1 ...7 8 9 11 12 13 ...16 „Männliche Leiche im Vater-Rhein-Brunnen im Schlosspark gefunden. Tatort wenige Meter vom Brunnen entfernt. Untauglicher Versuch, die Spuren am Tatort zu verwischen. Tatwaffe: ein stumpfer Gegenstand, bisher nicht gefunden. Tatzeit: zwischen 22 und 2 Uhr. Genaueres morgen nach der Obduktion. Spurenlage: Der Tote konnte noch nicht identifiziert werden, hatte keinerlei Ausweise bei sich. Gefunden wurden bei ihm: ein Schlüsselbund und eine Sportpistole, außerdem in unmittelbarer Nähe des Tatorts ein wohl selbstgebasteltes elektronisches Gerät, dessen Funktion noch ermittelt werden muss. Mehr haben wir, glaube ich, nicht.“
„Sehe ich auch so“, bestätigte Travniczek. Melissa Siebert hatte inzwischen Kaffee eingegossen und wollte sich zu den anderen an den Tisch setzen, wurde aber durch einen Telefonanruf wieder an ihren Schreibtisch gerufen. „Herr Brombach, was für Fragen und Handlungsanweisungen ergeben sich daraus?“
„Was die Identität des Toten betrifft, ist zu hoffen, dass wir hier eine Vermisstenanzeige bekommen, die auf ihn passt. Dann Abgleich mit unseren Dateien um zu klären, ob er schon irgendwie mit uns zu tun hatte. Wenn das nichts bringt, landesweit nach Vermisstenmeldungen suchen. Dann müssen wir warten, ob uns die Analyse von diesem Elektronikteil irgendetwas bringt. Weitere Ansatzpunkte sehe ich bis jetzt noch nicht.“
„Was die direkten Spuren angeht, haben Sie sicher recht“, entgegnete Travniczek mit unzufriedenem Unterton. „Frau Lange, sehen Sie in der Gesamtlage irgendwelche Besonderheiten, die uns Hinweise auf Täter, Opfer und Motiv der Tat geben könnten?“
Martina Lange wollte gerade beginnen, wurde aber von Melissa Siebert unterbrochen: „Ich muss kurz stören. Soeben hat jemand von der Polizeiwache Handschuhsheim angerufen. Es hat dort einen schweren Verkehrsunfall gegeben. Verschuldet wurde er von einer Frau, die selber schwer verletzt und daher nicht vernehmungsfähig ist und bis jetzt nicht identifiziert werden konnte. Die Kollegen halten einen Zusammenhang mit der missglückten Vermisstenanzeige vom Morgen zumindest für denkbar. Denn die Frau ist wohl in hohem Tempo ungebremst bei Rot in eine verkehrsreiche Kreuzung hineingefahren. Die Kollegen meinen, sie muss in dem Moment völlig geistesabwesend gewesen sein. Anders wäre so ein Verhalten nicht zu erklären. Und das passt zu der verwirrten Frau, die beim Notruf ihren Mann vermisst melden wollte. Sie würden sich melden, sobald sie Genaueres wissen.“
„Vielen Dank“, entgegnete Travniczek, „führt uns aber jetzt nicht direkt weiter. Wir warten ab. Dann, Frau Lange, bitte Ihre Einschätzung.“
„Merkwürdig sind auf jeden Fall Tatzeit und Tatort. Um Mitternacht im hinteren Teil des Schlossparks. Ein zufälliges Zusammentreffen, d. h. einfacher Raubmord, ist daher sehr unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher ist es, dass Täter und Opfer dort verabredet waren.“
„Das sehe ich genauso“, bestätigte Travniczek anerkennend, „wenn wir jetzt noch wüssten, warum sie sich getroffen haben, wären wir einen großen Schritt weiter. Also lassen wir unsere Intuition spielen. Zwei Menschen treffen sich um Mitternacht im Park des Heidelberger Schlosses. Am Ende ist einer von beiden tot, erschlagen. Erfinden Sie eine Geschichte oder auch mehrere, die zu dieser Konstellation passen.“
Eine Weile herrschte Schweigen und konzentriertes Nachdenken. Dann wollte Brombach etwas sagen, kam aber nicht dazu, da sich die Tür mit heftigem Schwung öffnete und Herbert Breithaupt von der Spurensicherung den Raum betrat.
„Aha, die Herrschaften sind beim Kaffee! So gut möcht ich’s auch mal haben. Aber wir von der Spurensicherung müssen ja nur arbeiten, und hinterher dankt’s einem keiner.“
Melissa Siebert holte indessen eine weitere Tasse und goss für Breithaupt ein.
