Also entschied Aldrĭn, zu schweigen. Das Ende des Krieges war ohnehin zum Greifen nah.
***
Dirion erwachte beim ersten Hahnenschrei. Kyjera hatte bei ihm geschlafen, doch trotz der Geborgenheit, die sie ihm gab, hatte er bis spät in die Nacht kein Auge zu tun können. Die Anspannung hatte sein Herz ganz und gar eingenommen, welche immer auf ihm lastete, wenn es wieder auf eine Schlacht zuging. Als es nachts geregnet hatte, glaubte er schon die Kälte zu spüren, welche durch das nasse Feldlager in alles aufstieg, was nicht in Reichweite eines wärmenden Feuers lag. Dazu die Schreie der Druden, die im Vollmond auf Beutesuche gegangen waren.
Sie hatten ihm schlagartig in Erinnerung gerufen, wie es sich anfühlte, wenn zwischen ihm und der rauen Natur nichts weiter war als der Stoff seines Zeltes. So hatte er nur wenige Stunden Schlaf gefunden, als er sich wieder erhob.
Kyjera war bereits aufgestanden und in ihre Gemächer hinübergegangen, um die letzten Gepäckstücke zusammenzusuchen, als er sich wusch, neue Kleider anlegte und dann die Treppen hinab zum Innenhof stieg.
Der Morgentau lag auf den Wiesen um das Schloss herum und selbst über dem Innenhof schwebte ein zarter Nebel, welcher die Wagen, die hier seit gestern bereit standen, in einen seidenen weißen Mantel hüllten. Dirion besah die Fuhrwerke, hob die Planen an, um zu sehen, welches Baumaterial, welche Waffen, welches Geschirr sich darunter befand.
Er hatte von der Verladung kaum etwas mitbekommen, denn nachdem er zusammen mit Eristrian die endgültige Marschroute beschlossen hatte, war er unbeobachtet in eine der Schreibkammern gegangen, hatte sich eingeschlossen und die Dokumente verfasst, welche er Egrodt versprochen hatte.
Als er von der Palastgarde Eintritt in die Schreibkammer des Königs gefordert hatte, ließen diese ihn zwar unverzüglich gewähren, doch überkamen ihn für einen Moment wieder Zweifel, ob es richtig sei, seinen Vater derart zu hintergehen. Aber dann erinnerte er sich der kühlen Abweisung, die er zuvor erfahren hatte und ließ das königliche Siegel in seinem Mantel verschwinden.
Als alle zwölf Dokumente so zu offiziellen Urkunden des Königs gemacht worden waren, brachte er das Siegel zurück und niemand hatte bemerkt, welche mächtigen Schriftrollen er später am Abend dem Grafen von Asyc übergab.
Jetzt, als er die Ausrüstung begutachtete, mit welcher der Tross heute aufbrechen würde, war er sich sicher, das Richtige getan zu haben. Es sollte weder ihn, noch seine Männer und schon gar nicht Kyjera das Leben kosten, dass der König sich derart willenlos von den Aristokraten lenken ließ.
***
Fanfaren ertönten, als zur dritten Stunde vor Mittag die ersten Gespanne ihre Fahrt aufnahmen. Es war eine großartig geschmückte Prachtstraße, durch welche die Fußsoldaten, die Kutschen und die Ritter aus dem Schloss quer durch die Stadt und dann heraus gen Süden zogen. Am Wegesrand standen Bürger, die Blumen auf den Boden vor die Soldaten warfen, Musiker spielten scheinbar überall in der Stadt ihre Instrumente, Gaukler waren herbeigezogen, um auf den Marktplätzen ihre Possen darzubieten und in den Tempeln läuteten die Glocken, um den ausziehenden Kriegern den Segen der Götter auf ihrem Weg angedeihen zu lassen.
Kyjera stieg im Innenhof gerade in ihre Kutsche, welche sich dem Tross im hinteren Viertel einreihen sollte, als Dirion herbeigelaufen kam und sie zurückhielt. Er nahm ihre Hand: „Wir werden uns in den nächsten Tagen kaum sehen. Ich werde meistens an der Spitze reiten.“ Sie nickte nur, nahm auch seine andere Hand und sie küssten sich. „Ich liebe dich“, waren ihre letzten Worte, dann stieg sie in die Kutsche und einer ihrer Gardisten schloss die Tür hinter ihr, woraufhin die Pferde sich in Bewegung setzten.
