1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 „Na, wenn du in der Arbeit auch so ein Tollpatsch bist...“, sagte Jana belustigt.
Diesmal hatte ich seltsamerweise kein Problem damit, den Emotionen in meiner Mimik freien Lauf zu lassen.
„War doch nur ein Scherz. Wieso starrst du mich so böse an?“
„Entschuldige“, antwortete ich, senkte meinen Blick beschämt auf den Boden und holte mehrere Papiertaschentücher aus meiner Hosentasche, um mein Missgeschick wieder unkenntlich zu machen.
Wenngleich ich auch ständig versuchte mir die Konversation der beiden nicht zu Ohren kommen zu lassen, so bekam ich doch irgendwann mit, wie sie sich über die aktuellen Kinostreifen unterhielten.
„Der soll gut sein“ sagte Christoph und ich sah das giftige Verlangen in seinen Augen.
„Wir könnten ihn uns ja ansehen, oder?“
„Ich hole dich ab“, meine Christoph kompromisslos. Ich konnte nicht mehr, musste mich ablenken und schielte wieder auf den Bildschirm, die Schlussphase des Finales. Immer noch führte der Favorit mit 1:0. Christoph schien der klare Favorit bei Jana zu sein.
Ich fühlte mich wie ein Hund, den Jana bei Bedarf an der Leine führte und der ihr jeden Tag die Zeitung bringt. Wie ein dummer Hund, der immer lieb gestreichelt und gefüttert wird, aber trotzdem nie im Bett des Frauchens schlafen darf und hinter dessen Rücken womöglich nur über ihn gelacht wird.
Meine Hand umklammerte den Stutzen fest, als ob sie ihn zerdrücken wollte, als ich zu einem großen Schluck ansetzte.
„Ich bin am Klo.“
Für kurze Zeit fühlte ich mich, als wäre mir der Alkohol zu schnell in den Kopf gestiegen und ich drückte mich rücksichtslos durch die Fußball schauende Menschenmenge, um zur Toilette vorzudringen. In dem kleinen, braun gefliesten und mit Leuchtstoffröhren ausgestatteten Flur stand ein etwa achtzehnjähriger Junge, der betrunken auf dem Fensterbrett saß. Seine Füße baumelten gegen einen kalten Heizkörper und sein Kopf hing kraftlos zu Boden. Stark verzögert reagierte er auf mein Erscheinen und sah mich ausdruckslos an.
„Äh, ich hab eben gehört, du sollst da rein“, sagte ich und deutete auf die Türe zum Damenklo auf der groß und deutlich eine schwarze Frau abgebildet war.
„Da rein?“
„Ja. Schau doch mal rein.“
Der Junge erhob sich unbeeindruckt und öffnete die Türe zur Damentoilette. Während ich auf der anderen Seite ins Herrenklo eintrat, hörte ich einen weiblichen, lauten Schrei und ein ekelhaftes Geräusch, das vermutlich durch das Erbrechen des Jungen erzeugt wurde. Ich fühlte mich schlecht. Schlecht und Verzweifelt. Beschämt urinierte ich ins Pissoir und versuchte die aufgeklebte Fliege zu treffen. Mein Strahl wich keinen Moment von ihr ab. „Wieso lande ich bei Jana nie einen Treffer“, fragte ich mich stumm. „Aber wenn ich ihr sage, was ich für sie empfinde, dann zerstöre ich unsere Freundschaft und davor habe ich viel zu große Angst.“
Eine feige Ausrede ist das, mehr nicht. Das weiß ich.
Mit leerer Blase aber bedrücktem Herzen kehrte ich zurück zu meinen Freunden. Beide lachten und sahen glücklich aus. Als ich mich wieder zu ihnen stellte, schienen sie mein Erscheinen gar nicht wahrgenommen zu haben und ich versuchte mich auf die letzten Minuten des Fußballspiels zu konzentrieren. Immer wenn ich alleine war, dann wollte ich bei Jana sein. Und wenn ich dann bei ihr war, musste ich mit ansehen, wie ich nur einem Traum hinterherlief.
Wenige Minuten später war auch das Fußballspiel vorbei. Der Favorit gewann 1:0 und ich blätterte die bunte Getränkekarte durch.
„Wieso bist du denn heute so ruhig?“, fragte mich Jana und ich tat so, als ob ich es nicht gehört hätte. Meine Augen brannten leicht, ich hätte schon wieder heulen können. Und erst als sie mir die Frage zum zweiten Mal stellte, reagierte ich darauf und kniff meine Augen zusammen, um bloß jeden Ansatz einer Träne zu verbergen.
„Ich... Wollte mir einfach nur das Fußballspiel ansehen.“
Jana unterhielt sich weiter mit Christoph.
