Lakin zündet sich eine seiner feinen Zigarillos an. Er inhaliert tief und formt beim Ausatmen mit dem Rauch ein paar Ringe in die Luft und seine Gesichtszüge entspannen sich ein wenig.
»Mach dir nicht gleich in die Hose, Wilhelm. Das ist ja nicht grundsätzlich verboten, solange dem Absicherungsgeschäft eine Kreditaufnahme gegenübersteht. Wir sind nicht die einzige Kommune, die so agiert, und bisher haben die Swap-Geschäfte gut gefluppt. Die Entwicklung konnte so niemand vorhersehen.«
»Was willst du tun, Georg?« Kaulmanns Stimme klingt kleinlaut, angstvoll und ziemlich panisch.
»Abwarten, Wilhelm, abwarten und Tee trinken. Notfalls die Bank verklagen wegen Fehlberatung. Auf keinen Fall klein beigeben.« Langsam bekommt sich Lakin wieder in den Griff und nimmt eine deutlich straffere Haltung ein. Gleichwohl ist ihm klar, dass am Ende der Staatsanwalt winkt. Besser gesagt winken kann, wenn ihm nichts Kluges einfällt. Denn es handelt sich bei diesen Swap-Sorten um äußerst komplizierte Finanzprodukte, die geradezu um Vorsicht wimmern. Das weiß natürlich auch Lakin. Und der ist als Stadtrat verpflichtet, Sorgfalt walten zu lassen. Denn Steuergelder werden treuhänderisch verwaltet und müssen umsichtige Verwendung finden.
Lakin betet sich die Vorschriften in Gedanken noch einmal vor. Zwei eiserne Verpflichtungen binden die Finanzverantwortlichen in Städten und Kommunen: Erstens müssen sie Anlageprodukte verstehen, bevor sie genutzt werden. Zweitens muss eine Risikobegrenzung durch breite Streuung auf unterschiedliche Produkte erfolgen. Über solch lästige Verpflichtungen sieht Lakin allerdings stets großzügig hinweg. Schon immer, denn zu viel Um- und Vorsicht blockieren den wohlverdienten Erfolg nur – findet er. Für einen kurzen Moment verspürt Lakin ein undefinierbares, aber tiefes Unbehagen, doch er schiebt es innerlich schnell und energisch beiseite.
»Gib Nachricht, wenn die Bombe definitiv tickt«, flüstert Wilhelm in den Hörer. »Du weißt, ich habe in meiner Eigenschaft als Ministerpräsident Möglichkeiten, notfalls auch Anweisung an die Staatsanwaltschaft zu geben. Wenn sonst nichts mehr hilft, Georg, hörst du? Nur, wenn sonst nichts mehr hilft.«
»Reden wir nicht um den heißen Brei herum, Herr von Lakin. Ihre Vermittlung ist kein Kinderspiel. Sie sind nicht mehr der Jüngste, und Sie haben keine abgeschlossene Ausbildung. Multiple Vermittlungshemmnisse nennen wir das in der Fachsprache. Es müssen aber alle bei uns gemeldeten Kunden arbeiten, egal was.« Trompt von der Integration macht einen ratlosen Eindruck.
»Außerdem klafft in Ihrem Lebenslauf eine dreijährige Lücke«, führt er lakonisch weiter aus. »Die müssen wir jetzt schließen. Also, erzählen Sie erst einmal der Reihe nach, über welche Qualifikationen und Berufserfahrungen Sie tatsächlich verfügen und welche Sozialleistungen Sie möglicherweise schon genutzt oder beantragt haben.« Trompt bringt sich in Position, um per Tastatur in die Eingabemaske einzubringen, was ihm sein Schützling mitteilen soll. Dieser aber starrt seltsam entrückt in die Ferne und schweigt.
Was weiß der Kerl von mir?, denkt Lakin. Mehr als er offenbart? Hatte nicht er selbst, der große Lakin, zu aktiven Politikerzeiten vor Jahr und Tag dafür gesorgt, das Programm DKADS und damit eine digitale Komplettarchivierung aller Daten der Sozialleistungsantragsteller auf den Weg zu bringen? Einerseits, um den Behörden mehr Transparenz hinsichtlich ihrer Bürger zu gewähren, und andererseits, um die Effizienz aller Behördenvorgänge drastisch zu steigern. Lakin hat zwangsläufig einiges beantragt, der Umstände halber sozusagen. Was also weiß der Typ? Trompts Gesicht jedenfalls spricht nicht Bände, sondern gleicht eher einem Pokerface in Beamtengestalt.
»Nun, Herr von Lakin?« Trompts Stimme wird im Ton schärfer und herausfordernder. Sie klingt nun absolut nicht mehr kundenfreundlich.
