Ohne merklich langsamer zu werden, durchfuhr er das große, gusseiserne Tor, das aufschwang, sobald er in seine Nähe kam. Sophie wusste immer, wenn er kam, und auch er spürte ihre Präsenz, alt und stark. Er parkte seine Maschine auf einem der zum Anwesen gehörenden Stellplätze und betrat das große Gebäude. Bis auf einige Diener, die sich bei seiner Ankunft schnell zurück zogen, war die große Eingangshalle verlassen, wie meist. Ein Großteil derer, die sich hier aufhielten, befanden sich im Salon, manche aber auch in der Bibliothek, oder ihren Zimmern. Er selber bevorzugte es, abseits dieser Räumlichkeiten zu leben. Nicht nur aufgrund der Diener, die eine ständige Herausforderung für ihn darstellten, sondern auch, wegen der Anderen, insbesondere einer einzelnen Vampiress. Um das allerdings nicht auch noch herauszufordern, beeilte er sich, zu Sophies Büro zu kommen, der Ort, an dem er sie spürte und an dem sie sich meist aufhielt. Da sie ohnehin wusste, dass er kam, machte er sich gar nicht erst die Mühe, anzuklopfen. Seine Erschafferin saß hinter ihrem Schreibtisch. Die langen blonden Haare waren zu einem Zopf geflochten, der ihr locker über die Schulter fiel. Mit ihren eisblauen Augen musterte sie ihn kurz.
„Kiran, schön dich zu sehen. Was verschafft mir die Ehre eines deiner seltenen Besuche?“
„Ich hab ein Problem.“
Ein sanftes Lächeln legte sich auf ihre Lippen „Wie sollte es auch sonst sein? Grundlos tauchst du ja nie hier auf... Also, was hast du?“
„Ein Kind.“
Irritiert blickte sie ihn an „Ein Kind? Ich dachte du wolltest nie jemanden verwandeln.“
„Habe ich auch nicht!“ gab er zurück und presste dann die Lippen aufeinander.
Sie wusste, er versuchte wieder einmal, seine Gefühle zu verbergen, kalt zu wirken, doch er war so aufgewühlt, dass selbst sie es noch deutlich spüren konnte.
Ein leiser Seufzer drang über ihre Lippen „Also, was ist passiert?“
„Wir waren gestern in Rean um diesen bescheuerten Auftrag von deinem tollen Freund zu erfüllen...“
„Beruhige dich bitte! Ich weiß, dass du aufgebracht bist und von Anfang an dagegen warst.“ warf sie in seine kurze Pause ein, was ihn dazu brachte, die Zähne zu blecken, bevor er weitersprach „Jedenfalls war sie dort in dem Haus... und du weißt, dass ich mich bei Kindern nicht zurückhalten kann...“ seine Stimme klang resigniert.
Nachdenklich sah sie ihn an, ein Kind an solch einem Ort konnte vieles bedeuten. Es konnte zu den Jägern gehören, oder sich ohne deren Wissen dort versteckt haben.
„Also hast du sie getötet.“ stellte Sophie fest.
Kiran zuckte mit den Schultern „Was nichts besonderes wäre... wäre sie nicht heute Abend bei uns auf dem Sofa wieder aufgewacht... und wir haben sie sicher nicht dort hingelegt.“
„Sie ist mit deinem Blut verwandelt worden?“
Er nickte „Gegeben habe ich ihr allerdings nichts... und sie roch auch nicht so, als hätte sie mein Blut schon im Körper gehabt, als ich sie dort gesehen habe...“
„Das klingt ja beinahe so, als wäre sie dort absichtlich von jemandem platziert worden, der einen Weg gefunden hat, eine Verwandlung durch das Verabreichen von Blut nach Eintritt des Todes, durchzuführen!“
„Daran habe ich auch schon gedacht... Nur wie? Und wer außer Nicolai und uns wusste überhaupt , dass wir zu der Zeit dort sein würden?“
Seine Erschafferin schüttelte mit dem Kopf „Das ist schwer zu sagen... du weißt, dass selbst wir nicht vor Spionen gefeit sind, und er hat den Auftrag ja auch nur weiter gegeben, da explizit nach euch gefragt worden ist. Wenn, dann müsste es derjenige gewesen sein, der um die Vermittlung dieses Auftrages an euch gebeten hat.“
„Und du glaubst nicht, dass er selber etwas davon wusste?“
