Plötzlich umfasste etwas ihre Hand und riss sie mit dieser Berührung zurück in den Lastwagen. Amelie saß noch auf dem Beifahrersitz. Geparkt vor ihrer Garage.
»Ich kenne deinen Garten noch nicht, wäre es nicht witzig, wenn wir durch die Terrassentür ins Haus gehen? Wir könnten auch ein Fenster nehmen, ich glaube im Wohnzimmer habe ich es zum Lüften aufgelassen, wegen der Farbe.«
Ein Fenster.
Amelie blinzelte mehrfach und starrte den Clown fassungslos an. So recht verstand sie seine Worte noch nicht, also schwieg sie und hörte auf ihr polterndes Herz. Doch ihr Herz schien besser zu verstehen, was der Clown damit andeutete, denn es zog sich ganz zaghaft wieder zusammen.
»Das Fenster also, eine vortreffliche Wahl«, sagte er, obwohl Amelie rein gar nichts erwidert hatte.
Der Clown schaltete den Motor aus, öffnete seine Fahrertür und begann die Einkaufstaschen um das Haus herum zu tragen. Immer noch saß Amelie im Wagen, beobachtete den Clown, wie er ging und nach ein paar Minuten zurückkehrte. Er schenkte ihr zunächst keine weitere Aufmerksamkeit und entlud in aller Ruhe die Taschen, schaffte jede einzelne hinter das Haus, kam wieder und nahm die nächsten in Angriff. Als er dann die letzten beiden in den Händen hielt, öffnete er ihre Beifahrertür. Derweilen ging Amelies Atem deutlich langsamer, ruhiger, als verstünde ihr Körper, dass es dieses Mal besser sein würde.
Wortlos hielt er ihr eine Einkaufstasche entgegen. Amelie nahm sie an. Schweigend gingen sie in den Garten, dessen Unkrautüberwucherung sie kaum zur Kenntnis nahm. Dann sah sie das Fenster, wie es sperrangelweit in ihr Haus einlud. Der Clown kletterte zuerst hindurch, ging durch das Wohnzimmer, Richtung Küche und rumorte dort herum. Er wandte ihr den Rücken zu, so, als wüsste er ganz genau, dass Amelie nicht beobachtetet werden wollte. Als gäbe er ihr, sehr bewusst, die Privatsphäre diesen Moment zu durchleben, auszutesten, ob sie dafür bereit war und flüchten zu können, wenn dem nicht so wäre.
Ihr Herz schlug sanft gegen ihren Brustkorb, als sie die Einkaufstüte zuerst hinüberlegte und schließlich selbst in ihr Haus einstieg. Durch das Fenster. Durch das Fenster im Wohnzimmer. Nicht durch die Haustür. Amelie wartete auf den Moment, in dem die Panik ruckartig zurückschießen, die Trauer wie ein Donnerwetter auf sie hinabprasseln würde. Doch es passierte nichts.
***
Die Ware verfrachteten sie einfach in die Küche, stopften sie in alle möglichen Schränke. Durch den Mangel an sonstigen Lebensmitteln hatte sie dafür auch reichlich Platz.
»Wunderbar, dann können wir jetzt das Essen bestellen«, verkündete der Clown, zufrieden mit seinem Schaffenswerk in der Küche, in der nicht gekocht werden durfte.
»Sehr gut, ich sterbe vor Hunger.«
»Das trifft sich gut«, sagte er, griff nach einem Prospekt und wählte auffällig auf seinem Telefon herum. »Guten Tag, ja ich würde einmal bitte die gesamte Karte bestellen.«
Amelie fiel die Kinnlade runter, doch sie sagte nichts. Immerhin würden sie dann satt werden. Den Rest konnte sie immer noch im Kühlschrank aufbewahren. Eigentlich keine mal so schlechte Idee. So müsste sie die Tür seltener öffnen. Das musste sie sich merken.
Der Pizzabote staunte nicht schlecht, als er einem Clown und einer Zahnpasta die Lieferung überbrachte. Die Rechnung durfte natürlich Amelie begleichen, doch das sollte ihr nur recht sein. Solange sie danach ihre Ruhe hatte, tat sie einfach das, was dem Clown gerade durch den Kopf schoss. Dazu gehörte auch, dass sie im Wohnzimmer, neben dem schon vorhandenen Fernseher, außerdem noch ihren Laptop und den Fernseher aus dem Schlafzimmer aufbauten und gleichzeitig unterschiedliche Filme laufen ließen.
