Jan-Hillern Taaks - Wolf
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Von der Einsamkeit
der
Außenseiter
Außenseiter, es gibt sie. Es sind Menschen, die nicht ganz in die Schubladen unserer menschlichen Gesellschaft passen. Die Gründe hierfür können vielfältig sein. Die Gesellschaft hat bestimmte Normen des Zusammenlebens, in die die Außenseiter nicht oder nicht ganz passen. Viele Homosexuelle gehören dazu. Homosexuelle werden heute nicht mehr ausgestoßen, und doch sind viele von ihnen Außenseiter, weil ihr Leben oft anders verläuft als das der Nicht-Homosexuellen. Wenn bei Homosexuellen noch bestimmte und außergewöhnliche Eigenschaften und Verhaltensweisen hinzukommen, so wird das Leben von und mit ihnen schwierig.
Diese Geschichte handelt von der Einsamkeit zweier Homosexueller unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Neigungen und Verhaltensweisen. Beide sind im üblichen Sinne tüchtige und erfolgreiche Menschen, aber sie passen nicht ganz in die Welt der Normalität. Die Beiden werden beachtet und geachtet, sogar geliebt, und doch bleiben sie Randfiguren ihrer Umgebung. Es ist nicht so, dass die Gesellschaft sie unbedingt ablehnt, sondern eher so, dass die Beiden die allgemeingültigen Normen nicht akzeptieren wollen oder können, und das wiederum verstärkt die Außenseiterposition.
Es ist die Geschichte von Wolf Heckenborg und Jens Hansen. Außergewöhnlich? Vielleicht.
01. Kindheit und Jugend des Wolf Heckenborg
Wolf Heckenborg kam am 13. April 1982 zur Welt. Er ist das vierte und letzte Kind der Eheleute Rudolf Heckenborg und seiner Ehefrau Irene, geborene Obartz. Eigentlich hatten die Eltern kein viertes Kind haben wollen. Die Eltern machten sich gegenseitig Vorwürfe, denn das Kind passte nicht mehr in ihr Leben, das von gesellschaftlichen und geschäftlichen Verpflichtungen geprägt war. Mutter Irene, eine elegante, schöne Frau mit der Figur und dem Gesicht einer 20-Jährigen hatte sogar daran gedacht, sich das Kind "wegmachen zu lassen". Das hatte sie denn doch nicht getan, weil ihr letztlich der Gang zum Arzt peinlich gewesen war. Welche Gründe hätte sie dem Arzt sagen sollen? Sie war gesund, es gab keine finanziellen Probleme und sie hatte ein großes Haus. Gründe zur Abtreibung wären bestenfalls dünne Fabrikate. Religiöse Betrachtungen spielten keine Rolle. Ja, man ging zur Kirche bei Trauungen, Taufen und bei Trauerfeiern, aber das auch nur, um gesehen zu werden, und man zahlte die Kirchensteuer.
Aber nun war Wolf da, es wurde getauft, bewundert und beiseitegelegt. Wolf war ein Kind, das den Eltern nicht nur Freude brachte, im Gegenteil. Schon als kleines Kind hatte er ein ausgeprägtes Eigenleben, und er hatte Probleme, sich in die Familie einzupassen. Der Junge galt als schwierig, und man vermied es, ihn vorzuzeigen, wenn die Eltern Gäste empfingen. Er wurde weggesperrt. Irene hatte seinetwegen ein weiteres Kindermädchen eingestellt, aber auch das Kindermädchen hatte Mühe, mit dem Jungen fertig zu werden.
Der sehr gut aussehende Vater war ein erfolgreicher Geschäftsmann. Er galt in der Fachwelt als "gerissener Geschäftemacher", als ein Mann, der wusste, wie man Geld macht. Er war auf Empfängen und Gesellschaften ein gern gesehener und charmanter Gast. Er hatte mit der Hilfe seines Schwiegervaters Alfons Obartz ein Handelsunternehmen aufgebaut, das sich mit der Einrichtung von Arztpraxen und Krankenhäusern befasste. Musste ein Krankenhaus modernisiert werden, Herr Heckenborg hatte stets die entsprechenden Geräte verschiedener Hersteller zur Hand, wenn sie gebraucht wurden. Galt es, irgendwo eine Radiologie aufzubauen, er lieferte die Geräte und installierte sie in Rekordzeit. Das Unternehmen Heckenborg unter dem Namen "Medical Equipment and Supplies" war inzwischen weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Während der Aufbauphase hatte Irene mitgeholfen, jetzt hatte Rudolf einen tüchtigen Geschäftsführer eingesetzt, und er sowie Irene ließen es ruhiger angehen, was die geschäftlichen Anforderungen betraf. "Man hatte ja Jemanden", so sagten sie, und sie lebten entsprechend.
