Theologische Studien
Neue Folge
herausgegeben von
Thomas Schlag, Reiner Anselm, Jörg Frey, Philipp Stoellger
Die Theologischen Studien, Neue Folge, stellen aktuelle öffentlichkeits- und gesellschaftsrelevante Themen auf dem Stand der gegenwärtigen theologischen Fachdebatte profiliert dar. Dazu nehmen führende Vertreterinnen und Vertreter der unterschiedlichen Disziplinen – von der Exegese über die Kirchengeschichte bis hin zu Systematischer und Praktischer Theologie – die Erkenntnisse ihrer Disziplin auf und beziehen sie auf eine spezifische, gegenwartsbezogene Fragestellung. Ziel ist es, einer theologisch interessierten Leserschaft auf anspruchsvollem und zugleich verständlichem Niveau den Beitrag aktueller Fachwissenschaft zur theologischen Gegenwartsdeutung vor Augen zu führen.
Theologische Studien NF 5 – 2012
Thomas Schlag
Öffentliche Kirche
Theologischer Verlag Zürich
Gedruckt mit freundliche Unterstützung der Ulrich Neuenschwander-Stiftung
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.d-nb.deabrufbar.
Umschlaggestaltung: Simone Ackermann, Zürich
ISBN 978-3-290-17804-8 (Buch)
ISBN 978-3-290-17694-5 (E-Book)
|XX| Seitenzahlen des E-Books verweisen auf die gedruckte Ausgabe.
© 2012 Theologischer Verlag Zürich
www.tvz-verlag.ch
Alle Rechte vorbehalten
Titelei
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
I. Wie spät ist es für die Volkskirche?
II. Öffentliche Herausforderungen
1. Ignorierungsstrategien
2. Kirchliche Selbstinfragestellungen
3. Plausibilitätsverluste der Theologie
4. Herausforderungen der Zivilgesellschaft
III. Gute Gründe für eine kirchentheoretische Neuorientierung
1. Gute Traditionen öffentlicher Verkündigung
2. Zeiten besonderer Dringlichkeit
3. Die Rede von einer public church
4. Systematische Reflexionen über eine public theology
5. Kirchentheoretische Ansätze und die Rede von der öffentlichen Kirche
5.1 Der öffentliche Auftrag von Kirche als Institution
5.2 Der öffentliche Auftrag von Kirche als Organisation
5.3 Der öffentliche Auftrag von Kirche als Mission
IV. Grunddimensionen einer praktisch-theologischen Kirchentheorie in der Perspektive einer öffentlichen Kirche
1. Kirche als intermediäre Institution
2. Theologische Leitperspektiven einer praktisch-theologischen Ekklesiologie
2.1 Zur Leitperspektive christlicher Freiheit
2.2 Zur Leitperspektive christlicher Verantwortung
2.3 Zur Leitperspektive christlicher Hoffnung
2.4 Kirchentheoretische Folgerungen
2.5 Theologische Kommunikation als kirchentheoretische Perspektive
3. Ebenenvielfalt der öffentlichen Kirche
3.1 Makroebene – Öffentlichkeitsdimensionen von Kirchengemeinschaft und Kirchenbund
3.2 Mesoebene – Öffentlichkeitsdimensionen der Landeskirchen
3.3 Mikroebene – Öffentlichkeitsdimensionen der lokalen Kirchengemeinde
3.4 Kirchliche Interaktionsqualität
V. Konsequenzen für die kirchliche und gemeindliche Praxis
1. Öffentliche Bildung
2. Diakonisches Engagement
3. Die Öffentlichkeit des Pfarrberufs
4. Partizipatorische Gemeindeentwicklung
5. Freiwilliges Engagement in der gemeindlichen Öffentlichkeit
VI. Öffentliche Praktische Theologie als Wissenschaft
Literaturverzeichnis
Fußnoten
Seitenverzeichnis
|7| »Zu Gottes Wirklichkeit gehören die Aufbrüche in das Unbekannte, Neue. Exodus des Gottesvolkes, das Ende der Gefangenschaften, politisch und individuell.«
»Eine Gesellschaft, die nicht genug Trainings- und Lebensfelder für Partizipation und Emanzipation anbietet, wird sterben wie die Diktatur.«
(Joachim Gauck, 1997)1 |8|
In den gegenwärtigen kirchlichen Reformlandschaften mangelt es nicht an Orientierungsangeboten. In Gestalt von Impuls- und Strategiepapieren, Leitbildern, kirchenleitenden Erklärungen und strategischen Think-Tanks sowie in einer inzwischen unüberschaubaren Zahl von digital dokumentierten Projekten und Initiativen einzelner Gemeinden werden tagtäglich und »in Echtzeit« neue Entwicklungsideen manifest, verbreitet und diskutiert. In einem Teil des gegenwärtigen kirchlichen Lebens wird eine Fülle von Visionen und kreativen Ideen offenbar. Zudem sind in den letzten Jahren an verschiedenen theologischen Fakultäten Zentren und Institute zur Analyse und Interpretation gegenwärtiger kirchlicher Praxis ins Leben gerufen worden, so dass auch auf Seiten der praktisch-theologischen Wissenschaft eine wachsende Sensibilität für die notwendige Neuvermessung der Landschaft zu konstatieren ist.
