Auf dem Hof war niemand zu sehen. Alles schien still und verlassen, doch sie wussten, dass in dem Häuschen neben dem Eingang weitere Wachen waren, nicht zu vergessen die beiden Wachen vor dem Tor.
„Wir versuchen, einen anderen Ausgang zu finden. Ich denke, dort drüben müssten wir über die Mauer kommen können“, flüsterte Lory und sie schlichen eilig über den Hof zu der Seite, die dem Tor gegenüberlag.
Lory fühlte sich euphorisch. Sie war froh, der engen Hütte entkommen zu sein, auch wenn sie wusste, dass ihre Flucht sie noch lange nicht zurück zur Erde brachte. Doch es war ein Anfang. Alles Weitere konnte sie sich überlegen, wenn sie irgendwo in Sicherheit waren.
Plötzlich ertönten aufgeregte Rufe und Schritte hinter ihnen,
„Scheiße! Sie haben uns entdeckt“, rief Lory. „Kommt, Mädels, schneller!“
Sie liefen jetzt so schnell sie konnten. Lory kletterte als Erste über eine Tonne auf das Dach. Sie warf einen schnellen Blick zurück. Ayakala und ihre Töchter sowie das kleine Mädchen waren stehen geblieben. Anscheinend rechneten sie sich keine Chancen mehr aus. Es waren mindestens zehn Männer hinter ihnen. Vier kümmerten sich um die zurückgebliebenen Frauen und die restlichen sechs folgten Lory und den anderen nach. Hastig kletterte Lory weiter, Charly war dicht hinter ihr, doch Amber und Keela schienen Probleme zu haben.
„Beeilt euch!“, rief Lory, als sie die Mauer erreicht hatte.
Sie sprang und Charly tat es ihr sofort nach. Lory blickte zu Keela und Amber auf, die zu zögern schienen. Sie gestikulierte wild, dass sie springen sollten.
„Scheiße“, hörte sie Keela leise murmeln.
Keela schloss die Augen und sprang. Amber landete mit einem leisen „Au! Fuck!“ neben ihr.
„Kommt!“, drängte Lory die anderen zur Eile und lief mit Charly die schmale Gasse entlang, in der sie gelandet waren.
Kapitel 2
„Ich glaube, siehaben Keela und Amber geschnappt“, keuchte Charly. „Sie sind nicht mehr hinter uns.“
„Das ist bedauerlich, aber wir müssen weiter, sonst erwischen sie uns auch. Komm hier entlang“, antwortete Lory und bog in einen schmalen Gang zwischen zwei Häusern.
Sie hoffte, dass sie ungefähr in Richtung Spaceport liefen. Ein wenig hatte sie die Orientierung verloren und sie war sich nicht hundertprozentig sicher. Zwar hatte sie noch keine Ahnung, wie es weitergehen sollte, doch das Wichtigste war jetzt erst einmal, dass sie ihren Wärtern entkamen. Dann mussten sie sich irgendwie orientieren, wie das alles hier lief auf diesem verdammten Alien-Planeten. Sie hatte gesehen, dass der Eingang zum weitläufigen Gebiet des Spaceports streng bewacht wurde. Man musste sich dort entweder über Handabdruck oder einer Art von Passierschein ausweisen. Dann gab es darin verschiedene Bereiche, die so eine Art Klasseneinteilung zu sein schienen.
„Bitte! Ich brauch eine Pause“, japste Charly hinter ihr und sie blieb stehen.
„Ein kleines Stück noch“, sagte sie. „Aber wir müssen nicht mehr rennen. Ich glaube, wir haben sie abgehängt.“
Sie gingen in normalem Tempo weiter und Lory steuerte sie in eine ruhige Gasse, wo ein Menge Gerümpel herumstand. Sie setzten sich zwischen ein paar Kisten, wo sie sich, vom Rest der Kisten und Möbelstücke abgeschirmt, ausruhen konnten, ohne dass man sie direkt sah.
„Was machen wir jetzt?“, wollte Charly wissen. „Hast du einen Plan?“
Lory zuckte mit den Schultern.
„Wir werden sehen, was sich uns bietet, und improvisieren. Das Wichtigste ist erst einmal, dass wir frei sind. Der nächste Schritt wird sein herauszufinden, wie wir in den Spaceport kommen und wo wir heute die Nacht verbringen können.“
„Meinst du, dass diese Typen die Suche aufgegeben haben? Ich meine, vielleicht leiten die so was wie eine Fahndung ein oder so? Wir wissen ja nicht, wie das hier läuft“, wandte Charly ein.