Lakin gibt sich einen Ruck, und langsam beginnt er aufzuzählen. Zunächst seine Ausbildungen, die sich auf eine Banklehre und ein Praktikum im damaligen Unternehmen des Vaters beschränken. Dann fügt er die späteren Stationen als Manager im Familienbetrieb, Stadtrat, Politiker für die neue gegründete Partei WGP und seine sagenumwobenen Broker-Kenntnisse hinzu. Trompt tippt fleißig, korrigiert gelegentlich, wiegt bisweilen bedenkenschwer den Kopf und schenkt Lakin immer wieder einen Blick, der nicht allzu viel Gutes verheißt.
»Und die letzten drei Jahre, Herr von Lakin. Was haben Sie da anzubieten?« Trompt nimmt eine lauernde Haltung ein. Der befehlerische Ton erinnert eher an Kasernenhof und weniger an eine Agentur, die mit dem Begriff »Kunden« wirbt. Erneut wird die Geduld des Fallmanagers auf eine harte Probe gestellt. Lakin wirkt wieder seltsam entrückt, abwesend und unkonzentriert. Er scheint den Integrationsbeamten nicht wirklich wahrzunehmen.
»Herr Lakin, haben Sie mich nicht verstanden?«, bekräftigt Trompt seine Aufforderung. Doch Lakin schweigt. Der will mich nur aus der Reserve locken, dieser blasierte Beamten-Heini, besänftigt er sich selbst. Wieder gleiten seine Handflächen über den rauen Stoff seiner Anzughose. Sie sind feucht und zittern. Das Gefühl, einer nahenden Bedrohung endgültig nicht mehr ausweichen zu können, verfestigt sich in erschreckender Weise.
Dr. Wilhelm Kaulmann pustet vorsichtig eine Fluse von seinem Jackett. Minutenlang schon wippt er nervös mit den Schuhspitzen herum und rudert unkoordiniert mit den Armen. »Dieser Lakin bringt uns Ärger, ich rieche das auf 100 Kilometern Entfernung«, nuschelt er leise vor sich hin. Er nimmt dabei kaum seinen Büroleiter Frank Blomberg wahr. Der hat soeben recht geräuschlos das Büro des Chefs betreten, um einige Unterschriften und weitere Anweisungen zu beschaffen.
»Bringen Sie doch mal in Erfahrung, ob Stadtrat von Lakin zu jenen Witzbolden gehört, die sich seit den 1990er Jahren mit Cross-Border-Leasing-Geschäften selbst das Fell über die Ohren gezogen haben. Checken Sie alles durch. Bad Schlirnaus Kanalisation, Klärwerk, Straßenbahnen, Betriebsbahnhof ... und so weiter. Prüfen Sie gegebenenfalls die Laufzeiten dieser Geschäfte – wenn es sie denn tatsächlich gibt – und klären Sie, ob sich ab 2004 etwas verändert hat. Damals hat der amerikanische Kongress derartige Deals ja als Scheinverträge eingestuft und gleichzeitig beschlossen, Transaktionen dieser Art steuerlich nicht mehr zu begünstigen.«
Kaulmann schnäuzt sich umständlich die Nase und prustet noch ein wenig, bevor er seinen Büroleiter weiter aufklärt. »Das war schon damals der Beginn einer Kette von Sachverhalten, die auch vielen Kommunen, welche sich an solchen Geschäften beteiligen, geradezu exorbitante Probleme bringen. Viele amerikanische Investoren wollen seither aus den Verträgen aussteigen – koste es, was es wolle. Und die Amerikaner sind nicht zimperlich, wenn sie sich erstmal etwas in den Kopf gesetzt haben. Das dürfte auch Ihnen als Politikwissenschaftler nicht entgangen sein, Blomberg. Oder?«
Der Angesprochene nickt Zustimmung signalisierend, obwohl er im Moment noch nicht ganz begriffen hat, was Kaulmann eigentlich meint. Er will sich später im Internet genauer kundig machen und konzentriert sich zunächst auf die Aufgaben, die ihm der Chef stellt.
»Listen Sie auch die Investitionssummen der Amerikaner und die Leasinggebühren auf, die Bad Schlirnau berappen musste oder möglicherweise noch immer zahlt«, führt Kaulmann weiter aus. Hektisch gestikuliert er dabei Kreise in die Luft, als könne er seinen Anweisungen damit drastisch Nachdruck verleihen.
Blomberg schreibt emsig mit. Schließlich will er nicht Fehler, sondern Karriere machen. Dafür ist er zu allem bereit, sogar zu permanent unbezahlten Überstunden. »Selbstverständlich, Dr. Kaulmann«, pariert er daher unverzüglich im Bewusstsein, als Büroleiter des Ministerpräsidenten einen unerhört wichtigen Job ausführen zu dürfen.
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