1 ...7 8 9 11 12 13 ...44 Er setzte das gleiche Manöver an wie zuvor, und diesmal ließ sie nicht locker. Stattdessen verlor sie aber ihr Gleichgewicht und konnte sich gerade noch abfangen. Ran setzte mehrere Kombinationen an, aber da ihre Hände am Stab klebten, konnte sie weder umgreifen noch parieren und mehrmals stoppte er seinen Stab knapp vor ihrem Körper. Viele der Hiebe und Stöße hätten im Kampf kritische Verletzungen verursacht. Als er schließlich von ihr abließ, flackerte leises Kichern auf, während sie betreten zu Boden sah.
„Ruhe“, befahl Magister Likandros. „Genau deshalb üben wir das. Die Idee war nicht schlecht, aber die Wirkung war verheerend.“ Seine beiläufige Handbewegung beendete Ardanas Zauber. „Weitermachen.“
Einige kopierten Hinriks Taktik, aber kaum einem gelang eine ausreichend widerstandsfähige Barriere. Andere probierten eigene Ideen und Bertan hatte schließlich Erfolg. Sein Zauber blockierte Rans Stab, sodass dieser keinen wirksamen Angriff führen konnte, aber auf Grund seiner fehlenden Kampferfahrung konnte er keine eigene Attacke einleiten. Als er es doch versuchte, ließ Ran seinen eigenen, nutzlosen Stab los, packte den seines Gegners und überwältigte den Novizen. Diesmal applaudierte sogar Ran. Alle waren sich einig, dass Bertan heute am besten abgeschnitten hatte.
Die Stimmung bei den Übungsstunden war selten so gut, die Novizen hatten aktiv mitgemacht und Magister Likandros war guter Laune. Als er an den Jüngeren vorbeikam, lächelte er: „Habt ihr noch Ideen?“
Die Frage war nicht ernst gemeint und so stutzte er, als sich tatsächlich eine Schülerin meldete: „Ich würde es gerne probieren.“
Hübsches blondes Ding , dachte er, Semira oder so ähnlich . Er selbst unterrichtete die älteren Jahrgänge und kannte sie nur vom Sehen. Einige der Kollegen beschrieben sie als begabt und extrem ehrgeizig, aber sie konnte so gut wie keine Erfahrung im Kampf haben.
„Vielleicht ein anderes Mal“, schlug er freundlich vor.
„Nein, jetzt“, erwiderte sie entschlossen.
Die Augen der Schüler und Novizen ruhten auf ihm und er konnte nur schwer zurück. Selbst Ran bleib neugierig stehen. „Na gut“, lenkte der Magier ein. „Soll Dir jemand seinen Stab borgen?“
„Nein, es geht auch so.“ Sie musterte ihn aus klaren grünen Augen.
Da komm ich nicht mehr aus , dachte er. „Tu ihr nicht weh“, flüsterte er Ran zu, als er den Kampfplatz freigab.
Das Mädchen nahm eine unbeholfene Verteidigungsstellung ein und ermutigte ihren Gegner zum Angriff. „Hitze“, flüsterte sie, als er zustieß und das einzelne Wort hallte gespenstisch weit über den Platz. Mit einem Aufschrei ließ Ran seinen Kampfstab fallen und presste die Hände gegen seinen Körper. Eine plötzliche Bewegung ließ in hochfahren, doch Semiras spitzer Ellbogen stoppte eine Fingerbreite vor seiner Nase.
„Darf ich?“ fragte die Kleine und begann mit der Heilung von Rans verbrannten Handflächen, ehe Romero auch nur den Mund aufbrachte.
* * *
Als die Sonne den westlichen Horizont berührte, standen die zwei Lehrer noch immer bei der Platane und stritten heftig. Lange schon saßen die Schüler beim Abendmahl, alle außer Semira, die Magister Geron zu einer Nacht Einzelarrest verdonnert hatte. „Sie ist eine verdammte Schwarzmagierin“, geiferte er. „Den verfluchten Zauber hat sie sicher nicht von mir gelernt.“
„Sie ist ein Kind! Ihr hättet ihr zumindest erklären müssen, warum Ihr sie bestraft!“, brüllte Magister Likandros.
„Das weiß sie ganz genau“, gab der Ältere stur zurück. „Aber ich treibe ihr die Flausen aus. Lasst Euch bloß nicht von ihrem unschuldigen Puppengesicht täuschen.“
Das ging zu weit. Der unkonventionelle Einfall des Mädchens ließ sich zwar nicht auf dokumentierte Taktiken der Gilde zurückführen, hätte in einem ernsthaften Kampf aber gute Aussichten auf einen raschen Erfolg. Romero Likandros schluckte seine Entgegnung hinunter und ließ sein Gegenüber stehen. Was die Bedrohung durch unkontrollierte Zauberei und die Angehörigen der Schwarzen Gilde betraf, war Geron ein Fanatiker und jede Diskussion über dieses Thema war zwecklos. Romero hasste es, wenn ihm seine Laune so gründlich verdorben wurde.
