Doch irgendwann ließ er sie dennoch los, leckte sich das Blut von den Lippen und flüsterte leise „Geh, vergiss, dass du jemals hier warst...“
Nur kurz beobachtete er sie, wie sie sich mit emotionslosem Gesicht abwandte und sich zur Tür begab, dann ging er zu seinem Bruder in die Küche, bevor die Tür geöffnet wurde und kurz darauf wieder zu fiel.
Beinahe liebevoll legte die dunkle Gestalt den Sack ab. Behutsam entfernte sie den rauen Stoff von dem Körper des Kindes. Sie untersuchte die kleinen Einstiche am Handgelenk und entfernte das angetrocknete Blut, dann holte sie ein Spritze. Rotes, flüssiges Blut war in ihr und auf einem kleinen Zettel, der auf das Glas geklebt war, stand der Name „Kiran“. Die Gestalt injizierte der Leiche den Inhalt des Spritze. Es würde noch eine Weile dauern, aber dann...
Plötzlich überkam sie ein Hustenreiz, ihre Kehle brannte vor Durst und alles um sie herum schien so laut und intensiv. Ihre Umgebung roch seltsam, doch irgendwie vertraut. Verwirrt schlug sie die Augen auf, blickte sich um. Eine schwache Erinnerung an einen dunklen Raum und ein Piksen an ihrem linken Handgelenk blitzte vor ihrem inneren Auge auf, doch schon verblasste sie, als wäre sie nicht mehr gewesen, als ein Traum. Dieser Raum jedoch, wenn auch ebenso dunkel, war möbliert, und sie konnte es erkennen. Irritiert rieb sie sich die Augen, setzte sich auf. Die Ausstattung wirkte alt, zwar gut gepflegt, aber ein wenig staubig, das Sofa auf dem sie saß, schien genauso alt und war etwas hart, dennoch, alles in allem wirkte der Raum beinahe unbewohnt. Weder auf dem Tisch noch in den Schränken lag offen etwas herum. Vorsichtig erhob sie sich und ging zu den Schränken um irgend ein Anzeichen von Leben zu finden, doch plötzlich spürte sie etwas – eine seltsam vertraute Präsenz. Verwundert wandte sie sich um und zuckte erschrocken zusammen, als sie einen Mann in der Tür stehen sah, der jedoch beim nächsten Wimpernschlag auch schon wieder verschwunden war. Völlig durcheinander starrte sie zur Tür, war sich nicht sicher, ob der Mann nicht doch nur Einbildung gewesen war, sein Bild allerdings, hatte sich ihr eingebrannt. Er war groß gewesen, in ihren Augen beinahe riesig, dabei relativ schmal, mehr war von seiner Statur nicht zu deuten gewesen, da sein weinrotes Hemd jegliche genauere Einschätzung unmöglich machte, dazu trug er eine schwarze Stoffhose. Sein Gesicht... die Lippen waren weder besonders schmal, noch besonders voll, die Nase gerade und nicht zu groß für das ebenfalls schmale Gesicht. Der Blick seiner Augen jedoch war kalt gewesen, dunkelgrün-braune Augen, die zum Teil verdeckt gewesen waren, von Strähnen seines schwarzen Haares, die davor hingen. Ein Blick, der sie jetzt im Nachhinein erschaudern ließ und sie fragte sich, warum sie sich so genau an jede Einzelheit seine Aussehens erinnern konnte. Langsam drehte sie ihr linkes Handgelenk, zwei kleine, runde Narben, die gut zu sehen waren, befanden sich genau über der Schlagader. In genau diesem Moment ging Alister am Wohnzimmer vorbei um zu seinem Bruder in die Küche zu gelangen, zu leise, als dass sie ihn hätte hören können und für ihn war es der falsche Winkel, als dass er sie, ohne zurück zu blicken, hätte sehen können. Kiran stand, mit verschränkten Armen an die Arbeitsfläche gelehnt, in der Hand ein mit Blut gefülltes Glas. Obwohl er, im Gegensatz zu seinem Bruder, kein Experte dafür war, erkannte er durchaus, dass etwas nicht stimmte. Sein Zwilling wirkte verstört, starrte reglos zur Küchentür. Aber genauso reichte sein fragender Blick aus, damit Kiran mit der Hand, in der er das Glas hielt, zur Tür deutete und leise murmelte
„Im Wohnzimmer...“
„Was ist im Wohnzimmer?“ fragte er, während er sich verwirrt umwandte.
