Manchmal steht in der Zeitung, wir wären „Handlungsreisende in Sachen Menschenrechte“. Das ist meistens nett gemeint, auch wenn es sich inzwischen herumgesprochen haben sollte, dass Künstler in aller Regel nichts von Geschäften verstehen, weil sie sonst einen anderen Beruf gewählt hätten. Und dass wir Etikettierungen gar nicht mögen und um Verkäufer, Missionare und andere Einredner gerne einen ganz großen Bogen machen; oder auch mal beim Wein darüber philosophieren, dass für solche Leute der Kochtopf des Kannibalen einstmals ein durchaus verständlicher Verbleib gewesen ist — dies aber selbstredend nur aus der rein kulturhistorischen Perspektive.
Trotzdem: auch wenn wir gewiss keine Handlungsreisenden in irgendwelchen Sachen sind und es nicht als unsere Aufgabe sehen, irgendjemandem etwas zu verkaufen, so ist es doch wahr, dass wir uns von keiner anderen Muse so gerne abknutschen lassen wie von der Freiheit. Und dass wir von ihrer Schönheit und derber Anmut auch ganz besonders oft und gerne erzählen.
Wenn man nun sehr lange mit Kultur und Politik im Gepäck durch die Gegend reist, sammeln sich unterwegs mit der Zeit viele Geschichten an. Einige von ihnen haben etwas mit einer Art von Kulturleben zu tun, die man nicht täglich in einem Feuilleton beschrieben findet. Und die auch nur wenig mit einem zeitgeistigen Kulturbegriff zu schaffen hat, der sich immer mehr aus den Regeln der odiosen Ökonomie definiert und immer weniger aus denen der Kunst — der Inhalt gilt nicht mehr, nur sein Verkauf. Da ist es schon erklärungsbedürftig, wenn man trotzdem kein Verkäufer sein will. Also geben manche Geschichten auch Antwort auf Fragen, die uns unterwegs immer wieder gestellt werden, nämlich warum wir das tun, was wir tun, und was genau die Wurzeln und der Antrieb für unser Tun sein könnten.
Bisher waren wir zurückhaltend mit Geschichten über die eigene Arbeit und unsere Erfahrungen im Kulturbetrieb. Im Kulturleben, finden wir, sollen Künstler nicht um sich selber kreisen — obwohl alle Welt genau das von ihnen glaubt — sondern gefälligst mit ihren Themen Tango tanzen. Nicht mit sich selbst.
Trotzdem erzählen wir in diesem Buch nun einige Geschichten über die Herkunft unserer Arbeit und über unsere Erfahrungen mit dem Kulturbetrieb. Der Anstoß dazu kam nicht von uns, sondern von den Fragen, die uns unterwegs gestellt wurden. Oder genauer von den Fragestellern, die uns erst bewusst gemacht haben, welche sehr aktuellen Themen in einem Fetzen Biographie stecken können, den wir bisher für unbedeutend hielten oder für Schnee von gestern. Gleich mehrere Texte in diesem Buch wären nie geschrieben worden (und zwei weitere Bücher in dieser Edition nicht erneut veröffentlicht) wenn der Ulmer Soziologe Lothar Heusohn, der in unseren Augen ein Universalgelehrter von humboldtianischen Ausmaßen ist, uns nicht einige sehr inspirierende Tritte in den literarischen Hintern verpasst hätte.
Und dann sind da noch die überaus merkwürdigen Erfinder und Herausgeber dieser Edition. Unter den vielen Verrückten, die wir unterwegs kennen gelernt haben, gehören diese zweifellos zu den besonders verrückten, aber auch besonders kreativen und liebenswerten. Ihnen wollten wir ein Buch anbieten, das wir in einem kommerziellen Verlag nicht gerne gesehen hätten. Und weil sie mit derselben Muse im Bett liegen wie wir.
Urs M. Fiechtner, Mai 2015
Urs M. Fiechtner
Ich singe
mit Möwenzungen
mache eine Schaukel mir
aus Wind
breite meine Schwingen weit
über das Meer
habe einen Schnabel
mit lautem Gekreisch
mit falschen Tönen oft
manchmal verirrt, manchmal zu laut
das Gefieder schließlich
von Adlern zerzaust, nicht immer rein.
Trotzdem wiegt mich der Wind
und grüßt mich glitzernd das Meer.
Wir mögen uns eben.
