„Willst einen kalten Holundersaft? Den hab ich gestern selbst gemacht.“
„Ja, bitte.“
Sie schenkte mir ein Glas voll und stellte es auf den Tisch. „Schön, dass du wieder da bist.“
„Ich war ja gar nicht lange weg.“
„Aber du könntest noch Holz ins Haus tragen, jetzt dann.“
„Holz? Es ist doch so warm.“
„Aber mir ist schon noch ein bisschen kalt.“
„Na ja, eigentlich wollt ich jetzt dann schon wieder gehen...“
„Schon wieder? Wohin denn?“
„Ich hab mich mit Jana verabredet. In der Stadt.“
„Immer fort. Die jungen Leute laufen immer fort. Da scheint die Sonne auch nicht länger wie zuhause. Wenn die Jana wenigstens deine Freundin wäre... Oder ist sie´s?“
„Nein. Ich hol dir morgen Früh das Holz, ja?“
Ich stand auf, nahm die Autoschlüssel vom Schlüsselbord aus dem Flur und verabschiedete mich von meiner Großmutter.
„Auf dem Kasten im Gang liegt ein Brief für dich“, rief sie mir noch zu.
Ich riss ihn unverzüglich auf.
8.000 € lagen darin und es roch gut.
„Danke Oma.“
Ich war nur zehn Minuten zu spät bei Jana, die in einem Vorort wohnte. Wie immer fuhr ich mit diesem einen kleinen Funken Hoffnung zu ihr, den ich jedes Mal in mir trug. Seit ich sie das erste Mal gesehen habe, weiß ich, dass sie meine Traumfrau ist. Nur leider erkenne ich jedes Mal, wenn ich sie sehe, mich mit ihr treffe oder mich einfach nur mit ihr unterhalte sofort, dass sie diese Gefühle nicht ansatzweise mit mir teilen kann. Seit Jahren versuche ich daher einfach nur ihre Nähe zu genießen. Daraus hat sich eine wunderbare Freundschaft entwickelt, auf die ich eigentlich stolz sein müsste.
Ich klingelte an Janas Haustüre. Sie lebte noch bei ihren Eltern, um sich ihr Studium leisten zu können.
Nach einer halben Minute hatte immer noch niemand auf das Geräusch reagiert und ich drückte erneut auf den kleinen, kreisrunden Knopf. Diesmal kam Jana an die Türe.
„Hey! ´tschuldigung, ich war noch im Bad.“ Ich grinste ihr verzeihend zu und sie umarmte mich herzlichst. Ihre rotbraunen Haaren streiften meine linke Wange und ihr Duft fuhr in mich, wie ein Streichkonzert in die Ohren der lauschenden Bewunderer.
„Fahr´n wir gleich los?“
„Ja, schon. Christoph ist bestimmt auch schon drin.“
„Wer ist Christoph?“, fragte Jana.
„Ich kenn´ ihn von der Arbeit.“
Auf dem Weg zu der Bar redeten wir nicht allzu viel. Jana fragte mich nur, wie es in Bangkok war und ich antwortete prägnant: „Laut. Es ist verdammt viel los. Nicht nur von der Menge des Gebotenem, sondern auch von der Vielfalt. Man muss es einfach selbst erlebt haben.“ Ich zwinkerte ihr zu, doch sie blickte nur aus ihrem Fenster. Die tiefstehende Sonne schimmerte in ihrem Haar und ihre Augen leuchteten grüner als sonst.
Nach zwanzig Minuten stellte ich den Wagen auf einem Schotterparkplatz ab und wir gingen über eine eiserne Brücke hin zu der Bar, in der auch schon Christoph war. Jana trug einen schwarzen Rock und eine rote Bluse, die ihre Figur vorteilhaft betonte.
„Wie lange dauert eigentlich so ein Flug nach Bangkok?“, fragte sie.
„Zehn Stunden.“
„So ein langer Flug?“
„Ja. Wieso?“
„Rentiert sich das überhaupt? Ich meine für die Arbeit.“
„Es rentiert sich immer. Aus guten Kritiken resultieren viele neue Buchungen.“
Als wir an der Bar ankamen, erkannte ich auf einem großen Flachbildschirm, der dort an der Wand hing und von zahlreichen Menschen in den Blick genommen wurde, gerade den Anstoß der zweiten Halbzeit des Fußball-Europa-League-Finales. Jana sah mich fragend an. Sie spielte mit ihrem Blick aber nicht auf mein fußballerisches Interesse an, sondern wollte erfahren, wohin wir uns begeben mussten. Ich deutete auf einen runden Tisch vor einem der hohen Fenster, an dem Christoph stand. Die Bar war gefüllt mit frenetisch feiernden Fußball-Fans und das schummrige Licht kam ausschließlich von elektrischen Fackelimitaten, die an den Wänden angeschraubt waren. Langsam drückten wir uns durch die Menge, kämpften uns zu meinem Freund aus der Arbeit.
