„Mr. Petrenko, schön, dass Sie kommen konnten“, sagte der Alte in überraschend akzentfreiem Oxfordenglisch und nickte dem Gast höfflich zu, ohne sich zu erheben. „Nehmen Sie doch bitte Platz.“ Er wies auf einen freien Rattansessel. Dimitrij Petrenko setzte sich lächelnd und platzierte seine Umhängetasche auf den Knien. Ein Mädchen kam mit einem Tablett zurück und der Alte nahm sich ein Glas, während der Russe dankend ablehnte.
„Ich bin froh, dass … die Übereinkunft doch noch zustande gekommen ist“, fuhr der Alte fort. Petrenko dachte, wie unschuldig der alte Mann doch jetzt wirkte. Er kannte aber auch andere Geschichten über Phannipha, schreckliche Geschichten, die er nicht weiter auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfen wollte. Er glaubte sie einfach.
„Ich denke, es wird zum beiderseitigen Vorteil sein“, pflichtete ihm Petrenko mit breitem russischen Dialekt bei. Nun kam der Moment, vor dem Petrenko die größte Sorge gehabt hatte. Doch die Anweisung aus Sankt Petersburg, die er überraschend am gestrigen Abend erhalten hatte, war unmissverständlich gewesen.
„Dennoch, sehr geehrter Mr. Phannipha, gibt es da einen Punkt, den wir noch einmal genauer besprechen sollten“, begann er diplomatisch. Sofort verschwand das onkelhafte Lächeln aus Phanniphas Gesicht und eine spürbare Anspannung legte sich auf die Unterredung.
„Wir haben ein ähnliches Angebot aus Ko Samui erhalten, ein sehr Gutes, muss ich an diese Stelle erwähnen, das eine geringfügige Nachverhandlung erforderlich macht.“
„Wir haben Absprachen, verstehen Sie? Feste Absprachen!“, rief Phannipha ärgerlich und die beiden Männer mit den Sonnenbrillen, die offensichtlich nicht verstanden, was hier besprochen wurde, nahmen eine auf mögliche Kampfhandlungen ausgerichtete Stellung ein.
„Sicher“, versuchte ihn Petrenko zu beruhigen, „dennoch scheint der Marktwert der Ware momentan deutlich niedriger zu liegen, als bislang verhandelt.“
Phannipha stand auf und schritt ein paar Schritte auf Petrenko zu. Dieser blieb ruhig und gelassen in seinem Sessel sitzen und lächelte weiter freundlich.
„Marktwert? Soll ich Ihnen mal etwas sagen? Dieser Scheisskerl von Deng versucht nur mit seinen Fantasiepreisen unsere Kooperation kaputt zu machen. Sie glauben doch nicht allen Ernstes, dass er tatsächlich einen niedrigeren Preis als ich akzeptieren würde?“
„Herr Phannipha“, antwortete Petrenko gelassen, „lassen Sie sich versichern, dass Deng einem deutlich niedrigeren Preis bereits zugestimmt hat. Da wir von ihm eine absolut gleichwertige Ware wie von Ihnen beziehen können, wissen wir nicht, warum wir jetzt noch einen höheren Preis zahlen sollten.“ Er lächelte Phannipha weiter freundlich an, wusste jedoch sehr wohl, in welcher Gefahr er gerade schwebte.
„Vielleicht wird es Ihre Organisation verstehen, wenn ich ihnen ihren Kurier in Einzelteilen zurückschicke“, zischte Phannipha mit einem Gesichtsausdruck, der keinen Zweifel daran aufkommen ließ, dass er meinte, was er sagte.
„Mr. Phannipha“, lenkte Petrenko sofort ein, „meiner Organisation ist wirklich sehr an einer langfristigen Kooperation mit Ihnen gelegen“. Er hatte einen solchen Diskussionsverlauf erwartet. „Wir sind auch durchaus bereit, Ihnen preisliche Zugeständnisse zu machen.“ Es entstand eine kurze Pause, in der ihn der Alte erwartungsvoll mit finsterer Miene anstarrte.
„Mit einem Preisnachlass von 10 % könnte meine Organisation durchaus leben.“
Phannipha sprang überraschend behände nach vorne und packte Petrenko am Kragen.
„Du Drecksschwein meinst also allen Ernstes, dass Du mich über den Tisch ziehen kannst?“ brüllte der alte Mann cholerisch, woraufhin noch weitere Thais auf dem Sonnendeck erschienen. „Was wäre denn, wenn ich jetzt einfach Dein Geld nehme und Dich an die Haie verfüttere?“
„Ich habe das Geld aber gar nicht dabei“, antwortete Petrenko bewusst ruhig und öffnete demonstrativ seine graue Umhängetasche. Einige von Phanniphas Männern zogen daraufhin ihre Pistolen und zielten auf den Russen, während dieser bedächtig langsam eine Badehose und zwei Handtücher hervorkramte.