* * *
Torin Kupferkrug, Schankbursche im Kupferkrug zu Bethan
Die Mauer, auf der die Kinder saßen, hatte einst die Rückwand eines Lagerhauses gebildet, bis dieses einer Verbreiterung des Kais zum Opfer gefallen war. Heute diente das Mauerwerk als Stütze für den Hang, der die Ausbreitung des Hafens begrenzte. Neuerdings war sie aber auch jener Platz, an dem Torin Kupferkrug seine spärlichen freien Stunden verbrachte. Mit ihren fast fünf Schritt Höhe bot sie einen guten Überblick den Hafen. Von hier sah er, ob bei einem der Schiffe Helfer für Stauarbeiten benötigt wurden. Ein geschickter und kräftiger Junge wie Torin wurde gerne eingestellt und so verdiente er sich die eine oder andere Kupfermünze dazu.
Heute wartete er auf Sylva. Seit jenem Nachmittag, an dem sie ihm zu Hilfe geeilt war, verband ihn mit ihr eine innige Freundschaft. Er genoss die Plaudereien mit dem Mädchen, das sich so wohltuend von den anderen, meist arroganten Zauberschülern unterschied. Endlich erkannte er ihre hoch aufgeschossene Gestalt, deren weiße Kutte sich von dem bunten Treiben am Kai abhob. Sie winkte ihm und beschleunigte ihre Schritte. Flink wie eine Eidechse kletterte sie die rissige Steinwand hinauf.
Torin streckte ihr seinen Arm entgegen, um sie hochzuziehen. „Du bist spät. Ich dachte schon, Du würdest nicht mehr kommen.“
„Ich musste nachsitzen. Zarif, die alte Magiersprache, trockenes Zeug und ziemlich verstaubt.“ Sylvas Atem beruhigte sich nur langsam, da sie den größten Teil des Weges von der Akademie gerannt war.
„Schön, dass Du es noch geschafft hast. Ich muss Dir was erzählen.“
„Leg’ los.“ Erwartungsvoll sah sie ihn an.
„Ich will zur Stadtgarde“, platzte er heraus. „Stark genug bin ich, und es ist ein gutes Auskommen.“
Lange hatte er über seinem Entschluss gegrübelt. Seit er denken konnte, war klar, dass er das Wirtshaus seines Vaters übernehmen würde, aber jetzt wusste er es besser. Obwohl Bethan als sichere Stadt galt, gab es im Hafenviertel, in dem auch der Kupferkrug stand, genügend Zwischenfälle, bei denen das Recht des Stärkeren entschied. Er hatte das immer als natürlichen Bestandteil seiner Welt akzeptiert, aber Sylva hatte ihm gezeigt, dass man nicht alles hinnehmen musste.
Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. „Wieso?“
„Deinetwegen. Du hast Dich für mich eingesetzt. Du weißt immer, was Du willst.“
„Ich weiß nicht einmal, wer ich bin“, sagte Sylva nachdenklich und fischte das Amulett hervor, dass sie Zeitlebens um den Hals trug. „Vielleicht sagt mir dieses Ding irgendwann, wo ich herkomme oder wer meine Eltern waren.“ Ihre Finger glitten über die einfachen und zugleich verwirrend verschlungenen Verzierungen des Schmuckstückes.
„Darf ich mal?“ Torin streckte die Hand aus.
„Kannst es Dir gerne ansehen, aber ich kann es nicht abnehmen.“ Sylva neigte sich ihm entgegen, damit er einen Blick darauf werfen konnte.
„Wie, es lässt sich nicht abnehmen?“
„Magisches Zeugs“, lachte die Freundin. „Geht vielleicht an meinem einundzwanzigsten Geburtstag auf, hat die Vorsteherin gesagt. Was drinnen ist, weiß sie auch nicht, und ich soll’s nicht jedem zeigen. Aber Du bist ja nicht Jeder. Ich glaube, sie hätten es sogar aufbekommen, die Lehrer, aber das wäre wohl kaum der Sinn gewesen.“
„Du weißt nichts über Deine Eltern?“
„Wahrscheinlich sind sie tot, aber nicht einmal das ist sicher.“
Torin spürte das Zittern in ihrer Stimme und ergriff ihre Hand. „Du gehst auf eine gute Schule. Sie haben für Dich gesorgt“, versuchte er sie zu trösten.
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