»Somit kommt es dann zu fragwürdigen Äußerungen der Politiker, die Finanzinstitute per se für systemrelevant halten, ganz gleich, was diese Banken zuvor an Schaden angerichtet haben. Am Ende verkaufen Politiker die Entscheidungen als vermeintlich alternativlos. Was sollen sie auch anderes tun, um derart groben Unfug zu verteidigen. Sie setzen auf die Unwissenheit der Bürger. Schließlich treten sie dann vor die Mikrofone und behaupten, sie schützen mit ihren katastrophalen Maßnahmen die Kleinanleger. Solche polemisch geprägten Sprüche wirken beim Volk naturgemäß immer. Das nämlich bangt um das mühsam Ersparte und fürchtet sich zudem vor einer deftigen Inflation.«
Sybille Aingsbacher verdreht die strahlend blauen Augen ein wenig. Als könne sie die haarsträubenden Fakten mildern, fährt sie sich zusätzlich mit den Fingern durch die an sich perfekt sitzende Frisur. Bevor Blomberg auch nur eine Silbe entgegnen kann, fährt sie fort.
»Den Rest erledigt die Presse, welche je nach Gesinnung die Thesen medial unterfüttert. Das ist es, was unter Meinungsmache verstanden wird, und die ist aktuell wesentlich stärker verbreitet als jemals zuvor in der Geschichte unseres Landes«.
Blomberg zeigt sich nun aufrichtig betroffen und zieht demonstrativ die Stirnfalten zusammen. »Die meisten Banken sind aber doch in der Tat systemrelevant«, bohrt er nach und formt den Mund dazu wie ein Karpfen, der gerade nach Luft schnappt.
»Sagen wir es mal so, Blomberg: Die Frage, was nachhaltig, also für die nächsten Jahrzehnte faktisch wichtig ist und eigentlich genau passiert, wenn die eine oder Bank nicht überlebt, wurde nie ernsthaft gestellt. Systemrelevant kann nur sein, was zuvor einer systemischen Prüfung unterzogen wird.« Der junge Politikwissenschaftler hat den Mund inzwischen wieder geschlossen. Noch immer hört er aufmerksam zu. Wieder nickt er eifrig und ist um einiges schlauer geworden.
»Die Bevölkerung unseres Landes ist von den miserablen politischen Entscheidungen übrigens besonders hart betroffen. Immerhin sind sich sowohl die Amerikaner als auch viele EU-Staaten schon lange weitgehend einig, dass wir einen solchen, extrem auf Zockereien ausgelegten Finanzmarkt keinesfalls benötigen. Unsere Regierung hingegen hält sich hinsichtlich klarer Abgrenzungen der einzelnen Finanzinstitute noch immer deutlich bedeckt.«
Sybille Aingsbacher beendet an dieser Stelle ihre Ausführungen. Schließlich sind die Gäste gekommen, um ordentlich zu feiern und darüber hinaus kräftig an ihren Beziehungsgeflechten zu stricken. Diesbezüglich hat sie an diesem Abend noch einiges vor. Da geht es ihr ähnlich wie Dr. Wilhelm Kaulmann, der sich gerade in das Interview mit Schweigmann vertieft und schon ordentlich an den Strippen zieht.
»Was halten Sie denn von Georg von Lakin?«, erkundigt sich Blomberg schnell noch in Richtung Sybille. Natürlich weiß er nicht, in welchem Verhältnis der Stadtrat von Bad Schlirnau zu Dr. Sybille Aingsbacher steht. »Halten sie ihn für wasserdicht, oder ist er möglicherweise aus dem gleichen Holz wie die politischen Albträume geschnitzt?«
Sybille schweigt und wiegt nachdenklich den Kopf. Einen Moment lang denkt sie an die Vollmacht, welche sie Lakin erst kürzlich so überschwänglich überreicht hat. Schnell weist sie diesen Gedanken und das ungute Gefühl zurück, das sich ihrer so unheilvoll bemächtigt. Eine Spur zu hastig entgegnet sie, dass sie Lakin nicht wirklich beurteilen könne.
»Ich kenne ihn zu wenig, Blomberg«, ergänzt sie leise und spürt voller Unruhe, dass sich das seltsame Gefühl immer noch nicht verscheuchen lässt. Dann rauscht sie in ihrer atemberaubenden Robe Richtung Dr. Wilhelm Kaulmann, der sich angeregt mit dem Chefredakteur des Schlirnauer Tageblatts unterhält.
»Schauen Sie, Schweigmann, das Volk braucht ständig Beruhigungspillen. Es will die Wahrheit gar nicht so genau wissen«, klärt er gerade den verdutzen Chefredakteur lautstark auf. Der werkelt bereits seit einer guten Stunde daran herum, von Kaulmann ein möglichst spannendes Exklusiv-Interview zu ergattern. Der Ministerpräsident enttäuscht ihn nicht und kommt mit erstaunlichen Thesen daher.
»Die eine oder andere Notlüge zum Wohle des sozialen Friedens ist politisch und redaktionell durchaus angebracht«, fasst Kaulmann seine skurrilen Ausführungen zusammen. Chefredakteur Ferdinand Schweigmann schreibt wortgetreu mit, was der Ministerpräsident so von sich gibt. Es geht um Steuererhöhungen und um Subventionen, die im Rahmen der Finanzkrise kräftig zusammengestrichen werden sollen. Viele Schulen und Kindertagesstätten hätten aus Kostengründen zu schließen, und Erziehungsgelder werden eingefroren. Die Mehrwertsteuer schließlich wird mittelfristig wie ein Wetterfrosch auf der Leiter um einige Sprossen nach oben wandern.
»Und wie verträgt sich die saftige Erhöhung der Diäten, welche erst kürzlich ohne großes Aufsehen vollzogen wurde, mit Ihren eisernen Sparvorhaben?«, erkundigt sich Schweigmann und hält sich dabei für außerordentlich investigativ.
»Diese Frage sollten Sie besser streichen Schweigmann, wenn Ihnen etwas an Ihrem Job liegt«, droht Kaulmann. »Die Sparmaßnahmen für das Volk sind systemrelevant und alternativlos«, fährt er mit ungemütlichem Unterton fort. Er ist eben ein Politiker aus echtem Schrot und Korn, dieser Kaulmann. Auch und insbesondere, was das Vokabular betrifft. Schnell erklärt er das Interview für beendet und posiert noch für das passende Foto.
»Wenn Sie mal eine wirklich heiße Story suchen, Schweigmann, dann kümmern Sie sich um Stadtrat Georg von Lakin. Aber graben Sie tief, sehr tief«, ruft er dem verdutzten Chefredakteur noch zu. Dann wendet er sich ab und verschwindet in der Masse der festlich gekleideten Gäste.
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