Nicht nur die Sprachverwirrung
Sergio Vesely / Urs M. Fiechtner
Eins: Für den Opa
Keiner von uns konnte „Regenschirmständer“ aussprechen, ohne mehrere Knoten hintereinander in die Zunge zu bekommen. Aus diesem Grund nannten wir das Möbel schlicht und einfach weiterhin paragüero. Das war leichter für uns. Obwohl ich zugestehen muss, dass einige von uns selbst dafür ein Wörterbuch brauchten, weil sie in der Vergangenheit noch nie einen echten paragüero gesehen hatten, teils weil man bei uns nicht unbedingt einsieht, dass jedes Ding auf der Welt auch sein eigenes Möbel verlangt, und teils, weil der Regen ein seltener Gast in unserer chilenischen Heimat ist.
Wie gesagt: wir hatten beschlossen, den Regenschirmständer ganz und gar spanisch zu belassen. Wegen der Sache mit der Zungenartistik. Und weil uns die Teamarbeit zwischen Wörtern sehr fremd war. Wir kamen aus einem stolzen Land, wo alles und jeder auf jedes und alles sehr stolz ist. Auch die Wörter auf sich selbst — niemals würden sie sich zusammensetzen, um ein neues zu bilden. Außerdem kamen wir aus einer Diktatur. Da gab es nur ein Oben und ein Unten, Befehl und Gehorsam, Ja oder Nein. Es gab keinen Ausgleich der Interessen, wie in einer Demokratie. Es gab keine Runden Tische. Man setzte sich nicht zusammen, um eine Lösung zu finden, sondern legte mit militärischen Mitteln fest, was die Leute zu denken und zu sagen hatten. Kompromisse waren wir nicht gewöhnt.
Trotzdem gab es eines Tages eine Wende — wir fanden eine Zwischenlösung, die uns überzeugte. Sie war vielleicht nicht die richtige für die netten Leute von der Volkshochschule, die uns gutes Deutsch beibringen wollten, aber sie hatte einen enormen Vorteil: wir alle konnten sie fehlerfrei ins Deutsche übersetzen und wussten, dass ein paragüero gemeint war, obwohl von etwas ganz anderem die Rede war.
Die Geschichte ist eigentlich für Insider, aber ich erzähle sie trotzdem. Ich finde sie sehr bereichernd. Sie sagt etwas aus über die unverschämte Kraft der Naivität.
Die Sache war die, dass unter uns Flüchtlingen damals ein Landsmann mit einem Sprachfehler wohnte. Er sprach Spanisch wie die Chinesen. Also ohne „r“. Eines Tages kam er zurück von einem netten winterlichen Spaziergang durch die Altstadt und schrie an der Haustür nach dem paragüero. „Pa’labuelo“ rief er. „Wo ist der pa’labuelo?“
Und schon war es passiert. Wir mussten lachen, und während wir lachten, fanden wir die neue Bezeichnung für den unaussprechlichen Regenschirmständer. Wir übersetzten, was wir gefunden hatten. Es waren drei Wörter, und die bereiteten uns in keiner der beiden Sprachen irgendwelche Schwierigkeiten: „Para el abuelo“ = „Für den Opa“.
Seit diesem Tage sagen wir nicht mehr paragüero. Wenn wir tropfnass in der Haustür stehen und den Regenschirm so ordentlich und rücksichtsvoll, wie es hierzulande Sitte ist, ins Trockene bringen wollen, suchen wir den Fürdenopa.
Zwei: Anmeldearse
Se anmeldearon? — Eine merkwürdige Frage. Am Anfang verstanden wir sie nicht. Was war nur damit gemeint?
Wir konnten es nicht wissen, weil dieses Wort in unserer Sprache nicht existierte. Bei uns zu Hause ist man einfach da, ohne jemanden von seiner Existenz amtlich informieren zu müssen. Hier ist das anders.
Das Wort war eine Erfindung der Flüchtlinge, die vor uns in Deutschland angekommen waren und irgendwie versuchten, mit den exotischen Sitten und Gebräuchen ihres Gastlandes ins Reine zu kommen.
Eines stand von Anfang an fest: hier musste man sich anmeldearen. Überall. Jederzeit. Ständig. Das Wort klang wie eine Warnung. Wer es zum ersten Mal hörte, dem stand die Angst im Gesicht. Wir ließen uns nicht ohne Weiteres beruhigen. Die Erklärungen waren verwirrend. Wir waren frei, aber wir dachten bei diesem Wort sofort wieder an das Gefängnis.
Tatsächlich konnte man diese Frage kaum übersetzen. Das Wort war eine Leihgabe aus der Kultur unserer Gastgeber. Die Deutschen leben damit ihr ganzes Leben. Sie sind anmeldeados seit ihrer Geburt.
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