„Ich hab schon verstanden!“
„Ach so. Wusstest du es nicht?“
Laras Wohnung. Feierabend nach einem langen Behördentag
Die Spiegeleier waren gegessen, da kroch die Katze zum ersten Mal aus einem Zimmer und trat in Laras Sichtfeld.
„Das glaubst du nicht! Das willst du wahrscheinlich gar nicht hören!“ Sie schrie laut, aber Minka hörte nichts. Denn Lara schrie es in sich hinein.
„Margarete ist schwanger! Und ich dachte immer, die würde sich an meine Figur anpassen.“
Margarete war eine weitere Arbeitskollegin von ihr und bediente die Kunden direkt am Schalter.
Lara gab ihr Besteck in die Spülmaschine und schaltete sie ein. Konsterniert nahm sie auf dem alten, breiten Sessel in ihrem Zimmer Platz und drehte sich zu ihrer Katze, die es sich schon wieder auf ihrer Decke bequem gemacht hatte.
„Und sie wird in Mutterschutz gehen. Es war schon lange bekannt, aber mir hat natürlich niemand etwas gesagt. Margaretes Mutterschutz naht. Weißt du was das heißt? Du müsstest dir ja eigentlich denken können, was das heißt, Minka. Der Posten am Schalter wird frei. Also der Platz, den ich schon immer wollte! Dort, wo ich gesehen werde! Gesehen werden würde!“ Laras Katze stand von ihrer Wolldecke auf und trabte gelangweilt aus dem Zimmer. Doch Lara machte schnell die Türe zu.
„Hiergeblieben! Ich bin noch nicht fertig! Seit drei Jahren arbeite ich im Landratsamt!“ Lara diskutierte nach wie vor nur in ihrem Kopf. Sie sprach nicht und Minka konnte sich gar nicht erklären, weshalb ihr die Tür vor der Nase zugeschlagen wurde. Eingeschüchtert kauerte sie sich auf eine andere Decke in der Nische neben dem Kleiderschrank.
„Seit drei Jahren! So, und Daniela seit ein paar Wochen. Das kann doch der Kratzinger jetzt nicht wirklich bringen, dass er die Daniela an den Schalter setzt. Oder?“ Sie nahm auf ihrem Sessel Platz und starrte zu Boden.
Es war alles Grau. Ihre Gedanken und ihr Leben.
„Scheißdreck. Wie er Daniela heute beobachtet hat, wie er mit ihr gesprochen hat. Das wirkte schon fast wie ein Eignungstest. Mit mir hat er so was nicht gemacht! Pech, bin halt zu hässlich für direkten Kundenkontakt. Verflucht!“ Verbissen ließ sie ihre Wangenmuskeln spielen und verzog kurz ihre Nase. Gehässig hackte sie weiter auf Daniela herum.
Aber nun sprach sie laut.
„Wie ich sie hasse. Nervige Schlampe. Die kommt her, sieht gut aus, macht in ein paar Wochen vieles gut, ja klar und schon liegen ihr alle zu Füßen. Es wird Zeit, dass sich die Fehler, die ich ihr untergeschoben habe, bemerkbar machen! Dann wird meine jahrelange Leistung wieder anerkannt. Kontinuität wird doch sonst immer so stark bewertet! Perverse Welt. Notgeile Welt!“
Ihr kalter Blick schlich langsam über den Schreibtisch.
„Heute habe ich einen Hefter voll mit Akten aus ihrem Schrank verschwinden lassen. Und ich mache währenddessen einfach ruhig und zuverlässig meine Arbeit und hoffe, dass der Kratzinger mit geöffneten Augen durchs Leben geht. Nicht zu weit geöffnet, sonst erkennt er meine Messerstiche oder würde von Danielas Äußerem geblendet werden. Er soll doch einfach nur Erfahrung anerkennen. Das Recht des Älteren ins Spiel bringen!“
Minka hatte sich mittlerweile unbemerkt versteckt, aber Lara erklärte ihr weiterhin in hartem, aber nicht zu lautem Ton ihre Ideen.
