Meike Mittmeyer-Riehl
Der Spalt
Wie mich – 24, schlank, sportlich, Nichtraucherin – der Schlag traf.
Über das Buch
Eben ist sie noch topfit über den Tennisplatz gerannt. Ein paar Stunden später liegt sie verkabelt auf der Stroke Unit, umgeben von Todkranken und Sterbenden. Als Meike Mittmeyer 2012 die Diagnose „Schlaganfall“ erhält, bricht für sie eine Welt zusammen. Mit nur 24 Jahren, als gesunde, sportliche, schlanke Frau und überzeugte Nichtraucherin? Unmöglich! Eine Aufspaltung einer der Halsschlagadern – eine sogenannte spontane Dissektion – hat den Infarkt ausgelöst: äußerst selten, wenig erforscht, aber eine der häufigsten Ursachen für Schlaganfälle bei jungen Patienten ohne typische Risikofaktoren. Weil keiner ihrer Ärzte ihr die drängende Frage nach dem „Warum“ beantworten kann, begibt sich die Journalistin mit der Hilfe von Forschern selbst auf die Spur einer rätselhaften Krankheit. Und auf den langen Weg zu einem Leben nach – und vor allem mit – einer schlimmen Diagnose, der so einige Rückschläge für sie bereithält.
Über die Autorin
Meike Mittmeyer-Riehl, geboren am 11.04.1987 im südhessischen Dieburg, studierte nach dem Abitur Online-Journalismus an der Hochschule Darmstadt und sammelte redaktionelle Erfahrungen bei Print- und Onlinemedien in Deutschland und den USA. Nach ihrem Volontariat bei einer regionalen Tageszeitung arbeitete sie dort als Lokalredakteurin, später als Online-Redakteurin bei einer Fachzeitung. Ihr Lebenstraum ist – nach einer Weltreise – ein Flug ins All.
Wie?
In diesem kurzen, eiligen, von einem ungeduldigen Dröhnen begleiteten Leben
eine Treppe hinunterlaufen?
Das ist unmöglich.
Die dir zugemessene Zeit ist so kurz, dass du,
wenn du eine Sekunde verlierst,
schon dein ganzes Leben verloren hast,
denn es ist nicht länger; es ist immer nur so lang,
wie die Zeit, die du verlierst.
Franz Kafka – „Fürsprecher“ 1
Für Dennis und Kai:
die beiden wichtigsten Männer in meinem Leben.
Inhalt
-Vorwort-
Kapitel 1: Aus. Vorbei.
Kapitel 2: Die Diagnose
Kapitel 3: Glück? Was ist denn Glück?
Kapitel 4: Das Pochen im Ohr
Kapitel 5: Tschüss, Klinik
Kapitel 6: Hallo, Reha
Kapitel 7: Die Wut, mein bester Freund
Kapitel 8: Eine Krankheit voller Sackgassen
Kapitel 9: Déjà-vu im Wilden Westen
Kapitel 10: Die Wahrheit schlägt zu
Kapitel 11: Immer mehr Fragezeichen
Kapitel 12: Der Rückschlag
Kapitel 13: Ich, der Angsthase?
Kapitel 14: Aus dem Gleichgewicht
Kapitel 15: Eingeständnis einer „Niederlage“
Kapitel 16: Papierflieger und Tränen
Kapitel 17: Alarmstufe gelb
Kapitel 18: Verpasste Chancen
Kapitel 19: Der Spiegel ist für mich gestorben
Kapitel 20: Volle Kraft voraus
Richtiges Handeln bei Schlaganfall-Verdacht
Spontane Dissektion - das Wichtigste in Kürze
Danksagungen
Quellenangaben
Gaby Köster hat ein Buch über ihren Schlaganfall geschrieben. Bap-Frontmann Wolfgang Niedecken hat ein Buch über seinen Schlaganfall geschrieben. Tausend Schlaganfall-Bücher, und jetzt schon wieder eines? Und dann auch noch von einem Niemand geschrieben? Warum sollte ich das denn lesen? Vielleicht waren das eure ersten Gedanken, als ihr den Rückentext dieses Buches gelesen habt. Und um eine Antwort gleich vorweg zu nehmen: Ich habe dieses Buch vor allem für mich selbst geschrieben – weil es Teil meines Verarbeitungsprozesses ist, der bis heute, vier Jahre danach, andauert, und wahrscheinlich auch noch eine ganze Weile andauern wird. Das war mein wichtigstes Anliegen für diesen Bericht.
