»Ach ja ..., Blomberg, stellen Sie auch fest, wohin die liquiden Mittel geflossen sind, falls de facto Unternehmensteile der Daseinsvorsorge in die USA verkauft wurden. Sämtliche Nachforschungen finden natürlich streng vertraulich statt – so, wie der gesamte Vorgang unter uns bleibt. Haben Sie das verstanden? Alles streng vertraulich!«
Blomberg bestätigt mit einem klaren und lauten »Jawohl, Herr Ministerpräsident!« und verschwindet dienstbeflissen und genau so lautlos durch die Tür, wie er zuvor hineingehuscht war.
Sanfte Mozartklänge schmeicheln Lydias Ohren. Wohlig entspannt räkelt sie sich auf der Liege im Kosmetiksalon und träumt ein wenig vor sich hin, während sie auf ihre Behandlung wartet. Verena Wolters, Chefin des Salons Beauty Conversion, lässt es sich niemals nehmen, ihre besten Stammkunden höchstpersönlich zu bedienen. Sie versteht es vortrefflich, selbst schwierige Fälle mittels kostspieliger Massagen, Tinkturen, Cremes, Peelings und aufwendiger Kosmetika in einen – wenngleich nur kurzfristigen – Zustand atemberaubender Verjüngung zu wandeln. Lydia von Lakin hat mit ihren knapp 50 Lenzen zweifelsfrei die besten Tage hinter sich. Das luxuriöse, ausschweifende Leben an der Seite ihres äußerst erfolgreichen und wohlhabenden Mannes hat unübersehbare Spuren hinterlassen. Chirurgische Tricks jeglicher Art lehnt sie allerdings entschieden ab, sondern liefert sich lieber auf Gedeih und Verderb Verenas Künsten aus.
In der Tat, unter den fachkundigen Händen der Salonbesitzerin entsteht das kleine Wunder. Ohne Nachhaltigkeitsfaktor zwar, jedoch mehr als ausreichend, um beim heutigen Presseball einige Stunden lang für Aufsehen, Anerkennung und Neid zu sorgen. Lydia schwelgt in Glückseligkeit. Das augenscheinliche Ergebnis versetzt sie in Hochstimmung. Wohlwollend betrachtet sie sich von allen Seiten und nickt ihrem eigenen Spiegelbild bestätigend zu.
»Guten Tag, Frau von Lakin. Sie sehen fantastisch aus!« Lydias letzte Drehung vor dem Spiegel endet beinahe in den Armen der jungen Dame, die sie so freundlich begrüßt. Strahlend steht Dr. Sybille Aingsbacher, Politikberaterin und gelegentliche Mitarbeiterin im Stadtratsbüro Ihres Mannes, dem frischgebackenen Beauty-Kunstwerk gegenüber.
»Auch zu Gast beim Presseball heute Abend?«, beginnt Lydia von Lakin mit Handschlag den obligatorischen Smalltalk. »Eine Schönheitskur haben Sie in Ihrem Alter doch gar nicht nötig«, ergänzt sie scheinheilig, ohne Sybilles Antwort abzuwarten, und taxiert auffällig das mindestens zwei Jahrzehnte jüngere Gegenüber.
»Nein, nein ...«, erwidert Sybille Aingsbacher hastig. »Ich bin mit Verena zum Mittagessen verabredet. Die Schlirnauer Stuben bieten eine hervorragende Mittagskarte. Übrigens auch mit schmackhaften, kalorienreduzierten Gerichten«, ergänzt sie mit seltsam süffisantem Unterton. Sybilles aufdringlich wirkender Kennerblick scheint sich in Lydias mehr oder weniger gut kaschierter Speckrolle zu verfangen, die sich mit der Zeit in der Taillengegend verfestigt hat. Die eben noch dominierend vorherrschende Glückseligkeit weicht augenblicklich einer Verärgerung, die Lydia nur schwer verbergen kann.
Noch bevor sie zu einer schlagkräftigen Erwiderung ausholen kann, erklärt Sybille mit fester Stimme, dass sie selbstverständlich zum Presseball erscheinen wird. »Wir sehen uns also!«, resümiert Dr. Sybille Aingsbacher und wendet sich abrupt den frisch dekorierten Auslagen mit den sündhaft teuren Schönheitsprodukten des Salons zu.
Lydias Stimmung sinkt Richtung Gefrierpunkt. Sie geht zur Kasse, um die Rechnung zu begleichen und bedankt sich noch einmal bei Verena, der Künstlerin in Sachen Metamorphose. Schnell füttert sie noch das für jedermann sichtbare Sparschwein der Mitarbeiter. Dann stakst sie aufgedonnert und eilig davon.
»Sie ahnt nichts, sie sieht nichts, sie merkt nichts ...«, seufzt Sybille mit Blick auf die Salon-Tür, hinter der nur noch der davoneilende Schatten Lydias zu erahnen ist.
