Wie Motivation, Produktivität und Kreativität von Mitarbeitern in der Easy Economy dadurch steigen, dass ihre Arbeitgeber ihnen mehr Freiheit, Flexibilität und Eigenverantwortung zugestehen, wird im zweiten Teil des Buches Thema sein. Aber was bringen die klassischen Motivationsideen der guten alten New Economy, die heute in vielen Unternehmen Einzug gehalten haben? Tischtennisplatte, kostenlose Massage, frisches Obst für alle ...
Kapitel 3
»Jede Stunde, die er dem Büro entzogen wurde, machte ihm Kummer.«
Franz Kafka, Der Prozess
Kicker, Massage, Obstkorb: Das Feigenblatt der Incentives
Die stressigsten Jobs sind oft zugleich die komfortabelsten. Im einen Büro gibt es morgens frisch gepressten Vitaminsaft für alle am Empfang, mit Essensgutscheinen kann man im Öko-Deli um die Ecke Wraps und Salat kaufen, die Mitgliedschaft im Fitnessstudio kostet nichts und noch auf der Firmentoilette sind kleine Fernseher installiert, auf denen man die Börsenkurse von n-tv checken kann. Beim nächsten steht ein Kickertisch in der Teeküche, im Kühlschrank finden sich französisches Wasser und deutsches Bier für alle. Im dritten gibt es umsonst Obst, so dass man für den Nachmittags-Snack gar nicht mehr aus dem Haus muss. Wenn die langen Schreibtischstunden den Nacken verspannen, bucht man 20 Minuten beim Masseur, der ins Büro kommt - natürlich kostenlos für alle Mitarbeiter. Der Kaffeevollautomat brüht hervorragenden Cappuccino und Espresso - und ist dementsprechend ständig umlagert. Wenn es abends spät wird, lässt der Chef Pizza oder Sushi kommen.
Schöner lässt es sich eigentlich nicht arbeiten, oder? Selbstverständlich sind bei derartigen Jobs die Schreibtische geräumig, die Räume durchdesigned, die Stühle ergonomisch. Manche Arbeitgeber versuchen mit solchen Extras - gut gemeint, aber häufig hilflos - der Frustration und Überarbeitung gegenzusteuern: »Firmen holen für ihre Mitarbeiter Lebensberater oder Masseure ins Haus, ordern Bügeldienste oder bauen für Belegschaften einen kompletten Kindergarten auf«, schreibt die ZEIT und analysiert zum Jahreswechsel 2007/2008: »Offerten zur Entspannung im Büro und zur Auflockerung grauer Arbeitsalltage sind eine ertragsstarke Wirtschaftsbranche geworden.« Sogar das sonst streng karriereorientierte Magazin Wirtschaftswoche brachte eine Serie über die Nachteile von Stress und legte einer Ausgabe eine beruhigende Musik-CD bei. Und doch ... glücklich machen diese neudeutsch »Goodies« oder »Incentives« genannten Nettigkeiten eigentlich niemanden. Denn auf der anderen Seite der Gleichung stehen in der Regel knochenbrecherische Arbeitszeiten. Überstunden sind normal, die Chefs essen selbst am Schreibtisch, wer zwischendurch mal einkaufen geht, kann sicher sein, per Handy gefragt zu werden, wo er gerade steckt. Ambiente und Ausbeutung hängen oft zusammen.
Das Wohlfühlbüro als Lebensersatz
Zu durchsichtig ist die Motivation der Arbeitgeber: Gebe deinen Angestellten eine angenehme Umgebung sowie gutes Essen, Getränke und harmlose Möglichkeiten kurzzeitiger Ablenkung - und sie werden das Büro überhaupt nicht mehr verlassen wollen. Die Mittags-, mindestens aber die nachmittägliche Kaffeepause kann entfallen. Die permanente Versorgung mit Koffein sorgt für einen durchgehend hohen Leistungspegel. Vitamine, Massage und eine Grundbegeisterung für körperliche Fitness senken Krankmeldungen auf das unvermeidliche Minimum. Kurz: Der kluge Chef macht das Büro zum zweiten, zum besseren Zuhause. Wenn mir meine Kollegen sowieso den Freundeskreis ersetzen, weil ich andere Menschen kaum noch zu Gesicht bekomme, dann kann ich mangels Alternativen spät am Tag auch noch länger mit ihnen zusammen sitzen, über - na was wohl? - die Arbeit sprechen, oder eben schlicht: bis in die Nacht arbeiten. Das Wohlfühlbüro wird so zum Lebensersatz.
