Dr. med. Günther Montag
Die Therapie entdeckt die Familie
Mit systemischer Achtsamkeit liebevolles Verhalten lernen
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Dr. med. Günther Montag Die Therapie entdeckt die Familie Mit systemischer Achtsamkeit liebevolles Verhalten lernen Dieses ebook wurde erstellt bei
Einleitung
Die Heilkunst auf dem Weg vom Ich zum Wir
Heiraten wir! Die Methodenvielfalt in der Praxis
Beispiele: Interventionen und Verlaufs berichte
Unterbrochene Hinbewegung zu den Eltern
Die Befreiung der Muttersöhne
Wenn Vaterstochter die wahre Liebe findet
Muss die Tochter Mutters Mutter bleiben?
Gibt es auch Vatersöhne?
Geheiltes Essverhalten und heilsames Essen
Frieden schließen in der Partnerschaft
Wie Geschwister wieder zusammenfinden
Nachfolge-Wünsche erkennen und auflösen
Ausgeschlossene Personen wieder aufnehmen
Das Drama des abgetriebenen Kindes
Die vielen Gesichter der Angst
Systemische Heilung für körperliche Krankheit
Haben wir früher schon einmal gelebt?
Die Achtung vor den größeren Kräften
Die Konfrontation mit dem Tod
Hilfe für Helfer
Für Fortgeschrittene: Tiefere Erkenntnisse über die „Heilkunst des Wir“
Die Weisheit des systemischen Helfens
Schlusswort
Danksagung
Über den Autor
Literaturverzeichnis
Impressum neobooks
Was hat geholfen? Es waren nicht Worte, es war Kraft.
Welch eine Kraft geht aus von einem Menschen, der Heilung erlebt hat! Ich durfte manche solche Menschen auf ihrem Weg unterstützen - am besten mit dem, was mir selber Heilung und Hilfe gebracht hat.
Diese Menschen drängen mich, für andere aufzuschreiben, was ihnen geholfen hat. Auch Kollegen in helfenden Berufen, die ich ausbilde, und Eltern bitten mich immer wieder um eine Art Handbuch über das, was beim Helfen hilft. Sie haben mir erlaubt, Teile ihrer Geschichten dafür zu verwenden.
Soll es ein Ratgeber oder ein Fachbuch werden? Das, was Kraft hat, braucht nur wenige und einfache Worte. So wage ich den Versuch: Beides zugleich. Es soll einfachen Menschen einfach sagen, was einfach hilft. Und es soll zugleich meinen Kollegen etwas so einfach sagen, dass es ihr Herz erreicht und ihnen neue Kraft gibt. Wer dieses Buch liest, wird die Kraft des Einfachen spüren.
Ich erkläre verschiedene Therapieformen. Manche richten den Blick mehr auf das „Ich“ und was es alles lernen kann (zum Beispiel die Verhaltenstherapie), manche schauen auf das „Wir“, nämlich die systemische Familientherapie und die verschiedenen Arten der Familienaufstellungen. Immer mehr denken Helfer in Zusammenhängen. Sie betrachtet uns Menschen nicht mehr so sehr als Einzelwesen, sondern als Teil einer Familie. Das macht einen ganzen Haufen von Problemen überflüssig, die wir bisher mit komplizierten Konstrukten und Ich-Theorien zu ergründen und zu lösen versuchten. Manche seltsamen Symptome lassen sich viel einfacher systemisch erklären.
Die neuere Therapieforschung macht deutlich, dass das Verbinden vieler Wege, die Methodenvielfalt, hilfreich ist. Auch das Zusammenwirken von klassischen und modernen Therapie-Richtungen ist ein Weg vom Ich zum Wir. Statt, wie früher, einander zu bekämpfen, arbeiten verschieden ausgebildete Helfer immer mehr zusammen. Sind die Methoden des Helfens denn nicht eigentlich auch so etwas wie eine große Familie?
In diesem Buch geht es darum nicht nur um Psychotherapie, sondern auch um das Unterstützen des Körpers beim Gesundwerden, denn Leib und Seele hängen zusammen. So oft sehe ich wie Menschen, denen es seelisch besser geht, auch körperlich gesund werden.
Ich weise jedoch aus rechtlichen Gründen darauf hin: Einige der in diesem Buch beschriebenen Methoden befinden sich zwar in stetiger Entwicklung und wissenschaftlicher Erforschung, haben sich bewährt, sind aber noch nicht offiziell als Heilverfahren anerkannt. (Denn solch eine Anerkennung dauert in konservativen Strukturen oft recht lange.) Sie können eine notwendige ärztliche oder psychologische Therapie ergänzen, aber nicht ersetzen.