„Nein... vor allem glaube ich nicht, dass er wissentlich einem anderen Vampir so etwas antun würde. Aber selbst unter diesen Umständen, wirst du wohl kein Wort über seine Kontaktperson aus ihm heraus bekommen. Er war schon immer sehr diskret, das hat ihn damals sogar das Leben gekostet... Und ich weiß bis heute nicht, wer ihn zuvor von seinem Blut hat trinken lassen. Das und die Umstände seines Todes haben ihn zu einem der wenigen ungebundenen Vampire gemacht, weswegen er diese Seite gar nicht kennt. Ohnehin sind seine Erfahrungen mit der anderen Seite der Schafferbindung wesentlich dramatischer und der eigentliche Grund dafür, dass ich nicht glaube, dass er so etwas tun würde...“
„Und was sind das für Erfahrungen, dass sie dich so sicher machen?“
„Tut mir leid, das werde ich dir nicht erzählen. Es ist seine Geschichte und nur er hat das Recht dazu!“
Kiran stieß ein leises Knurren aus „Dann fang doch gar nicht erst damit an!“ dann seufzte er „Das heißt allerdings, dass die Kleine unser einziger Anhaltspunkt dafür ist...“
Seine Erschafferin nickte „Vielleicht kann sie dir helfen, wenn ihre Erinnerung zurückkehrt, irgend etwas muss sie ja wissen. Aber als erstes werde ich dafür sorgen, dass ihr eine neue Bleibe bekommt, nach diesen Ereignissen möchte ich euch so schnell wie möglich da raus wissen. Und... Kiran?“
Er hatte sich eigentlich gerade zum Gehen wenden wollen, sah sie nun aber doch wieder an.
„Wenn du die Zeit finden solltest, würde ich mich freuen, wenn du sie mir mal vorstellen würdest.“
„Ja ja...“ er klang gereizt und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum. Sophie zuckte zusammen, als die schwere Tür laut hinter ihm ins Schloss fiel.
Er war wirklich schwierig geworden, jedoch konnte sie ihm sein Verhalten nicht verübeln, denn wirklich zufriedenstellend war ihr Gespräch für ihn nicht gerade verlaufen.
Ohne sich noch einmal umzudrehen begab er sich wieder zu seinem Motorrad, froh darüber, dass er keinem der anderen über den Weg gelaufen war. Er wusste, dass sich die geschäftige, alte Vampiress gleich daran machen würde, alles Nötige für den Umzug in die Wege zu leiten. Er selber konnte nichts weiter tun. Natürlich brannten die Fragen immer noch in ihm und er war sich absolut nicht sicher, ob Sophie mit ihrer Einschätzung richtig lag, zumindest was den Teil anging, ob Nicolai es getan haben könnte, oder nicht. Erst einmal wollte er aber nun dem Mädchen noch ein Armband besorgen, um die Narben zu verdecken, und dann nach Hause. Auch wenn er es nie gewollt hatte, hatte er doch genügend Verantwortungsgefühl, das Kind nicht komplett im Stich zu lassen und es würde frisches Blut benötigen. Konserven hatte es schon bekommen, darüber war er sich sicher, denn seine Präsenz fühlte sich ein wenig besser an, doch ersetzten diese niemals die Kraft und Energie von frischem, lebendigen Blut. Allein der Gedanke daran, ließ seine Zähne kribbeln und zeigte ihm, dass er ebenfalls welches brauchen konnte. Rasch schwang er sich auf seine Maschine, raste in Richtung Innenstadt, um seine Besorgung zu erledigen. Glücklicherweise war Herbst und so war es, dank der frühen Sonnenuntergänge, nicht all zu schwer, noch einen Laden zu finden, der noch geöffnet hatte und Armbänder verkaufte. Er suchte sich ein etwas breiteres aus, von dem er nach Augenmaß befand, dass es der Kleinen passen müsste. Es war nicht ganz billig, aber Geld sollte das geringste Problem sein. Der Verkäufer lächelte ihn vielsagend an, als er bezahlen wollte.
„Eine gute Wahl, ihre Liebste wird begeistert sein! Soll ich es als Geschenk einpacken?“
„Nein danke.“ Kiran bleckte die Zähne zu etwas, das nicht einmal entfernt an ein Lächeln erinnerte.
Gereizt nahm er das bezahlte Armband entgegen, steckte es in seine Hosentasche und verließ den Laden. Nach all den Jahren machte ihn Geruch und Geräusche von fließendem Blut noch immer nervös, wenn er versuchte sich zu beherrschen. Blut, das von einem lebendigen Herzen durch den Körper gepumpt wurde, auch wenn es leicht unregelmäßig schlug, wie das von dem in die Jahre gekommenen Herren hinter der Theke. Rasch kehrte er zu seinem Motorrad zurück, um nur Sekunden später in Richtung ihres Hauses zu rasen.
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