Löw ging nach Draußen und ließ den ganzen Haufen antreten. Natürlich war in der Zwischenzeit das große Volksgemurmel ausgebrochen. Lehmann erfuhr von dem Zwischenfall und war ebenfalls etwas echauffiert von meinen Eskapaden.
Löw erteilte mir vor der versammelten Truppe einen strengen Verweis und tobte sich dabei richtig aus. Alles stand im Stillgestanden und sah zu mir, der ich vorne die Beschimpfungstiraden über mich ergehen lassen musste. Dann folgte die ausdrückliche Anweisung von Löw, dass niemand mehr schießen durfte und die Waffen deaktiviert werden sollten. Jeden Befehl eines Offiziers, gleich wer es auch sein möge, sei zu ignorieren.
Dann ließ der Oberst rühren. Wir, die Gruppenführer, sollten jetzt mit ihm eine Besprechung abhalten und die Truppe derweil das Material checken. Zu viert gingen wir also wieder in das Gebäude und Löw wollte von uns wissen wie wir vorgegangen waren und was sonst noch passiert war.
Mit Klaus fing er an. Er war, wie befohlen, auf der Landstrasse zum Warndtweiher vorgerückt und dann durch die Waldroute in Creutzwald eingedrungen. Löw hörte sich den Vortrag, der nicht viel Eigeninitiative erkennen ließ, an.
Dann fragte er:„ Haben sie die Systeme überprüft und die Leute mal etwas üben lassen. Wie man sich verhält wenn was passiert ?“
„ Wir haben einmal angehalten um ein paar fiktive Ziele ins Visier zu nehmen. Ansonst setzte ich den Schwerpunkt auf das zügige Vorrücken und das Erreichen des Ziels. Von Kampfübungen oder dergleichen habe ich weitestgehend Abstand genommen, war ja auch nicht befohlen worden !“
„ Danke, Hauptmann Trompeter “: sagte Löw lapidar und nickte dann zu Lehmann hinüber.
Der erzählte sinngemäß das gleiche. Auch er hatte sich zügig an den Fahrplan gehalten und jede unnötige Aktion vermieden. Wie befohlen!
Dann erzählte ich meine Geschichte. „ Ich war, wie vorgesehen, querfeldein vorgerückt und hatte dabei permanent sichern lassen. War also etwas anders vorgegangen “.
Ich begründete dies damit, dass es doch wohl ein Unterschied sei, ob man über eine Strasse aufmarschiert oder über Wald und Flur. Die Leute hätten bei mir gelernt, wie man sich möglichst effektiv gegenseitig deckt und dabei im Gelände vorstößt. Um den Lerneffekt zu erhöhen und zu veranschaulichen, hatte ich dann angeordnet den gemeinsamen Feuerüberfall auf die I Gruppe zu unternehmen. Ich schilderte die Ereignisse in allen Einzelheiten und wies darauf hin, dass die I Gruppe nicht einmal in der Lage war die drei Wiesel zu entdecken, welche meinen Vormarsch von hinten sicherten. Abschließend sagte ich dann noch selbstbewusst:„ Herr Oberst, ob Manövermun. oder scharf, meine Leute haben mehr gelernt als die von Trompeter oder Lehmann. Ist es meine Schuld, dass die Latte so niedrig lag. In fünf Tagen stehen wir im Kampf gegen einen überlegenen Gegnern; wollen sie denen auch Marschbefehle geben ?“
Löw hatte sich meinen Vortrag angehört und schüttelte den Kopf. Er sagte dann bedächtig:
„ Schneider, pass mal auf. Ihre guten Absichten in ehren. Aber wir sind hier immer noch in einer Armee und nicht beim Betriebsmobbing in irgendeiner Firma. Wenn ich mir morgens die Mühe mache und euch MEINE Vorstellungen einer Übung näher bringe, dann brauchst DU nicht hingehen und katholischer als der Papst sein. Also ich fasse nun mal zusammen. Die Truppe verteilt sich jetzt auf die ganze Ortschaft und sie erläutern dabei die Grundlagen der Gefechtsführung. Wie man tarnt und sich gegenseitig sichert! Es wird weder geschossen noch sonst irgendein Zirkus veranstaltet. Das gilt besonders für die III Gruppe !!“
„ Jawohl, Herr Oberst “: sagte ich kleinlaut und die beiden anderen ebenfalls.
Löw zog daraufhin eine Karte hervor und rief nach Leutnant Gieck, der sich in der Stadt sehr gut auskannte.