In dieser verbreiteten Wellness-Konstruktion finden effizienzsteigernde Arbeitgeberperfidie und durchaus gut gemeinte rheinisch-kapitalistische Unternehmerverantwortung aufs Schönste zusammen. Das hat für den Mitarbeiter auch Vorteile: Schafft der Betrieb eine gute Espressomaschine an, spart der moderne Angestellte den regelmäßigen Weg zum Coffeeshop. Und das Unternehmen verhindert, dass der Latte-Macchiato-Nachschub jedes Mal eine Arbeitsunterbrechung von gut 20 Minuten verursacht.
Insofern will natürlich niemand die Annehmlichkeiten zeitgenössischer Büro-Innovationen wieder zurücknehmen. Doch es lohnt ein kurzer Blick auf die historische Perspektive, um zu verstehen: Die Infrastruktur von Büros war schon immer auf Leistungssteigerung ausgerichtet. Nach Stempel, Schreibmaschine und Telefon hilft heute eben der Espressovollautomat, noch mehr Arbeit aus den Mitarbeitern herauszuholen.
Eine kurze Kulturgeschichte des Büros
Wer den Begriff »Büro« im Lexikon nachschlägt, erfährt, dass dieser sich aus dem französischen »Bureau« ableitet, welches wiederum vom altfranzösischen »Bure« oder »Burel« (zu deutsch etwa: »grober Wollstoff«) stammt, mit dem Schreibtische oder -pulte früher bespannt waren. Eine Ausstellung im Paderborner Heinz Nixdorf Museumsforum zur Kulturgeschichte des Büros definiert es als jenen Ort, »an dem Menschen Informationen sammeln, verarbeiten, archivieren, von anderen erhalten und weitergeben«. Bis heute sind die Kulturtechniken Rechnen und Schreiben dazu notwendig. Erst in jüngster Zeit, so die Kuratoren, seien auch PC-Kenntnisse unerlässlich geworden.
Die Entwicklung des modernen Büros nahm ihren Ausgang in der Renaissancezeit. Seit dem Ende des Mittelalters hatte sich ein stetig wachsender Fernhandel entwickelt und von Italien ausgehend kamen neue Formen der Buchhaltung und Finanzierung auf. Der zentrale Arbeitsraum im Kaufmannshaus war Mittelpunkt der gesamten Geschäftsvorgänge. Die Kontrollierbarkeit der Geschäftsvorgänge und die Vorausplanung erforderten ein erhöhtes Maß an schriftlicher Niederlegung und Verwaltung. Daher wurde der Schreibtisch des Kaufmanns zum wichtigsten Möbel seines Kontors. Gänsekiel, Tintenfass, Schreibpult und Münzwaage waren die wichtigsten Utensilien. Die stetig steigende Menge an Schriftstücken wurde noch nicht alphabetisch, sondern nur chronologisch geordnet in Geschäftsbüchern niedergeschrieben oder lose aufgestapelt.
Das 19. Jahrhundert war nicht nur eine Epoche der Industrialisierung und Massenfabrikation, sondern auch jene Ära, in der die moderne Verwaltungsarbeit erfunden wurde. Steigendes Steueraufkommen, umfangreiche Planungs- und Überwachungsaufgaben und das Sozialversicherungswesen ließen besonders in Preußen einen bürokratischen Apparat entstehen, der zum Vorbild für andere Staaten, aber auch für Großunternehmen der freien Wirtschaft wurde. Leitbild für die bürokratische Arbeit war das Militär, darum prägten Korrektheit, Disziplin und bürokratische Zweckmäßigkeit den Arbeitsalltag: Sauberes Schreiben mit Stahlfeder, Federhalter und Tintenfass war unerlässliche Voraussetzung für Amtstätigkeiten. Stempel, Vordrucke und das Vervielfältigen von Schriftstücken mit der Kopierpresse erleichterten die zunehmende Gleichartigkeit und Wiederholbarkeit der Verwaltungsvorgänge.
Die Büroarbeit wurde räumlich immer stärker spezialisiert: Das Schreiben, Kopieren, Rechnen, Kassieren, Ablegen fand nun zunehmend in eigenen Räumen statt. Die Arbeit des einzelnen wurde stärker bürokratisch kontrolliert und reglementiert - so wurde nun erstmals das Essen am Arbeitsplatz verboten. Die Einführung von Gaslicht, später von elektrischer Beleuchtung, verbesserte die Lichtverhältnisse in den oft düsteren Büros erheblich und ermöglichte längeres Arbeiten. Mechanisierung der Büroarbeit und neue Kommunikationsformen wie das Telefon hielten erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts Einzug in deutschen Amtsstuben.
Читать дальше