Bemerkungen über die Vögel der canarischen Inseln
Journal für Ornithologie 1854
Die Fauna von Inseln ist selten durch Artenreichtum ausgezeichnet; doch knüpft sich an sie ein Interesse, welches numerisch begünstigtere Ländermassen uns nicht immer in höherem Grade abgewinnen.
Mathematisch scharfe Begrenzung des Gebietes, die von selbst sich darbietenden Vergleichungen mit den Küsten benachbarter Kontinente, so manche eigentümlich ausgeprägte spezifische Form, so viel Folgerechtes und andererseits wieder so überraschende Sprünge hinsichtlich der geographischen Verteilung der Arten: die Richtung der Züge unserer Wandervögel über das pfadlose Meer endlich, deren Stationen und Zielpunkte mehr und mehr aus dem ungewissen Dunkel aufzutauchen beginnen: Alles das ist wohl im Stande, die Aufmerksamkeit des Naturfreundes angenehm zu fesseln. In diesem Sinne aufgefaßt, werden einige kurze Notizen über die Ornithologie der canarischen Inseln vielleicht nicht unwillkommen erscheinen. Der Schreiber dieser Zeilen, der es zu den günstigeren Schicksalen seines Lebens rechnet, ein Jahr lang unter dem schönen Himmel jenes tiefen Südens verlebt zu haben, gesteht, dass ihn mehr Neigung, als streng wissenschaftliche Befähigung, den Fuß mit Schüchternheit gerade auf dieses Gebiet setzen lässt. Zu jener Zeit nur allein botanischen Studien und seiner Gesundheit in einem reinen, ungetrübten Naturgenusse inmitten der großartigsten Szenerien lebend, waren ornithologische Forschungen für ihn in den Hintergrund gerückt: so dass die Lust an Beobachtungen, zu denen er sich jetzt lebhaft angeregt fühlt, nur in Zwischenräumen, je nach der stoßweise gleichsam aufflammenden Liebhaberei, in ihm rege wurde. Aber baut sich das Gebäude der Wissenschaft nicht aus tausend kleineren Tatsachen auf, von denen keine, wenn aufrichtig und treu wiedergegeben, eine Lücke auszufüllen verfehlt? Ist der kleinste Baustein zur Vollendung des großen Ganzen nicht eine annehmbare Gabe? Wir fügen dem Resultate mancher eigenen Wahrnehmung, die dem offenen Blicke sich darbot, eine möglichst vollständige Zusammenstellung des von unseren Vorgängern Gegebenen, in ihren Werken Aufgezeichneten, oder mündlich Mitgeteilten hinzu. Und indem wir die Feder zur Hand nehmen, wie viel Pläne für die Zukunft, wie viele Erinnerungen, tauchen in unserer Seele auf! So zumal eine der letzteren, die uns ewig teuer bleiben wird, und die wir hier zu erwähnen ein Recht haben.
Sie betrifft einen der begeistertsten und kenntnisreichen Ornithologen unserer Zeit, Sabin Berthelot, zur Zeit französischer Konsul zu Santa Cruz auf Teneriffa. Zehn Jahre lang hat derselbe in seiner Jugend, gleichsam ein canarischer Audubon, den Archipel der 7 Inseln durchstreift. In seinem und Ph. B. Webb’s gemeinschaftlichem, klassischem Werke „Histoire naturelle des Iles Canaries“ hat er seine reichen Erfahrungen in meisterhafter Sprache niedergelegt. Aber etwas anderes noch, als seine Werke lesen, ist es: seinen Erzählungen zu lauschen. Dieses Glück ist uns viele Monate hindurch beinahe täglich zu Teil geworden: an seinem gastfreundlichen Herde, den die Sympathien vertrauter Freundschaft zu einer zweiten Heimat für uns umschufen, auf Jagdpartien und botanischen Exkursionen. Ihm verdanken wir das Meiste von dem, was wir wissen. Und so wollen wir denn unter seinen Auspizien uns inmitten der befiederten Gäste umsehen, von denen jene Felsgestade wimmeln, die durch die Euphorbien- und Drachenbäume des heißen Küstenstriches schwärmen, die Lorbeerwaldungen beleben und von diesen aus durch die Region der Fichten zu den, weit über die Wolken hinausragenden Höhen des Pics, dem Schauplatze der zerstörenden Wirkungen des ewigen Feuers, emporsteigen.
