„Ja, Frau Prinz... ich habe hier Ihre Ernennungsurkunde zur Beamtin auf Probe... mir war gar nicht aufgefallen, dass das so lange gedauert hatte... warum haben Sie denn nichts gesagt?“
„Man hat mir gesagt, das sei normal. Ich dachte, der Staat wollte eben noch eine Zeitlang die Zinsen kassieren, bevor er mich bezahlt.“
Silberbauer räusperte sich und schob seine randlose Brille wieder hoch. Da hatte ich eben wohl etwas Falsches gesagt? „Nun – wie dem auch sei... ich entnehme dem, dass mit gleicher Post auch eine Bezügemitteilung an Sie herausgegangen ist. Aber nun wollen wir erst einmal zum feierlichen Akt schreiten. Würden Sie bitte aufstehen?“
Ich erhob mich gehorsam und sprach ihm die Eidesformel nach, die komischerweise anders lautete als die der Referendare, die ja zu Beamten auf Widerruf ernannt wurden. Dabei verbiss ich mir mühsam das Lachen, weil die Situation so albern wirkte. Dass ich auf den Zusatz „So wahr mir Gott helfe“ verzichtete, trug mir einen kurzen scharfen Blick ein, aber wenigstens keinen Kommentar. Ich leistete die nötigen Unterschriften, erhielt ein Exemplar der Ernennungsurkunde und einen kühlen, trockenen Händedruck und war in Gnaden entlassen.
Draußen hätte ich Frau Schneider am liebsten umarmt. „Ich bin verbeamtet! Ich existiere! Ich kriege sogar Geld für meine Arbeit! Mensch, Frau Schneider, ohne Sie hätte das noch ewig dauern können!“ Sie lachte. „Schon recht, Kindchen. Die Lahmärsche in der Bezügestelle brauchen ab und zu etwas Feuer unterm Hintern. Na, jetzt ist ja alles klar, Frau Studienrätin!“
„z.A.“, fügte ich hinzu, „aber immerhin, nicht?“
Sie winkte ab. „Ich bin seit fast dreißig Jahren an dieser Schule, und hier ist noch keiner als z.A. gestorben. Und nur eine einzige hat vier Jahre gebraucht, um die Lebenszeitverbeamtung zu kriegen, und die war so dumm, dass wir alle heilfroh waren, als sie Zwillinge gekriegt und aufgehört hat zu arbeiten.“
Ich grinste. „Zwillinge hab ich nicht eingeplant!“
„Wozu auch? Von den Schülern hört man nur Gutes über Sie.“
Das war ja fast noch besser als die Urkunde! Jetzt musste ich aber dringend zurück ins Lehrerzimmer und gucken, ob ich schon eine Bezügemitteilung in meinem Fach hatte. Und wie fertig die Bernrieder schon war – eine böse Mutter nach der anderen... Haha! Ich tanzte den Gang entlang und brachte kaum den Schlüssel ins Schloss, weil ich so unruhig war. „Wollen Sie alle zu Frau Bernrieder?“, konnte ich mir angesichts der schweigenden Versammlung, die mir bei meinen Aufschließversuchen zusah, nicht verkneifen.
Allgemeines Nicken. „Ich werde es ihr sagen.“
„Nicht nötig, sie weiß Bescheid“, sagte der Mann mit dem Terminplaner. Oh, der hatte sogar eine Ausgabe von BayEUG und GSO unter dem Arm. Arme Bernrieder...
In meinem Fach lag ein Umschlag, der aus hundert Prozent ungebleichtem Altpapier hergestellt zu sein schien und mir schon fast in der Hand zerbröselte.
Ich riss ihn mühelos auf und entfaltete das Formular. Zweitausenddreihundertfünfzig nach Abzug von Steuern und Soli regulär, plus eine Abschlagszahlung von viertausend Euro – damit war ich im Plus! Ich konnte mir sogar einen Videorecorder kaufen! Nur falls mal eine Faustinszenierung auf 3sat lief, natürlich. Und für die guten Sachen auf arte . Na, so eilig war das nicht. Und noch war das Geld ja nicht auf meinem Konto eingetrudelt. Oder doch?
Ich eilte in den Silentiumraum und fiel vor einen der Rechner. Ungeduldig wetzte ich auf dem Stuhl herum, bis ich in mein Bankprogramm eingeloggt war – da, tatsächlich! Sechstausenddreihundertfünfzig – nicht übel! Heute Nachmittag würde ich gleich die Fondsaufträge erteilen. Eva Prinz auf dem Weg zu einer bürgerlichen Existenz! Und ich würde die Wohnung gründlich putzen. Und beide Exen korrigieren. Und alle Noten ausrechnen.
Das Leben war doch schön... ich loggte mich wieder aus und setzte mich nach draußen, wo ich durch die Tür weiterhin hören konnte, wie sich die Bernrieder gereizt verteidigte, bis der Chef persönlich das Lehrerzimmer betrat, die Bernrieder samt wütender Mutter aus dem Nebenraum holte und vor der Lehrerzimmertür (die dankenswerterweise nicht von selbst ins Schloss fiel) verkündete, die umstrittene Schulaufgabe sei kassiert. Daraufhin löste sich die Schlange wie durch Zauberhand auf, nur der Terminkalendermann und eine Mutter blieben übrig; beide verlangten auf der Stelle einen Termin beim Chef. Er warf der Bernrieder einen bösen Blick zu und nahm mit einem deutlichen Seufzer die erbosten Erziehungsberechtigten mit in sein Oxfordzimmer.