Zugleich aber sind fundamentale, um nicht zu sagen dramatische, Veränderungen einer bisher wie selbstverständlich auf die Kirche bezogenen Bindungs- und Beteiligungsbereitschaft festzustellen. Die eigentliche Problematik der gegenwärtigen Situation liegt möglicherweise aber weniger in den faktischen Zahlen des Mitgliederschwundes und der konstatierten Austrittsbereitschaft als vielmehr in den noch kaum sichtbaren und doch spürbaren inneren Emigrationsbewegungen vieler Mitglieder. Dabei zeigt sich dies nicht im Sinn enttäuschter Abwendung, sondern als eine zunehmende emotionsarme Haltung absichts- und erwartungsloser Distanz zu den Inhalten und Praktiken von Kirche und Gemeinde.
Ob die großen Volkskirchen tatsächlich, wie von manchen prognostiziert, an einem grundsätzlichen Scheideweg stehen, ist dabei weniger relevant als die Frage, wie mit dieser Herausforderung der einerseits deutlich erkennbaren und der andererseits ganz stillen Traditionsabbrüche umgegangen werden kann und soll.
Angesichts dieser ambivalenten Dynamik zwischen Aufbruch und Abbruch erscheint es so herausfordernd wie notwendig, nochmals in grundsätzlicher Weise nach möglichen kirchentheoretischen Deutungskategorien für die praktisch-theologischen Analysen und Interpretationen des gegenwärtigen Kirche-Seins zu fragen. Dies soll in der vorliegenden Studie dadurch unternommen werden, dass Kirche in ihrem Selbstverständnis, ihren Gestaltungsformen und in ihrer Praxis in entscheidendem Sinn als öffentliche Kirche konzipiert wird. Wie sich dieses Leitprinzip in den institutionellen Vollzugsformen sachgemäß entfalten kann, soll ebenfalls Gegenstand der hier angestellten Überlegungen sein.
|10| Dabei bezieht sich die vorliegende Studie vornehmlich auf die Situation der protestantischen Kirchen in Deutschland und der Schweiz, da der Autor aufgrund der eigenen biographischen und berufsbiographischen Verortung und seines Grenzgängerdaseins mit beiden Kontexten vergleichsweise gut vertraut ist. Integriert wird aber auch die gegenwärtige breite internationale systematisch-theologische Diskussion zu einer public theology im Sinn der öffentlichen Verantwortung für Gesellschaft und Gemeinwesen. Damit soll zum einen zum Ausdruck gebracht werden, dass Überlegungen zu einer praktisch-theologischen Kirchentheorie auf den innertheologischen disziplinübergreifenden Dialog unbedingt angewiesen sind. Zum anderen soll dadurch deutlich werden, dass es zur Bearbeitung der aktuellen Herausforderungen für die protestantische Theologie notwendig ist, zukünftig sehr viel stärker über den eigenen lokalen Horizont hinauszublicken und sich dabei auch von der Dynamik des kirchlichen Aufbruchs in ganz anderen internationalen Kontexten inspirieren zu lassen.
Welche institutionellen und praktischen Konsequenzen die hier vorgestellten kirchentheoretischen Überlegungen und deren exemplarische Konkretisierung auf einzelnen Handlungsfeldern aber letztlich für die zukünftige Praxis erlangen können, ist aus guten protestantischen Gründen den Verantwortlichen vor Ort selbst und deren kreativer Kirchen- und Gemeindeentwicklung zu überlassen.
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