Arkil und Aldrĭn näherten sich dem Prinzen. Arkil legte seine Hand auf Dirions Schulter, dann sprach er mit stolzem Gesichtsausdruck: „Das Reich schaut auf dich, mein Sohn. Du wirst es ein letztes Mal erretten!“ Dirion lächelte, der Moment rührte ihn ehrlich an, denn selten hatte er mit seinem Vater in den letzten Wochen ein Wort außerhalb des Thronsaals gesprochen. Dann schloss Arkil ihn zum Abschied in seine Arme und Dirion genoss einen kurzen Augenblick, in dem er sich der ganzen Hochachtung seines Vaters sicher war, obwohl er die letzten Tage einen stillen Groll gegen ihn gehegt hatte.
Auch Aldrĭn umarmte seinen Bruder, der seinen Unterarm packte und mit einer Mischung aus Ernsthaftigkeit und Aufmunterung meinte: „Das Wichtigste ist, dass du integer bleibst und dir selbst treu. Du wirst gezwungen sein, Dinge zu tun, die du für falsch hältst.“
Verwirrt von diesem ungeforderten Ratschlag nickte Aldrĭn bloß. Als Dirion sich abwendete, um sich auf Vyliss zu schwingen, rief Aldrĭn ihm hinterher: „Pass auf dich auf!“ Dirion lächelte und nickte: „Du auch.“
Aldrĭn konnte natürlich nicht ahnen, dass Dirion genau wusste, in welche Gefahr er sich begeben würde, doch die Worte seines großen Bruders taten gut. Er hatte Dirion seit jeher als einen Beschützer in der allergrößten Not gesehen, selbst in dessen Abwesenheit.
Das Letzte, was er von seinem Bruder sah, war dessen Umhang, der zu beiden Seiten über Vyliss’ Flanken fiel, dann verschwand Dirion durch das hohe Schlosstor.
***
Der Kronprinz trabte auf seinem Schlachtross über die Zugbrücke an den letzten Fuhrwerken vorbei, dann gab er ihm den Befehl zum Galopp und er peste über die Wiesen hinab nach Albenbrück.
Dirion liebte die Geschwindigkeit und Wendigkeit, mit der er auf Vyliss unterwegs war. Unter den Hufen des Halmgarthers sausten die kniehohen Grashalme hinweg und ein leichter Wind, der über die Hügel ging, wehte Dirion entgegen, sodass sein Umhang wild zu flattern begann. Die Sonne stand hoch am Himmel und es waren kaum Wolken zu sehen, optimales Reisewetter, wie Dirion befand.
Als er durch das breite Tor in die Stadt hineinritt, spielten die Bläser die königliche Fanfare und das Volk bejubelte den Prinzen, der weiter an dem Tross vorbeistob. Schließlich erreichte er die Spitze des Zuges, die schon fast beim Südtor der Stadt angekommen war, von dem aus eine breite Landstraße hinaus in das Land Albenbrück und dann weiter nach Ostersundt führte.
Dirion kam auf Höhe einiger Fahnenträger zum Stehen, welche auf braunen Brabantern vorritten. Sie trugen lange Stangen, an denen ein geschwungener Drachenkopf auf großen, dreieckigen Tuchen flatterte - das königliche Wappen. Nach kurzer Zeit konnte der Prinz zwischen den Reitern Marschall Eristrian ausmachen, der in voller Rüstung auf seinem Schimmel zwischen den Fahnenträgern ritt. Der Marschall besaß eine speziell für ihn angefertigte Rüstung aus rostbraunen Panzerplatten, welche denen der traditionellen Krieger der Südlande ähnelte. Auf dem Rücken führte er seine schwere Kriegsarmbrust mit sich und am Sattel war der Helm des Marschalls befestigt, dessen Nackenbereich mit einem weiten Kettenkranz ausgestattet war. Dirion ritt möglichst nahe an Eristrian heran, um den weiteren Weg neben ihm an der Spitze zu bleiben.
„Ein schöner Tag für einen Ausflug, nicht wahr?“, fragte Eristrian, der sich überaus wohl fühlte, die beengenden Mauern des Schlosses verlassen zu haben und bald wieder auf freiem Feld unterwegs zu sein. „Es könnte kaum besser sein“, bestätigte Dirion, „hoffen wir, dass es so bleibt. Wenn es regnet, versinken die Wagen nur wieder im Schlamm.“
Sie hatten die Stadtmauern jetzt verlassen und um sie herum breitete sich die malerische Landschaft von Albenbrück aus. Riesige Kornfelder erstreckten sich über die weiche Hügellandschaft des Gebirgsvorlandes, durch das sich neben der Hauptstraße auch etliche Feldwege hindurchwandten. Einige Bauern trieben bereits Ochsen und Maultiere über die Felder, welche Karrenpflüge hinter sich her zogen, um das Land für die Wintergerste vorzubereiten.
Читать дальше