Ich feierte den Augenblick mit einem großen Bissen trockenem Vollkornbrot. Zu Aldi würde ich heute auch noch gehen, nachdem ich auf der Bank war. Und mal richtig einkaufen! Nicht zu teuer natürlich, schränkte ich sofort wieder ein und beobachtete aus den Augenwinkeln, wie die Bernrieder durchs Lehrerzimmer tigerte und nach einem Opfer Ausschau hielt. Immer wenn ihr Blick in meine Richtung glitt, vertiefte ich mich wieder in meine Unterlagen und war ganz furchtbar beschäftigt.
Bevor sie anscheinend doch misstrauisch werden konnte, kam Gott sei Dank jemand anderes herein – Helga Schwarz, eine etwas gestresst wirkende Teilzeitkraft mit vier kleinen Kindern. Erdkunde und Deutsch. Die Bernrieder stieß auf sie nieder wie der Habicht auf die Henne. „Sie wollte ich gerade sprechen!“
Die Schwarz stoppte mitten im Lauf. „Huch? Ja bitte, worum geht´s denn?“
„Sie haben noch gar kein Projekt für den Deutschunterricht angemeldet!“
Was sollte das denn jetzt?, fragte ich mich. Seit wann musste man Projekte anmelden? Und seit wann vor allem ging das die Bernrieder auch nur das Geringste an?
„Doch“, behauptete die Schwarz sofort, „sogar zwei. Aber ich hab die Unterlagen der Frau Zeitler gegeben, weil sie doch die Fachbetreuerin ist. Dass Sie das übernommen haben, wusste ich ja gar nicht. Moment mal, ich hab aber von allem noch Kopien, die können Sie natürlich gerne haben.“ Sie begann in ihrer umfangreichen Tasche herumzuwühlen. Spielzeug, Babypuder, Bücher, Zettel – alles Mögliche quoll heraus, bis sie eine Mappe hervorzog, sie aufklappte und zwei zusammengeheftete Konvolute herausnahm. „Hier bitte! Schon kopiert. Ich hab ja noch das Original. Sehen Sie, hier, für die Siebte – eine Lektüreprojekt zum „Weißen Ritter“, das passt dann auch genau zum Lehrplan in Geschichte, mit dem Kollegen hab ich mich auch schon abgesprochen, und für die Zehnte einen Lernzirkel zu moderner Lyrik, das Material für die Stationen ist hinten angeheftet. Wir dachten über eine Kooperation mit Musik nach, was mögliche Vertonungen betrifft, und außerdem... Expressionismus und Zwölftonmusik, da gibt es ja auch Verbindungen...“ Sie redete und redete, ohne einmal Luft zu holen, und die Bernrieder stand leicht betäubt da, die völlig nutzlosen Materialien in der Hand. Ich grinste in meine Schultasche hinein.
„Wissen Sie, ich bin ja so froh, einmal ein richtiges Fachgespräch führen zu dürfen! Kinder sind ja wirklich was Entzückendes – hab ich Ihnen überhaupt schon Fotos von meinen vier Süßen gezeigt? – aber immer bloß zu Hause, ich hab´s ja nicht mehr ausgehalten, und jetzt, wo sogar Annika in den Kindergarten gekommen ist – mit knapp zweidreiviertel, stellen Sie sich vor, so ein weit entwickeltes Kind! Und schon völlig sauber! – kann ich doch endlich wieder wissenschaftlich arbeiten. Gut, bloß elf Stunden, aber ich kann ja jedes Jahr ein bisschen was draufsatteln, nicht, und in paar Jahren bin ich dann wieder eine richtige Vollzeitkraft. Mein Mann unterstützt mich dabei ja auch, er ist wirklich ein Schatz. So was ist ja total wichtig, meinen Sie nicht auch? Das haben Sie doch sicher auch früher schon erlebt.“
Oh, oh, dachte ich, böser Patzer! Aber die Schwarz quasselte weiter, ohne den Fettnapf auch nur wahrzunehmen, wobei ihre winzigen braunen Löckchen aufgeregt zitterten. „... und ich dachte, wir könnten doch sicher mal bei einem Projekt zusammen arbeiten. Zum Beispiel was mit Lyrikübersetzungen in der Oberstufe, Shakespearesonette vielleicht. Oder etwas über Anglizismen und Germanismen, da gibt´s ja so viel. Im Spiegel war erst ein Artikel darüber, dass die Leute diese englischen Werbeslogans zum Teil gar nicht verstehen und dann denken Come in and find out heißt Komm rein und find auch wieder raus . Zum Schießen, was? Ich hab den Artikel aufgehoben, wenn Sie wollen, leg ich Ihnen eine Kopie ins Fach. Ja? Oder bei den kleineren – Übersetzungsübungen zu Harry Potter, die sind doch eh total scharf auf den neuen Band, und im Internet gibt´s doch diese Übersetzungswebsite...“
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