Es tat so weh und ich fragte mich, was ich so alleine tun sollte. Akribisch musterte ich ihr Armband, als sie ihre Hand auf den Tisch legte. An dem silbernen Kettchen hing ein kleiner, ebenfalls silberner Teddybär, ein runder, gepunkteter Ring und diverse geometrische Figuren. Da fiel mir an ihrem Hals der violette, leuchtende Edelstein auf, den sie vor mehreren Jahren von ihrem Ex-Freund geschenkt bekam. Wieso trug sie ihn noch?
Mitten in meiner geistigen Fokussierung auf Janas Accessoires tippte mir jemand von hinten auf die rechte Schulter. Es war eine sanfte Berührung, von daher eher eine Frau und als ich mich umdrehte fühlte ich mich bestätigt. Aber welche Überraschung.
„Franzi!“
„Hey!“ Ihr außergewöhnlich hellblondes Naturhaar war zu einem Zopf gefasst, der bis zu der Stelle ihres Rückens, an der ihre Nieren sein mussten, reichte. Ihre kristallklaren, blauen Augen versteckten sich hinter einer dicken, roten Brille.
„Und?“, sagte sie fragend und grinste dabei fröhlich. Ihr Kopf wippte erwartungsvoll hin und her.
„Alles klar bei dir?“
„Alles klar. Und selbst? Wie geht’s so?“, fragte ich zurück.
„Vor drei Wochen hatte ich meine Abschlussprüfungen!“
„Ja klasse! Wie ist es denn gelaufen?“ Franziska absolvierte eine Ausbildung zur Hotelfachfrau. Schon im Alter von fünf Jahren wurde sie zur Halbwaise, weil ihre Mutter an einer Lungenentzündung starb. So lernte sie schon als Kind die Hausarbeit von der Pike auf und schlüpfte früh in die Rolle einer tadellosen Hausfrau. Es hätte mich deshalb auch sehr verwundert, wenn sie nicht Folgendes gesagt hätte:
„Super! Mir ging´s einfach nur super!“
„Das freut mich. Wirklich! Hast du dir hier das Spiel angesehen?“
„Ja, richtig. Wer ist denn das?“ Sie deutete auf Christoph und zwang mich dazu ihn vorzustellen. Aber eigentlich kam es mir ganz gelegen. Es unterbrach den Gesprächsfluss meiner beiden Freunde und vielleicht begann Franziska sogar einen Dialog mit ihm.
„Das ist Christoph“, sagte ich. „Jana kennst du ja.“
„Ja, Hallo.“
„Hallo“, sagte auch Jana.
„Christoph, das ist Franziska. Ich kenne sie von....Woher kennen wir uns eigentlich?“
„Das weißt du nicht mehr?“
„Ich habe das Gefühl wir kennen uns schon immer.“
„Wir waren gemeinsam im Kindergarten! Ich kam mit vier Jahren hinein und du warst schon sechs.“ Für einen kurzen Moment schien sie sich an ihre verstorbene Mutter erinnert zu haben, die ja noch gelebt hatte, als sie in den Kindergarten kam. Nachdenklich starrte sie an die Wand.
„Ja, natürlich. Also schon immer.“ Mein linker Mundwinkel zuckte mehrmals schnell nach oben und entlockte Franziska dann doch noch ein Lächeln. Christoph reichte ihr förmlich die Hand und stellte sich knapp vor.
Nun war Jana wieder frei. Ich bewegte meine Lippen und setzte gerade zu einem Wort an, da wandte sich Christoph schon wieder ihr zu. Ich war zu langsam, viel zu langsam. Er setzte das Gespräch mit Jana da fort, wo es zuvor pausiert hatte. Wie eine Statue stand ich im Raum. Ruhig und starr, aber in mir drehte sich alles. Es wand sich ineinander, verkrampfte kurz und begann zu brodeln. Schwindel breitete sich in mir aus, ich sah verschwommen.
„Also... Was machst du so?“, fragte Franziska und nach ein paar Sekunden der Suche nach meinem Gleichgewicht schwenkte sich meine Hüfte. Sie sah mich scheinbar lieblich an, aber ich konnte nichts mit ihr anfangen.
„Warte“, sagte ich, fasste mir an die Stirn und setzte mich auf meinen Stuhl. Meine Linke tastete hastig nach dem Tisch, um sich daran festzuhalten. Die Geräusche bündelten sich zu einem hochfrequenten Ton, der die heißen, violett verschwommenen Bilder vor meinem Auge begleitete. Die Konfusion in meinem Kopf belastete mich so sehr, dass das Auflösungsvermögen meines Auges kurzzeitig auf ein Minimum herabgesetzt wurde.
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