»So kriegt man viel mehr mit, verstehe gar nicht, warum das nicht jeder macht.«
»Ja, total eigenartig.« Dabei musste Amelie zugeben, dass sie es etwas belustigend empfand. Allerdings war ihr Stolz, so winzig er mittlerweile sein durfte, dennoch ausreichend genug, um sich nicht noch weiter dem Clown gegenüber zu öffnen. Schlimm genug, was sowieso bereits an diesem Tag geschehen war.
Sie verbrachten den Abend zusammen, sahen sich neun Filme in drei Stunden an und aßen so viel, wie sie verdrücken konnten.
Als Amelie langsam in den Schlaf abdriftete, vermeldete sie, dass es Zeit war, ins Bett zu gehen. Sie betrat, trunken vor Überfütterung, ihr Schlafzimmer und fiel geradewegs auf ihr Bett. Für einen Moment war sie dankbar dafür, dass dieser Clown erschienen war. Von diesem ereignisreichen Tag war sie derart erschöpft, dass sie sich wohl zum ersten Mal seit Maths Tod nicht in den Schlaf weinen würde.
Tatsächlich glaubte sie bereits in einen Dämmerschlaf zu gleiten, als sie dieses eigenartige Geräusch vernahm. Sie lauschte etwas abwesend, in der Hoffnung, dass es nur der Clown war, der wohl seinen Weg selbst hinausfand. Dabei kräuselte sie verärgert über sich selbst die Stirn. Sie sollte wohl besser die Haustür abschließen, auch wenn ihr dies als lächerlich erschien. Was sollte ihr jetzt noch im Leben passieren, was sie noch weiter hinunterreißen konnte? Und wer sollte ihr noch mehr rauben, als sie bereits verloren hatte? Den Fernseher und alles, was transportabel war, konnten Einbrecher getrost mitnehmen. Sie würde nichts missen.
Amelie lauschte für eine Weile den eigenartigen Geräuschen aus dem Erdgeschoss. Ja, was genau tat der Clown dort eigentlich? Zuerst ein Rauschen, als würde er etwas... über den Fußboden zerren. Unwillkürlich musste sie an Leichensäcke und Gruselfilme mit Clowns denken. Was hatte er jetzt noch vor? Amelie grunzte unzufrieden, ihre Faulheit überwog für einige Minuten, bis—
KAWUUUUUUUUHMMMMMMMM.
Mit einem Schwung saß sie kerzengerade im Bett.
»CLOWN?!« Zu Schreien stellte sich als zwecklos heraus, dieser tosende Lärm war schlichtweg zu überwältigend. Es brummte und polterte, das Vibrieren dieser Quelle durchzog die Wände des gesamten Hauses.
»Was tust du da?« Eigentlich dachte Amelie, dass sie kreischen würde, doch die Worte entkamen ihr mehr wie ein Krächzen einer Krähe. Sie stand im Wohnzimmer und musste mehrfach hinsehen, um zu realisieren, was sie dort vorfand.
»Was glaubst du denn, wo Clowns schlafen?«
»Schlafen?! GEH BITTE! Der Tag war supertoll, mein Haus gleicht einer einzigen Farbparty, du hast deinen Job wunderbar gemeistert, doch jetzt hört der Spaß auf.«
»Ich glaube eher nicht. Es hat gerade erst angefangen. Und jetzt geh schlafen, wir haben morgen viel vor«, sagte er bestens gelaunt, während er seelenruhig mit einem Kompressor in einer tosenden Lautstärke eine Hüpfburg mitten im Wohnzimmer aufbaute.
Eine Hüpfburg.
Amelie wehrte sich gar nicht dagegen. Fassungslos schüttelte sie den Kopf und hoffte, dass der Clown einfach von selbst die Sachen am nächsten Morgen packen und gehen würde. Immerhin musste er auch arbeiten und sein Geld verdienen. Und irgendwann wurde so einem Menschen auch langweilig, selbst einem Clown.
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