Christoph schüttelte mir zur Begrüßung die Hand und nickte unmerklich. Gegenüber Jana stellte er sich dafür umso höflicher vor.
„Hübsche Freundin hast du da“, sagte er zu mir und Jana zog ihren süßen, kleinen Kopf verlegen ein.
„Ach was“, sagte sie.
„Doch doch!“ Wie scharfe Dolche drangen seine Komplimente in meinen Körper. Sie waren an Jana gerichtet, aber berührten mich am intensivsten.
„Danke.“ Sie lächelte Christoph lange an, da kam die Bedienung und nahm unsere Bestellungen auf. Christoph hatte bereits ein Bier beordert. Sein Willibecher stand schon neben der kleinen, hellen Blumenvase auf dem runden Holztisch. Jana gab einen Pfirsich-Eistee und ich eine Hefe-Weisse in Auftrag.
„Wie war´s in Bangkok?“, fragte mich Christoph.
„Hat alles gepasst.“
„Auftrag erfüllt, sozusagen?“
„Genau. Einwandfrei.“
„Wunderbar. Und was treibst du so, Jana?“
„Ich studiere an der Uni hier Pädagogik.“
„So so. Wo hast du denn dieses kluge Mädchen aufgegabelt?“, fragte mich Christoph heiter.
„Wir waren sechs Jahre lang gemeinsam auf der Realschule.“
„Ach so, dann kennt ihr euch ja schon ewig.“
„Sehr richtig.“
Schon brachte die flotte Bedienung unsere Getränke und ein entsetztes kollektives Schreien schallte durch die Bar, als ein Stürmer eine riesige Chance zur vermeintlichen Vorentscheidung vergab. Es stand noch 1:0.
Wir stießen gemeinsam an und tranken den ersten Schluck. Eifersüchtig sah ich die nächste Zeit zu, wie sich Jana und Christoph besser kennenlernten. Sie unterhielten sich noch eine Weile über Beruf und Studium. Jana schien sehr angetan von den Geschichten, die ihr Christoph erzählte. Sie fand es sehr erwachsen, wie er seine Pläne Preis gab, nächstes Jahr weiter auf die Schule gehen zu wollen, um anschließend Tourismus-Management zu studieren. Fast schon verführerisch redete er mit ihr, wickelte ihre Aufmerksamkeit um seine Worte und es glich einer raffinierten Hypnose, in der sie sich an die erlebten Freuden erinnern sollte, die er ihr wieder geben könnte. Zumindest sah ich es so. Er konzentrierte sich auf ihre Augen, nur auf ihre Augen. Sein Mund bewegte sich kaum, doch seine Worte drangen klar daraus hervor. Aus Janas Wahrnehmungsradius war ich anscheinend schon lange verschwunden und als sie dann kurz auf der Toilette war machte ich meinem Unmut bei Christoph Luft.
„Was erzählst du denn da?“
„Wieso? Hast du ihr etwa die Wahrheit erzählt?“
„Nein. Aber... Tu ihr bitte nicht weh!“
„Was redest du denn da?“ Christoph grinste schief und ohne seine ohnehin rhetorische Frage zu beantworten begleitete ich mit meinen Augen angespannt einen Gothic-Anhänger mit langen schwarzen Haaren unter seinem dunklen Hut und einem noch viel längeren, schwarzen Ledermantel, der vor dem Fenster vorbeizufliegen schien. Im zweiten Stock des gegenüberliegenden Gebäudes öffnete ein Mann mit freiem Oberkörper ein Fenster. Er hatte wohl eben geduscht, denn der Wasserdampf floh sichtbar in Massen aus dem Badezimmer. Die Umwelt sollte mich ablenken, war doch die Spannung in meinem Gesicht so enorm, das mir Tränen nahten. Aber Christoph grinste mich immer noch an.
„Entspann´ dich, Kumpel.“
Ich versuchte ihn grimmig anzusehen, doch es schien mir nicht wirklich zu gelingen. Christoph kicherte ein wenig und ich bemühte mich ruhig zu bleiben. Das wollte und musste ich.
Doch es riss mir am Herzen, als dann Jana vom Klo zurückkam und sich, ohne mich zu beachten, neben Christoph stellte. Wie konnte sie das tun? Wie konnte ich so dumm sein?
Unachtsam stieß meine linke Hand nur zwei Minuten später gegen die Vase und warf sie um. Vielleicht war es Absicht, ich weiß es nicht. Das Blumenwasser lief auf den Tisch und tropfte zu Boden.
Читать дальше