„Wolltest Du mich bescheißen, Du Ratte?“
„Keineswegs, ich wollte nur verhindern, dass Sie einfach das Geld nehmen und mich an die Haie verfüttern“, sagte Petrenko mit einem arroganten Schmunzeln im fein geschnittenen Gesicht, „das Geld ist an einem sicheren Ort und wird Ihnen übergeben werden, sobald wir eine für beide Seiten zufriedenstellende Lösung gefunden haben.“ Er hatte sich erst kurz vor dem Treffen entschieden, dass Geld im Cottage zu lassen. Auf diese Weise würde er sein Leben bei einem möglichen Scheitern der Verhandlungen noch etwas verlängern, vielleicht sogar retten können.
Phannipha tobte vor Wut und schrie einige schroffe Anweisungen auf thailändisch, worauf mehrere Männer vom Sonnendeck stürmten, während sich andere wiederum bedrohlich vor Petrenko aufbauten. Der alte Thai ließ seinen Gast dabei keinen Augenblick aus den Augen. Die Verhandlungen schienen nun endgültig gescheitert zu sein. Petrenko hatte einen solchen Ausgang bereits befürchtet, nachdem er die Anweisung erhalten hatte, doch es hatte ihm nicht zugestanden, diese in irgendeiner Weise in Frage zu stellen. Nun fragte er sich nicht ohne Sorge, was wohl als nächstes mit ihm geschehen würde.
Doch bevor er darüber Klarheit erlangen konnte, war ein lauter Ruf aus der Kapitänskabine zu vernehmen, der alle, selbst Phannipha, dazu veranlasste, augenblicklich an die Reling zu laufen. Es erhob sich daraufhin eine allgemeine Panik, die zu Petrenkos Überraschung selbst Phannipha erfasste. Der Russe, dessen Anwesenheit jetzt gänzlich zur Nebensache geriet, erhob sich nun vorsichtig aus seinem Sessel und trat seinerseits an die Reling. Er hatte vermutet, dass sich ein Schiff der Küstenwache nähern würde, aber dem war nicht so. Dort, wo das Meer den Horizont berührte, war deutlich eine breite grauweiße Linie zu erkennen, die sich bei näherer Betrachtung als eine Wand aus brodelnder Gischt entpuppte. Tsunami, dachte Petrenko sofort. Die Welle war nicht besonders hoch, doch keiner, der sie sah, zweifelte daran, dass sie eine verheerende Kraft besaß. Phannipha schrie wieder einige Befehle, woraufhin seine Männer wild auseinanderstoben. Der Anker wurde gelichtet und die Yacht beigedreht. Der alte Mann versuchte offensichtlich das Boot Richtung Küste steuern zu lassen. Mittlerweile wurde auch Petrenko von der allgemeinen Panik angesteckt. Wenn die Welle uns mit der Kraft erreicht, die sie jetzt hat, wird sie uns alle davon spülen, dachte er voll Schrecken. Kurzentschlossen nahm er seine Umhängetasche und öffnete den Verschluss seines Tragegurts. Er schwang sich die Gurte quer über die Brust und befestigte die Enden hinter einer stabilen stählernen Stange neben der oberen Kajüte. Anschließend kauerte er sich hin und beobachtete mit schlimmen Vorahnungen das weitere Geschehen. Vor ihm rannten und brüllten alle durcheinander, während sich das Boot nur sehr langsam dem Strand näherte. Doch plötzlich wurde es wie von Geisterhand mehrere Meter emporgehoben und mit großer Geschwindigkeit vorwärts geschoben. Das Grollen der heranstürmenden Fluten war inzwischen so gewaltig, dass es alle Geräusche an Bord einfach verschluckte. Das Schreien der Männer ebenso wie das Heulen der Motoren, die aussichtslos gegen die Welle ankämpften. Alles verstummte im Augenblick der Katastrophe. In diesem Moment gab es nur noch das Brodeln des Wassers. Einige Männer wurden wie Spielzeugfiguren von Bord geschleudert, während sich andere verzweifelt an der Reling festklammerten. Doch in den nächsten Sekunden drehte die Welle das Schiff scheinbar mühelos auf die Seite und rollte es unter Wasser. Petrenko hatte gerade noch Zeit einen kräftigen Atemzug zu nehmen, dann war um ihn herum nur noch tosendes Wasser. In der graubraunen Brühe war nichts mehr zu erkennen. Er spürte nur, dass sich die Yacht mehrmals drehte und zeitweise wieder auftauchte, um dann erneut in den Fluten zu verschwinden. Allmählich wurde der Luftmangel zur Qual und der Gurt seiner Umhängetasche zerrte an ihm ohne Unterlass. Wie eine Fahne im Sturm wurde er hin und her geschleudert, bis ihm allmählich die Sinne schwanden. Er hatte sich inzwischen damit abgefunden, in diesen tosenden Fluten zu sterben, als er plötzlich vor sich im trüben Wasser das verschneite Sankt Petersburg sah, die Anitschkow-Brücke und die Freunde aus alten Tagen, die dort auf ihn warteten.
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