„Also“, fuhr Breithaupt fort, während er drei Löffel Zucker in den Kaffee tat, „schwarz wie die Nacht und süß wie die Liebe muss Kaffee sein.“ Er angelte sich zwei Kekse vom Tisch, steckte sie gleichzeitig in den Mund und sprach daher nicht ganz leichtverständlich weiter. „Also, Herrschaften, ich habe gute Nachrichten für Sie. Wie eigentlich immer, wenn ich zu Ihnen komme. Da der wichtigste Teil der Spurensicherung abgeschlossen war, ließ ich meine Leute für die restlichen Routinearbeiten alleine weiter machen und bin gleich ins Labor gefahren, um dieses merkwürdige Elektronikteil genauer zu untersuchen. Es hat auf jeden Fall dem Opfer gehört, denn seine Fingerabdrücke waren drauf. Er muss ein begabter Elektronikbastler gewesen sein, vielleicht sogar ein Elektroingenieur. Es handelt sich bei dem Teil um die Basisstation für einen Peilsender. Und meinem untrüglichen, allgemein bekannten Scharfsinn ist es auch gelungen, seine Funktionsweise zu enträtseln. Sehen Sie, hier im Display ist ein Ausschnitt vom Stadtplan von Heidelberg zu sehen, mit diesen Tasten kann man ihn verschieben. Und da, sehen Sie, blinkt ein rotes Kreuz. Das muss der Standort des Objekts sein, an dem der Sender angebracht ist. Und das ist, sehen Sie, zurzeit in der Nähe der Bismarcksäule. Da würde ich an Ihrer Stelle gleich mal hingehen und gucken, worum es sich handelt.“
„Kompliment für die schnelle Arbeit, das ist doch was“, meinte Travniczek erfreut. „Herr Brombach, lassen Sie sich von Herrn Breithaupt die Funktionsweise dieses klugen Geräts erklären. Wir machen uns sofort auf den Weg. Frau Lange, Sie strengen währenddessen Ihr Hirn an und entwickeln mögliche Szenarien für Tathergang und Tatmotiv. Ich verlasse mich auf Ihre Fantasie.“
Travniczek und Brombach verließen die Polizeidirektion, bestiegen ihren Dienstwagen und fuhren los in Richtung Neuenheim. Brombach war selbstverständlich am Steuer und sagte lachend zu seinem neuen Chef: „Dieser Fall entwickelt sich, als wäre er vom Fremdenverkehrsamt eigens für Sie organisiert. Zuerst der Tatort im Schlosspark, und jetzt führt uns die erste Spur zu einem weiteren touristischen Highlight von Heidelberg, dem Philosophenweg 29. Von dort aus hat man einen grandiosen Blick auf die Altstadt mit allen ihren Sehenswürdigkeiten. Ein beliebter Standort für Ansichtskartenfotografen. Wir fahren jetzt zunächst dieselbe Strecke, die Sie schon von heute Morgen kennen. “
„Unser Ziel ist jetzt ja diese Bismarcksäule. Was hat man sich darunter vorzustellen?“ fragte der Hauptkommissar.
„Nun, das ist eine ganz interessante Sache. Das Ding wurde irgendwann so um 1900 erbaut. Ich weiß jetzt nicht, inwieweit Ihnen die Geschichte dieser Zeit geläufig ist.“
„Eher weniger, nur, dass Bismarck der erste deutsche Reichskanzler war. Außerdem wurde nach ihm ein Hering benannt. Aber das gehört vielleicht doch nicht in die Abteilung Geschichte.
Brombach musste schmunzeln.
„Also, der Bismarck bekam Probleme, als 1890 Kaiser Wilhelm zwo an die Macht kam. Dem Kaiser war Bismarck zu sehr Realpolitiker, während Wilhelm zwo der deutschen Großmannssucht frönte: ‚Am deutschen Wesen soll die Welt genesen’ und ähnlichem Unfug. Wilhelm überwarf sich schnell mit Bismarck und entließ ihn. Aber bei großen Teilen des Volkes war die Verehrung für den Architekten der Reichsgründung noch nahezu ungebrochen. So entstand eine Bewegung, an verschiedenen Orten im Deutschen Reich, selbst in den Kolonien, Bismarckdenkmäler zu errichten, eben solche Bismarcksäulen, auf deren Spitzen an Bismarck-Gedenktagen weithin sichtbare Feuer entzündet wurden. So brachte man die Verehrung für Bismarck zum Ausdruck. Es wurden insgesamt weit über zweihundert solcher Bismarcksäulen errichtet. Eine davon ist die Säule in Heidelberg. So weit ich weiß, wurde sie finanziert durch die Heidelberger Studentenschaft und mit Spenden von Bürgern der Stadt Heidelberg. Wilhelm zwo war gar nicht glücklich über diese Bismarckverehrung und versuchte, sie einzudämmen, aber vergebens. 30“
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