bleiben, sonst würde ich ihn gerne draußen lassen.
Als er endlich hört, tippelt er in sein Körbchen und ihm fallen erschöpft seine Augen zu. »Ich bin dann gleich wieder da, Kumpel.« Mit diesen Worten und einer kleinen Krauleinheit verabschiede ich mich von ihm. Ich schnappe mir meinen Autoschlüssel sowie mein Portemonnaie und verlasse das Haus. Auf dem Weg zu meinem Pick-up schaue ich nach nebenan.
Ellas MINI steht noch in ihrer Auffahrt. Was sie wohl an einem Samstag so macht? , frage ich mich in Gedanken.
Kopfschüttelnd steige ich in mein Auto, da ich nicht mehr aufhören kann, an sie zu denken. Laufend kreist sie durch meine Gedanken.
Meine erste Anlaufstelle ist kurz darauf ein großer Baumarkt mit einer riesigen Gartenabteilung. Mir sind noch niemals zuvor diese ganzen quietschbunten Gartenzwerge aufgefallen, aber jetzt stechen sie mir förmlich ins Auge, wie ich hier so rumschlendere.
Schon bald habe ich einen gefunden, der dem aus Ellas Garten farblich ähnelt. Er hat auch einen dicken Bauch, trägt eine Lederhose sowie eine grüne Mütze. Da der riesige Zwerg mir bis zur Hüfte reicht, wundert mich der horrende Preis auch nicht. Ich packe den Zwerg in meinen Einkaufswagen und fahre zur Kasse. Die Leute werden sicher denken, ich wolle meiner Oma eine Freude machen! , folgere ich und schmunzle vor mich hin.
Doch mir ist eigentlich egal, was die Leute denken könnten, die Hauptsache ist, ich kann damit Ella ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Nachdem ich bezahlt habe, schnalle ich meinen neuen Kumpel auf dem Beifahrersitz fest.
Ich hatte noch nie eine so lustige Autofahrt, denn die Reaktionen des Gegenverkehrs, als dieser bemerkt hatte, was da neben mir sitzt, waren einfach zu köstlich. Mein nächster Halt ist der große Supermarkt ganz in der Nähe. Mit einem Einkaufswagen bewaffnet, stelle ich mich der Herausforderung, ohne Einkaufszettel an alles zu denken. Steaks, Bauchspeck sowie Putenschnitzel, Grillsaucen, Wein, Chips, Baguette und Kräuterbutter liegen bereits in meinem Korb. Ich überfliege erneut alle Gänge, damit ich nicht doch noch etwas vergesse.
Da sehe ich Ella an einem Blumenstand stehen. Sie hat einen Strauß Sonnenblumen in ihrer Hand und riecht daran. Dabei hält sie ihre Augen geschlossen und genießt es, in vollen Zügen den Duft der Blüten in sich aufzunehmen. Das sieht man ihr richtig an. Doch dann gibt sie den Strauß zurück und dreht sich in meine Richtung. Sie schaut traurig aus. Damit sie mich nicht entdecken und denken kann, ich würde sie beobachten, mache ich mich ganz schnell auf den Weg zu den Kassen. Ich bezahle den Inhalt meines Korbes und halte beim Hinausgehen am Blumenstand an. Ich nehme den größten Sonnenblumenstrauß, den ich bekommen kann und mache mich auf den Heimweg. Zuhause angekommen, verstaue ich meine Einkäufe in meiner Küche. Alles Verderbliche kommt bei der Wärme sofort in den Kühlschrank. Ich stelle den Zwerg in der Garage auf meine Werkbank, nicht, dass Joker ihn noch mal umrennt, wenn er ihn sieht. Dann hole ich eine große Bodenvase aus einem der Kartons und fülle sie mit Wasser für die Sonnenblumen. Der Strauß ist wirklich schön, warum hat er sie nur so traurig gemacht? , frage ich mich in Gedanken.
Am nächsten Morgen wache ich doch später auf als geplant. Nach meinem Frühstück fahre ich mit meinem schwarzen MINI in das große Einkaufscenter, da ich dort alles auf einmal bekomme, was ich benötige. Mit einem Einkaufskorb bewaffnet, fahre ich beschwingt an den Verkaufsständen vorbei und halte - beim Anblick der Farbenpracht - an einem Blumenstand an. Das sieht alles so toll aus und dieser Duft ist einfach himmlisch. Sofort fällt mir ein großer Strauß Sonnenblumen auf.
Ich fühle mich immer zu Sonnenblumen hingezogen.
Vielleicht liegt es an meinem Sternzeichen. Ich bin Löwe, Sonnenblumen sind die Blumen der Löwen. Oder aber, weil ich sie jedes Jahr zu meinem Geburtstag von einem für mich sehr wichtigen Menschen geschenkt bekommen habe, schwelge ich in Erinnerung. Die Floristin hat wirklich tolle Sträuße gebunden, alle sind so farbenfroh. Ich greife mir meine Lieblingsblumen, schließe meine Augen, inhaliere den Duft und drifte abermals in meine frühere Welt.
Das Leben eines jungen Mädchens. In meine Welt, die Schatten trägt. In meine Vergangenheit, die so viele traurige Dinge beinhaltet. Die ich immer gut verdrängen kann, bis zu dem Tag vor und an meinem Geburtstag.
Sofort merke ich, wie meine leichte und beschwingte Art verfliegt und ich traurig werde. Am Rande höre ich noch eine Stimme. Ich öffne meine Augen und blinzle, um die Floristin vor mir stehen zu sehen, die mich verdutzt fragt, ob ich Interesse an diesem Strauß habe. Meine Hände sinken nach unten, ich schaue den Strauß an und schüttle verneinend den Kopf. Die Verkäuferin nimmt ihn mir verwirrt aus den Händen und stellt ihn zurück in die Vase. Niedergeschmettert drehe ich mich um, greife nach meinem Einkaufswagen und fahre in den Supermarkt hinein. Ich atme tief durch und arbeite meinen Einkaufszettel wie ferngesteuert ab. Ich stelle mich an den langen Schlangen an, wie sie für einen Wochenendstag üblich sind, und lade schließlich alles auf das Förderband, als ich an der Reihe bin. Ich bezahle die Einkäufe und stelle alles in den Kofferraum meines kleinen, geliebten Autos. Ich bereue es bereits, heute Abend nicht allein sein zu können, um mich in meinem Mäuseloch zu verkriechen.
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