»Sie will es nicht merken ...«, ergänzt Verena, die ihre Freundin unterhakt, um endlich mit ihr in die wohlverdiente Mittagspause zu starten.
»Wissen Sie, Herr von Lakin, ich habe tagtäglich mit vielen Menschen zu tun. Die meisten haben außer einer gebrochenen Biografie nicht viel zu bieten. Meine Erwartungshaltung ist daher nicht sonderlich hoch.« Trompt dreht ungeduldig an seinem Kugelschreiber, fletscht etwas seltsam mit den Zähnen und atmet tief . »Aber ...«, raunzt er und macht eine kurze Pause, »... ich erwarte zumindest Antworten auf meine Fragen. Ansonsten kommen wir hier nicht weiter. Sie müssen doch wissen, was Sie in den vergangenen drei Jahren gemacht haben? Sie müssen es mir sagen!«
Georg von Lakins leerer Blick gleitet in Richtung der beiden großen Fenster. Gerade so, als erhoffe er sich von ihnen den so dringend notwendigen Beistand. Langsam dreht er den Kopf und lässt den Blick über Trompts Schreibtisch gleiten. Dort hat alles seine Ordnung. Wenigstens dort. Trompts akribisch angeordnetes, beamtentypisches Sammelsurium trägt tatsächlich dazu bei, seinen Gedanken wieder mehr Klarheit zu verschaffen.
Abrupt hebt er den Kopf und schaut dem Fallmanager erstmals geradewegs und offen ins Gesicht. Die Blicke der beiden so unterschiedlichen Männer treffen sich: Augenblicke zweier Menschen, deren Lebensläufe unterschiedlicher nicht sein könnten. Doch bilden sie an diesem Punkt eine Art Schicksalsgemeinschaft mit beiderseitiger Hoffnung und Erwartung. Er, Lakin, wünscht sich, möglichst menschenwürdig aus der Sache herauszukommen und natürlich ein wenig Glück in Hinblick auf den Katalog der Anforderungen, die nun an ihn gerichtet werden. Trompts Erwartungen hingegen liegen in der möglichst erfolgreichen Vermittlung einer verkrachten Existenz. Das sichert seinen Arbeitsplatz. Vielleicht bringt es ihm sogar eine Beförderung.
»Wenn Sie nicht mitarbeiten, sieht es nicht gut aus.« Mit rüden und lauten Worten reißt Trompt ihn aus seinen Überlegungen. »Sie erhalten dann keine Leistungen zum Lebensunterhalt und ...« Trompts Stimme stockt für einen Moment, bevor er fortfährt. »Ich kann Ihnen dann nur die Adresse von einem Wohnheim für Obdachlose sowie ein paar Lebensmittelgutscheine offerieren.«
Etwas verlegen spielt Trompt wieder am Kugelschreiber herum und vermittelt den Eindruck, als bedaure er die vorgetragenen Sanktionen zutiefst. Jene Verordnungen, die er als Beamter mit Leib und Seele, der er zweifelsfrei ist, stets penibel und genauestens einzuhalten hat. Er tut mir leid, dieser Trompt, denkt Lakin. Was hat er doch für ein lausiges Leben. Er kann über Schicksale entscheiden, ja, das kann er wohl. Doch er trägt auch die Last, wenn seine Bemühungen nicht fruchten. Er nagt an einer Macht, die ihm die Drecksarbeit überlässt, während andere die Früchte ernten. Dennoch – Lakin fahren die Worte des Fallmanagers durch Mark und Bein.
Der Typ hat recht, gesteht er sich ein. Ich bin nichts weiter als ein Landstreicher in Nadelstreifen. Ein Blender, ein Betrüger, ein jämmerliches Nichts. Dazu völlig pleite, ohne Wohnsitz, ohne Freunde und im Bewusstsein, alle Beziehungen verspielt zu haben. Er hat den Kurs verloren. Das wird ihm in diesem Moment vollends bewusst. Nicht etwa nur den Kurs irgendwelcher Aktien oder sonstiger vermögensrelevanter Anlagen, sondern den Kurs seines Lebens. Lakins Gesichtszüge nehmen plötzlich eine Entschlossenheit an, welche er in den vergangenen Jahren für verloren hielt. Sein Blick in Trompts Augen verfestigt sich weiter. Dann endlich spricht er sie aus, jene Worte, von denen er annahm, dass er sie niemals, wirklich niemals über die Lippen bekommen würde.
»In den letzten drei Jahren war ich ...«. Lakin pausiert, schluckt und atmet nochmals tief durch. »Ich komme aus dem Knast. Die letzten drei Jahre war ich in der JVA Niederplaunstein inhaftiert.« Die eben geäußerten Worte hallen in ihm nach wie das Echo eines Kanonenrohrs. Seine schweißnassen Hände krallen sich nun so tief in den kratzigen Stoff seiner Hose, dass es ihm geradezu Schmerz bereitet.
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