Das Mädchen hatte sich mittlerweile zur Tür getraut und sah zu ihnen hinüber, als Alisters Blick sie jedoch traf, zog sie sich schnell wieder in den Raum zurück.
Perplex sah er wieder zu seinem Bruder „Ein Kind? Wie kommt ein Kind in unser Wohnzimmer?“
Kiran zuckte mit den Schultern „Ich weiß nur, ich habe sie gestern umgebracht...“
„Also...“ er brauchte den Satz gar nicht zu beenden, sein Zwilling nickte auch so schon.
„Gebunden?“
Wieder nickte er nur.
„Du hast ihr nichts gegeben, oder?“
„Natürlich nicht! Du weißt, wie ich allgemein dazu stehe... und sie ist noch dazu ein Kind!“
„Aber wie kann es dann sein, dass sie mit deinem Blut verwandelt worden ist?“
„Woher soll ich das bitte wissen? Ich verstehe ja nicht einmal, wieso sie überhaupt wieder aufgestanden ist, ohne vorher Vampirblut im Körper gehabt zu haben!“
„Sollte das nicht eigentlich unmöglich sein?“
„Eigentlich... aber anscheinend ist es doch möglich...“
„Und was willst du jetzt machen?“
Wieder zuckte Kiran mit den Schultern „Ich werde Sophie fragen...“
„Ich meinte eigentlich mit ihr.“
Er presste die Lippen zusammen „Wirklich eine Wahl habe ich doch gar nicht... dank der Schafferbindung.“
Alister musterte seinen Bruder, dann seufzte er „Kommst du damit klar?“
Sein Zwilling bleckte die Zähne „Sehe ich so aus?“
Er sah ihm in die Augen. Wenn es nach Aussehen ginge... Würde er ihn nicht so gut kenne, wüsste er nicht, dass die Art, wie er da stand, davon zeugte, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war, denn nach außen hin wirkte er kühl und desinteressiert, wie fast immer, seit sie Vampire waren.
Nach einer Weile wandte Alister den Blick ab, sah in den Flur zurück „Und jetzt? Willst du sie einfach alleine im Wohnzimmer sitzen lassen?“
„Sie wird es überleben.“
„Trotzdem liegt es in deiner Verantwortung! Immerhin hast du sie umgebracht!“
Kiran stürzte den letzten Rest Blut hinunter und stellte das Glas hinter sich ab „Als hätte ich mir das ausgesucht! Schließlich habe ich ihr nichts von meinem Blut gegeben!“
„Musst du sie jetzt deswegen dafür strafen? Sie kann doch überhaupt nichts dafür, dass sie verwandelt worden ist!“
„Nein, ich aber genauso wenig!“ er stieß sich von der Arbeitsfläche ab und schob sich an seinem Bruder vorbei „Ich fahre jetzt zu Sophie!“
„Solltest du nicht erst einmal mit ihr reden?“
„Darin warst du schon immer besser als ich...“
„Und das heißt? Dass du deine Probleme wieder auf mich abwälzen willst?“doch Kiran war schon aus dem Haus verschwunden und Sekunden später konnte er hören, wie sein Motorrad angelassen wurde und sich kurz darauf rasch entfernte.
Demnach, blieb es nun an ihm hängen. Seufzend begab er sich ins Wohnzimmer, in dem das Mädchen verschreckt auf einem Sessel saß und zur Tür starrte. Er konnte es atmen hören, etwas, das ihm zuvor nicht aufgefallen war, aber warum auch hätte er die Geräusche in ihrem Wohnzimmer kontrollieren sollen? Während er zum Sofa ging, um sich zu setzen, versuchte er Ruhe auszustrahlen, sein Bruder hätte es deutlich einfacher gehabt, trotz seiner beängstigenden Aura. Warum auch immer, sie war an ihn gebunden, mit seinem Blut verwandelt worden und diese Schafferbindung sorgte dafür, dass sie vor ihm keinerlei Angst hatte, für ihn selber jedoch, galt das nicht. Langsam ließ er sich ihr gegenüber auf dem Sofa nieder, spürte ihren unsicheren Blick.
„Wo ist der andere?“
Überrascht sah Alister sie an „Mein Bruder?“
Das Kind zuckte mit den Schultern.
„Der wollte mit jemandem reden... also wirst du wohl vorerst mit mir vorlieb nehmen müssen.“
Es antwortete nicht, sondern presste nur die Lippen aufeinander.
„Keine Sorge, ich werde dir nichts tun...“ meinte er seufzend.
„Aber... ich... er... er hat gesagt... er hat mich umgebracht?“ seine unsichere Stimme brach mehrfach während des Satzes.
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