Neophron Percnopterus Sav., der ägyptische Aasgeier, „Guirre“ bewohnt die Küsten sämtlicher Inseln, ohne jedoch gerade zahlreich, und weit entfernt davon, so in Menge vorhanden zu sein, wie auf den Capverden. Meist halten mehrere Pärchen zusammen. Die Nähe des Menschen scheinen sie zu lieben: denn, ohne diese Geier gerade mit abergläubischer Ehrfurcht zu umgeben, schont man sie doch auch hier, wegen ihrer Nützlichkeit im Hinwegräumen verwesender tierischer Stoffe. Nur bei der Ansiedelung Cofeito auf Handia fand ich sie als Eierdiebe übel angeschrieben. Don Lorenzo Maurel daselbst behauptete: er könne nur mit Schwierigkeit Pfauen, die nicht gern anders als im Freien brüten wollen, erziehen, weil ihnen die „Guirre’s“ ihre frisch gelegten Eier auf das Schamloseste wegholten, ja den Hennen zu diesem Behufe auf Schritt und Tritt nachschlichen. Auf Teneriffa sah ich die ersten im Dezember 1851, auf den öden Tosca-Feldern hinter Candelaria. Ein weißgefiederter alter Geier saß auf der Spitze, zwei braungefärbte Junge auf den Querbalken eines am Wege aufgerichteten Kreuzes. Ein eigentümlich melancholisches Bild. Bei Guimar heißen zwei vulkanische Eruptionskegel auf denen diese Vögel zu ruhen pflegen, „Montannas de los Guirres“ (Geierberge). Nach Berthelot sollen sie unbewohnte, kleine Inseln meiden; doch kann ich versichern, sie nirgends auf canarischem Boden häufiger, als auf der wüsten Seewolfsinsel, Isletas de Lobos, im Meeresarme zwischen Fuertaventura und Lanzarote, gesehen zu haben. Zehn bis zwölf dieser Geier umkreiseten beständig den kulminierenden Bergrücken des Eilandes in der Gesellschaft von Raben, Guincho’s und zahllosen Möven. Sie wären mit leichter Mühe zu erlegen gewesen, hätte ich in Betreff ihrer Unverletzlichkeit mich von der herrschenden Ansicht emanzipieren wollen. An einer steilen, unzugänglich gegen das Meer hin abfallenden Felsenwand desselben Berges stand ein Nest. Das Männchen, vor demselben sitzend, schien dem brütenden Weibchen Gesellschaft zu leisten (Mai 1852). Die häufig von der Flut ausgeworfenen Fische, oft von kolossaler Größe, mögen auf den Deserta’s, wo die Kadaver größerer Säugetiere fehlen, neben den Eiern der Seevögel wohl die Hauptnahrung dieses, nicht raubsüchtigen, nur auf Aas angewiesenen Geiers ausmachen.
Falco Milvus . „Milano“. Der häufigste Raubvogel auf Teneriffa, und zwar das ganze Jahr hindurch. Wie überall, so auch hier der gefürchtetste Feind des Hausgeflügels, zumal der jungen Hühner, die er nicht selten von den Höfen selbst wegholt. In Fuertaventura habe ich ihn nur einmal bemerkt. Die westlicheren, baumreichen Inseln scheint er mithin vorzugsweise zu bewohnen.
Falco Buteo . „Aguililla“. Im Walde von las Mercedes bei Laguna wiederholentlich von mir beobachtet; nach Berthelot überhaupt in den canarischen Waldrevieren keinesweges seltener Standvogel.
F. Nisus L. „Gavilan“. Bewohnt insbesondere, und zwar ziemlich zahlreich, die fruchtbaren Täler des nördlichen Teneriffa’s, wo bebaute Fluren mit Waldungen und üppigen Wein- und Obstpflanzungen abwechseln. Nach den weizenreichen Rodeos (dem Tafellande, im Innern Teneriffa’s) lockt ihn die Menge der dort wohnenden Wachteln. Auch auf Gran-Canaria soll er häufig sein. Sein Horst steht auf hohen Bäumen. Er wandert nicht.
Falco peregrinus . „Halcon“. Er wurde von Berthelot mehrmals wahrgenommen.
F. subbuteo Lath. Fast auf allen Inseln hin und wieder, jedoch selten. Dieser edle kleine Falke dürfte von den Canarien die beiden östlich gelegenen Inseln vorziehen: da nur diese die Feldlerche, auf welche er am liebsten Jagd zu machen pflegt, aufzuweisen haben.
F. Tinnunculus L. „Cernicalo“. Im ganzen Archipel als Standvogel außerordentlich verbreitet: selbst die baumlosen Wüstenflächen Fuertaventura’s nicht scheuend. Ich schoss ihn häufig in der Ebene von la Oliva, wo man in hohen, heuschoberartigen, mit Stroh sehr künstlich bedeckten „Pajeros“ die reichen Weizenernten jahrelang aufzubewahren pflegt. Jede dieser kegelförmigen Hervorragungen war fast beständig mit einem Cernicalo-Pärchen besetzt, das von dort aus den Heuschrecken und Feldmäusen aufzulauern pflegte. Doch sah man sie auch nicht selten in den Kronen der Gartenbäume. Den ersten, welchen ich erlegte, ein altes Männchen mit außerordentlich lebhaften Farben, schoss ich von dem Gipfel eines schwarzen Maulbeerbaumes herab, aus welchem gleichzeitig mehrere Wiedehopfe aufflatterten, die mithin, da sie den Turmfalken nicht scheuten, im guten Einverständnis mit ihm leben müssen.
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