Bevor ihr dieses Buch jetzt aber gleich wieder aus der Hand legt, möchte ich wenigstens versuchen, zu erklären, warum es sich trotzdem lohnen könnte, weiterzulesen. Ein kleiner Unterschied zu vielen anderen Büchern zu diesem Thema ergibt sich allein schon aus der Tatsache, dass ich in einem sehr jungen Alter von nur 24 Jahren einen Schlaganfall erlitt. Und dass die Ursache dafür – eine sogenannte spontane Dissektion der Halsschlagader – eine insgesamt zwar sehr seltene, aber immerhin die zweithäufigste Schlaganfall-Ursache bei jüngeren Patienten unter 50 Jahre darstellt. Das weiß so gut wie niemand. Auch ich nicht, bis ich selbst betroffen war. Selbst vielen Ärzten ist diese spezielle Schlaganfall-Ursache nicht geläufig – das kann ich zumindest aus meiner Erfahrung heraus sagen.
Einen Schlaganfall bekommt man doch erst, wenn man alt ist, raucht und Übergewicht hat – so lautet die weit verbreitete Meinung. Nun, leider ist es nicht so. Die spontane Dissektion ist bis heute eine rätselhafte Erkrankung. Sie trifft meist Menschen, die keine typischen Risikofaktoren für einen Schlaganfall aufweisen: kein Übergewicht, keinen Bluthochdruck, keine hohen Blutfettwerte, kein Rauchen.
Es gibt Hinweise darauf, dass die Krankheit mit einer bestimmten Art von Bindegewebsschwäche einhergeht. Ein kleiner „Webfehler“ im System, wie es einer der wenigen ausgemachten Dissektions-Experten Deutschlands, Dr. Tobias Brandt aus Heidelberg, in unserem Gespräch so schön formuliert hat. Eindeutige Antworten gibt es aber immer (noch) nicht. Und genauso mangelt es an verständlichen, deutschsprachigen Informationen zu dieser seltenen Schlaganfall-Ursache.
Also habe ich mich selbst auf die Suche nach Antworten begeben. Ich habe versucht, mich zum Experten meiner eigenen Erkrankung zu machen (so gut es geht, zumindest): Im Wälzen von Studien und Fachliteratur und im Gespräch mit Experten, die in diesem Bereich forschen. Als gelernte Journalistin ist das ja sogar irgendwie meine Aufgabe. Ich wollte also nicht das tausendunderste x-beliebige Schlaganfall-Buch schreiben: Ich wollte das erste Buch als Betroffene einer spontanen Dissektion schreiben, das nicht nur meine persönliche Geschichte erzählt, sondern auch verständlich über das Krankheitsbild informiert. Mein zweites Anliegen war es also, zu informieren.
Bitte erwartet jetzt aber keine rein wissenschaftliche Abhandlung. Auch konnte ich nicht auf all die vielen anderen Ursachen für Schlaganfälle, die junge Menschen und sogar Kinder treffen können, eingehen. Das war auch nicht mein Anspruch. Alle Fakten, die ich im Zuge meiner Recherchen sammeln konnte, habe ich am Ende des Buches noch mal in einem Überblick zusammengefasst. Wenn ich meine Geschichte schon aufschreibe, dachte ich, kann ich sie auch genauso gut veröffentlichen – und ein kleines bisschen dazu beitragen, aufzuklären.
Eigentlich lautet ja einer unserer journalistischen Grundsätze: sei nicht zu nah dran, mach dich nicht mit einer Sache gemein! Das konnte ich in diesem Fall nicht einhalten. Ich machte mich selbst zum Subjekt meiner Recherchen. Bei meinen Gesprächen mit Ärzten und Forschern ging es plötzlich nicht mehr nur um irgendeine Krankheit, um das Leben von irgendjemandem, sondern um meine Krankheit, um mein Leben. Das kann einen emotional ziemlich umhauen.
Leider ist es mir nicht gelungen, meine Erkrankung als Teil meines Lebens zu akzeptieren. Denn das ist die wirkliche Herausforderung nach einem solchen Schicksalsschlag: das Leben mit der Diagnose. Mit einem Schlag (bei mir im wahrsten Sinne des Wortes) ist alles anders. Die Phasen des Abstreitens, der Wut, der Verzweiflung, der Hoffnung, die man in den Tagen, Wochen, Monaten und Jahren nach einem solchen Ereignis erlebt, habe ja nicht nur ich erlebt. Sie erlebt jeder, der durch eine schwere Erkrankung oder ein anderes einschneidendes Lebensereignis völlig aus der Bahn geworfen wird.
Auch wenn zunächst alles danach aussah: Ich schaffte es nicht, mich mit meinem Schicksal und der Ungewissheit, die diese rätselhafte Erkrankung mit sich bringt, abzufinden. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre wies mich mein Körper ganz deutlich in die Schranken – diesmal aufgrund einer psychischen Erkrankung und so deutlich, dass ich seine Signale nicht noch einmal ignorieren konnte. Ich musste langsam, oft auch schmerzhaft, lernen, dass es einen Unterschied zwischen verdrängen und verarbeiten gibt. Und dass man immer auch zurückschauen muss, um vorwärts zu kommen.
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