Wir besprachen dann die „Besetzung“ der Stadt. Klaus bekam die Aufgabe den Südwesten zu übernehmen. Dort lag die Plattenbausiedlung für die Marokkaner. Das war schon vor dem Krieg eine trostlose Gegend ohne Perspektive und dazu menschenverachtend konzipiert. Die meisten Gebäude waren durch Brände zerstört worden und standen einsam und verlassen in der Gegend. Die Bewohner hatten sich gegenseitig umgebracht oder waren emigriert. Dort konnte man jetzt ungestört Krieg spielen. Lehmann bekam das Industriegebiet zugeteilt und ich sollte die Gebäude entlang der Route National 33 besetzen. Gieck stellte jeder Gruppe einen Zug Infanterie zur Seite, außer meiner III. Diese sollte ebenfalls etwas Erfahrung sammeln und an der frischen Luft die müden Knochen durchschütteln.
„ Die IV Gruppe unter Hauptmann Gruner und Schmitt wird gerade aufgestellt und stößt im Laufe der nächsten Stunde zu uns. Ich werde sie hier im Stadtzentrum verteilen “,: sagte Löw.
Nachdem das geklärt war entließ er uns . Zu mir sagte er dann noch:„ Schneider, sie nicht, sie bleiben bitte noch einen kleinen Moment !“
Gieck zog die Tür hinter sich zu und ließ mich mit meinem Chef alleine.
Roland stand auf und begann zu erzählen:„ Jetzt pass mal auf Stephan, dein Temperament bringt dich entweder wieder vors Kriegsgericht oder unter die Erde. Kein Mensch hätte dich für unfähig oder feige gehalten, wenn du einfach nur durchgefahren wärst und den Markplatz als erster besetzt hättest. Statt dessen geht dir wieder mal der Gaul durch und du schießt auf die Gruppe deines Freundes und warum?? Wolltest du wirklich nur deiner Gruppe veranschaulichen wie man richtig vorrückt. Ich denke eher das dir meine Befehle nicht spektakulär genug waren und du unbedingt mit einer „brillanten“ Aktion glänzen wolltest. Dir reicht es nicht einfach nur zu gewinnen. Du musst immer derjenige sein, der dem Ganzen die Krone aufsetzt. Hör damit auf, du ruinierst dich damit nur selbst. Der Anschiss von eben tut mir echt leid, normalerweise macht an so was ja unter vier Augen und im stillen Kämmerlein, aber bei dir würde das gar nichts nützen. Du würdest nur „Jaja“ sagen und mit den Augen rollen. Außerdem habe ich als junger Fähnrich mal einen Streifschuss an der Schulter abgekriegt, weil einer meiner Ausbilder mir veranschaulichen wollte, wie es im Gefecht zugeht. Der Mann ist danach von mir und meine Kameraden ordentlich verprügelt worden . Unser Kompaniechef hat kein Wort darüber verlauten lassen. Der Ausbilder ist offizielle die Treppe runtergefallen und hat danach seinen Abschied eingereicht. Soviel dazu. Jetzt geh raus und mach mich Stolz dein Chef zu sein !“
Ich hatte mir den Vortrag angehört und ging mit einer völlig unpassenden Bemerkung hinaus: „ Melde mich ab Herr Oberst “.
Es war mir anzusehen, dass ich mich ungerecht behandelt fühlte. Natürlich war ich auf mich selbst wütend und verdammten diesen Scheiß-Tag. Der Oberst hatte mich vor allen Leuten zur Schnecke gemacht und mir danach noch ein riesen Gespräch gehalten. Am liebsten hätte ich mich zu Ulla ins Bett gelegt und mich bei ihr ausgeweint, wie gemein wieder alle zu mir waren. Mein Löwenherz war schwer verletzt worden und ich hatte augenblicklich die Lust verloren überhaupt was zu tun. Ich suhlte mich in meinem Selbstmitleid und ließ die beleidigte Leberwurst heraushängen.
Draußen wartete meine Gruppe auf mich. Die anderen waren schon alle weg, nur sie standen noch immer hier rum und warteten auf mich. Sie merkten gleich woher der Wind wehte, als sie mein Gesicht sahen. Ich ging ohne Feuer in den Augen und ohne Haltung auf sie zu und sah so richtig eingeschnappt und lustlos aus.
Thiel fragte dann:„ Herr Major, wir stehen immer noch hinter ihnen und gehen mit ihnen durch dick und dünn !“
„ Ach sein sie bloß still, ich hab die Schnauze so voll, das können sie sich gar nicht vorstellen. Am liebsten würd ich alles hinschmeißen und die Uniform ausziehen. Wär ich doch heut morgen bloß im Bett geblieben “.
Читать дальше