„Ich habe auch schon überlegt einfach den Kontakt ihres Bürotelefons mit einem Klebestreifen abzukleben. Dann hätte der Apparat geklingelt, aber sie hätte nach dem Abheben nichts gehört. Kein Wort!“ Lara lachte hinterhältig, grinste schief. „Das habe ich mich dann aber doch nicht getraut. Es wäre zu auffällig gewesen. Was mich aber schon noch reizen würde, wäre ein... Ein Abführmittel. Es müsste am besten nächste Woche irgendwie in ihren Kaffee gelangen. Wenn ich dann im Urlaub bin, wird sie noch mehr Aufgaben zu erledigen haben. Und denen wird sie dann nicht mal ansatzweise nachkommen, weil sie die meiste Zeit auf der Toilette verbringen wird. Diabolisch aber gut. Oder? Im Gegensatz zu ihrem Darm würde sie einen regelrechten Produktionsstau verursachen.“
Erschöpft, traurig und verzweifelt richtete sich Laras Blick nach ihren Tiraden auf die Wand vor ihr. Sie schloss bedrückt die Augen und betrachtete sich selbst in ihren Gedanken vom Türeingang aus. Sie sah sich auf dem mächtigen Sessel sitzen, klein und hässlich. Sie sah ein fürchterliches Weib, das nichts besonderes war und aus dieser Grundlage heraus besonders hässliche Dinge an besonders netten Menschen verübte und zu verüben plante. Ihr zweites, gedankliches Ich packte den klobigen Monitor ihres Computers und schmetterte ihn schreiend gegen die Wand. Es krachte laut, gebrochenes Plastik und Scherben übersäten mit bunten Leitungen das Bett. In der Wand prangerte eine Delle, groß wie ein Suppenteller. Es zermürbte ihr gedankliches Ich sich selbst so zerstört und verzweifelt zu sehen. Aber die Wut, die ihre Gedanken kreierten, die sie zum lautlosen Echauffieren brachten, wurde eben auch nur gedanklich in Aggression übersetzt. Nur die Worte formten die Realität.
Wie ausgestopft saß sie auf dem Sessel und starrte in die Luft. Nur ein Bein ihrer Katze spitze noch hinter dem Schrank hervor und im Hintergrund grummelte die Spülmaschine monoton, wurde plötzlich abrupt, aber nur kurz, lauter und riss sowohl Minka als auch Lara aus deren Träumen und Illusionen.
„Komm her, Minka.“ Sie klopfte auf ihre Oberschenkel, bis sich die Katze auf sie zubewegte und darauf sprang. Lara streichelte ihr Haustier liebevoll und zärtlich.
„Wir könnten auch mal eine dieser Mails beantworten und einen Steckbrief von Daniela anhängen.“ Sie grinste erheitert und Minka leckte sich ignorierend ihre linke, weiße Pfote, um sich damit als nächstes schnurrend den Kopf zu putzen.
„Na ja“, sagte Lara. „Guten Morgen mein Liebster“, fügte sie an und weckte ihren Rechner aus dessen Traum.
„Tatsächlich. Da ist schon wieder eine neue Mail. Minka, ich lese sie dir gleich vor.“ Ihre Katze döste schon wieder vor sich hin.
„Ach. Ich les´ einfach leise für mich selbst.“
Leise schaukelten die hohen Birken im sanften Wind. Ihr Geäst schwankte darin, wie die Flügel der Vögel, die darüber hinweg zogen und ich ergötzte mich an der farbenfrohen Pracht des Lenz, der gerade dabei war, sich mit dem Sommer zu bekleiden. Kein einziger Schatten lag auf der Wiese, die in sattem Grün erstrahlte, in das sich an manchen Stellen weiße Flecken mit Gänseblümchen mischten.
Lara musste laut lachen und ihre Katze erwachte ängstlich.
„Ist das immer noch dieser Killer? Der schreibt ja wie ein Romantiker, wie ein Poet!“
Die Sonne legte sich warm auf die alte, dunkle Scheune, den großen Gemüsegarten und das hohe, breite, gelbe Haus meiner Großmutter. Erst letztes Jahr war es neu gestrichen worden und erstrahlte übermächtig in der Mitte des Grundstücks. Es war immer wieder schön zuhause zu sein. Bei meiner Großmutter. Mein Rücken erwärmte sich schnell und ich hörte leise einen Zug in der Ferne vorbeifahren, als ich das Haus betrat. Ich legte den Koffer in mein Dachgeschosszimmer und huschte schnell unter die Dusche.
Frisch und sauber aß ich anschließend zu Abend. Meine Großmutter hatte mir einen Teller Kartoffelsuppe bereitgestellt und eine Scheibe Brot daneben gelegt.
„Wie ist es so in Bangkok?“, fragte sie mich mit kratzender Stimme.
„Da ist ganz schön viel los“, sagte ich. „Als ob man einen überdimensionalen Karton bis zum Rand mit allen erdenklichen Spielsachen gefüllt hätte. Und dieser Karton hat keine Luftlöcher!“
„War die Luft recht schlecht dort unten?“
„Oh ja. Das war sie.“
Meine Großmutter stand vom Stuhl auf und ging, gestützt durch ihren Stock, zum Kühlschrank.
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