Mit wachsendem Geschäftserfolg und wachsendem Reichtum gönnte sich die Familie zunehmend mehr Luxus. Sie bewohnte bei Harburg eine große Villa mit einem parkähnlichen Garten. Die Einrichtung des Hauses war "vom Feinsten", dafür hatte bereits Irene gesorgt. Irene hatte nun zwei Haushaltshilfen und einen Gärtner, Rudolf leistete sich einen Chauffeur. Und nun gab es auch das Kindermädchen und ein Fräulein für die älteren Kinder. Wahrhaftig, so dachten viele außenstehende Menschen: Die Heckenborgs waren eine glückliche Familie mit vier offensichtlich gesunden Kindern.
Irene und Rudolf waren ein schönes und gut aussehendes Paar, und sie passten gut zueinander, so hieß es allgemein. Sie waren überall zu finden, wo sich die elegante Welt aufhielt, sie waren in den richtigen Clubs, sie spielten Tennis und Golf, und sie waren da zu finden, wo sich auch die Geschäftswelt aufhielt. In der Tat, manches Geschäft wurde in diesen Clubs oder bei Veranstaltungen in die Wege geleitet. Es waren kurze Sätze, fast Nebensätze, und dann traf man sich in der passenden Umwelt wieder - in Arztpraxen oder Krankenhäusern, wo man über Investitionen sprach und über Geld.
Für Rudolf hatte das Glück im Jahr 1967 angefangen, als er Irene Obartz auf einer Party bei Freunden traf. Sie war schön, wunderschön, und nach einem Tanz mit ihr stand für ihn fest, dass Irene die Frau seines Lebens war. Er traf sie am nächsten Abend in einem griechischen Restaurant wieder, es sah zufällig aus, war es aber nicht. Er merkte schnell, dass die schöne Irene ihn mochte, und es dauerte auch nicht lange, da machte er seinen Antrittsbesuch bei Alfons Obartz, dem verwitweten Vater.
Alfons hatte im Laufe der letzten drei oder vier Jahre viele Freunde und Bewunderer von Irene kennengelernt. Als sich Rudolf vorstellte, hatte er gleich das Gefühl gehabt, dass er der richtige Mann für sie sei. Er mochte ihn, weil er gut aussah, aber vor allem, weil er politisch und geschäftlich gut informiert war. Gewiss, er war Bankangestellter in gehobener Position, aber er konnte in allen Fragen der Wirtschaft mitreden, und das gefiel Irenes Vater so sehr, dass er ihm anbot, mit ihm in der "Medical Equipment and Supplies GmbH" mitzuarbeiten. Rudolf hatte damals nicht sofort zugestimmt. Er hatte sich die Mühe gemacht, sich das Unternehmen genauer anzusehen, und er hatte schnell erkannt, dass das Unternehmen eine große Zukunft haben würde.
Rudolf trat schließlich in das Unternehmen als stellvertretender Geschäftsführer ein, kurz darauf wurde die Verlobung gefeiert, und kaum ein Jahr später heiratete Rudolf seine Irene. Er war glücklich, und er sah sich und seine Zukunft gesichert. Auch Vater Alfons war sehr zufrieden, denn Rudolf entpuppte sich als ein tüchtiger Geschäftsmann, der seine Ideen gewinnbringend umzusetzen verstand.
*
Walter, geboren 1970, war das erste Kind der Heckenborgs, der Stolz des Ehepaares. Er war bereits als Säugling "ein lieber Kerl", und er entwickelte sich prächtig. Vor allem Mutter Irene verbrachte viel Zeit mit dem Jungen, und sie förderte seine frühe Entwicklung mit großer Hingabe und einer gehörigen Portion Ehrgeiz. Walter war still, er konnte gut zuhören, und er wusste, wann er den Eltern zu gehorchen hatte. In der Schule zeigte er Leistungen im oberen Durchschnitt, er studierte an der Universität Betriebswirtschaft, dann absolvierte er noch eine Banklehre, ehe er in dem väterlichen Betrieb tätig wurde.
Walter sah ungewöhnlich gut aus, wie den Eltern von allen Seiten immer wieder bestätigt wurde. Er war groß, blond, blauäugig, sportlich, und er hatte ausgesprochen gute Manieren. Er konnte sehr charmant sein und er vermittelte dennoch den Eindruck, als wisse er immer, was er wolle. Er lachte viel, und er war der Liebling nicht nur seiner Eltern, sondern auch seines Großvaters Alfons, der leider starb, als Walter gerade 13 Jahre alt war.
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