Ich versuche, Fachausdrücke in einfache Sprache zu übertragen. Für Fachkollegen, die in einer wissenschaftlichen Sprache denken, habe ich sie oft in Klammern zugefügt.
Ich liebe meinen Beruf, danke meinen Lehrern und möchte mit dieser Arbeit viele ermutigen:
Alle, die für sich selbst und für ihre Kinder auf der Suche sind, die heilenden Kräfte in sich selbst und in ihrer Familie zu finden.
Und meine Kollegen in helfenden und beratenden Berufen, die das gleiche möchten für sich selbst und im Helfen für andere.
Die Heilkunst auf dem Weg vom Ich zum Wir
Gibt es ein „Ich“? Viele Therapeuten gehen davon aus, man müsse das Ich stärken, damit es dem Menschen gut geht – und erst dann kann er auch im „Wir“ glücklich sein. Ist da etwas dran?
Erst beschreibe ich einige weit verbreitete Verfahren der Therapie erst einmal (etwas übertrieben, ganz stimmt es so nicht) als „ich-bezogene“ Heilwege, und wie sie durch Erweiterung des Blicks in letzter Zeit immer mehr zum „Wir“ finden.
Dann berichte ich von der ganzheitliche, systemische Sichtweise und wie das Wissen um die Kraftquellen der Familie im Hintergrund auch unserem „Ich“ gut tut.
Später werden viele Beispiele zeigen, was die Kombination alles möglich macht.
Ich erkläre zuerst, was ich zuerst gelernt und gemacht habe, die Verhaltenstherapie (abgekürzt VT). Sie ist allgemein anerkannt und gilt als Methode der Wahl bei vielen Störungen. Darum gehe ich ausführlicher darauf ein. Wer schon in der VT bewandert sind, kann dieses Kapitel als Rückschau auf das Bekannte und Wesentliche in ihr genießen. Wer schon alles weiß, darf es auch überspringen.
2/3 aller niedergelassenen Therapeut(inn)en praktizieren VT. Die Grundannahme der VT ist, dass der Drang zum Überleben der Antrieb für unser Leben und Verhalten ist: Wir haben als Kinder Verhaltensweisen gelernt, die damals sinnvoll waren und dem Überleben und Funktionieren in unserer Familie dienten. Manche davon sind später zum Teil nicht mehr angebracht und erschweren unsere Beziehungen. Doch wir können neues Verhalten lernen, das zu unserer neuen Umgebung passt.
Die VT geht auf die Verhaltensforschung mit Tieren zurück. Bekannte Forscher sind Skinner und Pawlow. Skinner hat Versuche mit Ratten in Labyrinthen gemacht und geprüft wie sie neues Verhalten (zum Beispiel auf Hebel drücken) lernen um an Futter (Futterpillen die von einem Automaten ausgegeben werden) zu kommen. Die beiden Antriebe für das Lernen sind die Belohnung (das Futter) und die Bestrafung (Elektroschocks). Natürlich sind auch das Ausbleiben des Futters eine Bestrafung, und das Ausbleiben der Elektroschocks eine Belohnung.
Von Pawlow stammt der berühmte Versuch mit dem Hund und der Glocke. Der Hund bemerkt dass er Futter bekommen soll, und das Wasser läuft ihm im Mund zusammen. Das ist ein schon vorhandenes, automatisches Verhalten, aus dem Unbewussten gesteuert, ein unbedingter Reflex. Beim Futterbringen läutet man mit einer Glocke. Nach einiger Zeit läuft dem Hund schon dann das Wasser im Mund zusammen, wenn nur die Glocke läutet, auch ohne dass Futter kommt. Das ist ein gelernter, ein bedingter (konditionierter) Reflex.
Dieses Modell wird auf den Menschen übertragen. Defizite im adäquaten Verhalten des Erwachsenen werden auf Lerndefizite in der Kindheit zurückgeführt. In der ersten Zeit der VT hat man dem Modell des Lernens so viel Bedeutung beigemessen, dass man dachte, alles sei gelernt, man könne Erbanlagen und angeborenes Verhalten außer Acht lassen. Jemand hat sich sogar zu der Behauptung verstiegen, man könne ein beliebiges Kind, egal aus welcher Herkunft und mit welchen Begabungen, durch Erziehung, durch Belohnung und Bestrafung zur Entwicklung eines beliebigen Berufes, z. B Rechtsanwalt, Künstler oder Kapitän, bringen.
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