„Ich hab keine Ahnung, doch es wäre gut, wenn wir unsere Identität irgendwie faken könnten. Möglicherweise müssen wir etwas an unserem Aussehen ändern oder so. Wir sollten jetzt weitergehen. Ich weiß nicht, wie spät wir es haben oder wie schnell es hier dunkel wird.“
„Ich glaube, wir sind ganz in der Nähe des Spaceports“, sagte Charly nach einer Weile. „Siehst du das hohe Gebäude dort? Ich glaube, das ist eines der Hotels in dem Nobelteil des Spaceports. Ich erinnere mich an die seltsame Form der Fenster.“ Sie zeigte auf ein hohes Gebäude, das die Häuserreihen vor ihnen um mehrere Stockwerke überragte. Die Fenster hatten die Form eines umgedrehten Herzens mit leicht gebogener Spitze.
„Ja, du hast recht. Ich erinnere mich auch an das Gebäude. Wir müssen in der Nähe des Spaceports besonders vorsichtig sein. Du hast recht, es könnte sein, dass sie eine Art Fahndung wegen uns laufen haben. Ich wünschte, wir hätten irgendeine Art von Waffen.“
„Nein! Was wollt ihr von mir?“, erklang plötzlich eine weibliche Stimme in der Nähe.
„Deine Credits und das Mädchen“, antwortete eine männliche Stimme.
Lory und Charly sahen sich an, dann nickten beide und sie schlichen leise bis zur Ecke, um vorsichtig in die schmale Gasse zu sehen, aus der die Stimmen kamen. Sie erblickten eine vornehm gekleidete Frau und eine junge in einem einfachen Gewand. Das junge Mädchen hatte sich ängstlich hinter der etwas älteren Frau versteckt. Zwei finstere Gestalten, humanoid in der Form, doch mit orangeroter Haut und blauen Haaren, hatten sich drohend vor den beiden Frauen aufgebaut.
„Ihr könnt meine Credits haben, aber bitte lasst das Mädchen in Ruhe“, flehte die ältere der beiden Frauen.
Gerade als Lory sich entschlossen hatte einzugreifen, sah sie, wie einer der Gestalten einen langen Dolch zog und der Frau in den Unterleib rammte. Er schlitzte ihr den Bauch von unten nach oben auf und Blut spritzte überall. Die Frau gab einen erstickten Schmerzenslaut von sich, das Mädchen hinter ihr schrie. Während die ältere Frau langsam zu Boden sackte, sprintete Lory los, um sich auf die beiden Halunken zu stürzen. Sie hatte den Überraschungsmoment auf ihrer Seite, und so konnte sie den blutbesudelten Dolch des einen Mannes ergreifen. Sie rammte ihm die Klinge in den Hals und versetzte dem Zweiten einen Handkantenschlag ins Genick, als dieser sich auf sie stürzen wollte. Als er zu Boden ging, griff sie ihm in die blauen Haare und riss seinen Kopf zurück. Mit einer schnellen Bewegung hatte sie ihm die Kehle durchtrennt. Das Mädchen hatte aufgehört zu schreien. Lory wandte sich zu ihr um. Ihre Blicke trafen sich. Nach kurzem Zögern rannte das Mädchen davon.
„Lauf nicht weg! Bleib hier!“, rief Lory ihr hinterher, doch das Mädchen lief einfach weiter.
„Uaarrgh!“, hörte sie Charly neben sich. „Das ist ja ekelhaft.“
Lorys Blick fiel auf die Tote, deren Gedärme aus der klaffenden Wunde quollen.
„Ja, so was ist immer ein hässlicher Anblick“, stimmte sie zu. „Aber wenn du beim FBI arbeitest, so wie ich, dann gewöhnst du dich an so etwas. Und an Schlimmeres.“
„Schlimmeres?“, fragte Charly entsetzt. „Was kann noch schlimmer sein als das ?“
„Das willst du nicht wissen. Glaube mir“, antwortete Lory und hatte dabei ein Bild vor Augen, das sie nie loslassen würde. Es war letztes Jahr gewesen, als sie einen Serienkiller gejagt hatten. Beim letzten Tatort hatte es auch Lory so sehr verstört, dass sie sich zwei Wochen hatte krankschreiben lassen. Das verdammte Schwein hatte eine junge Frau bestialisch zugerichtet und dann ihre dreijährige Tochter auf der toten Mutter festgebunden. Das Mädchen war ebenfalls tot gewesen, als sie die beiden gefunden hatten. Sie war verdurstet, hatte Tage auf dem Körper ihrer toten Mutter verbracht, ein Knebel hinderte sie daran, um Hilfe zu schreien. Die furchtbaren Qualen des armen Kindes konnte man nur erahnen und es hatte Lory entsetzlich wütend gemacht. Sie hatte das Schwein gekriegt und er hatte ihr sogar den Gefallen getan, sich so zu wehren, dass die Schüsse, die sie auf ihn abgegeben hatte, gerechtfertigt gewesen waren. Sein Tod war eine Genugtuung gewesen, doch nicht genug, um diese entsetzlichen Bilder aus ihrem Kopf zu löschen.
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