Das lange Liegen machte meinem Rücken schwer zu schaffen. Man gab uns zwar Blutverdünnungsmittel, um Thrombosen zu vermeiden, und ließ uns von unseren Betten durchwalken, aber mein Rücken nahm das gerade Liegen wohl ziemlich krumm.
Mein Wunsch früh einzuschlafen, um am nächsten Tag wieder geistig frisch zu sein, ging in Erfüllung und mündete in einem traumlosen Schlaf.
Ich machte die Augen auf und sah auf meinem Holo-Flat-Pad die Zeit: 5:30 Uhr . Dass Zimmer lag noch im Dunkeln. Ich grinste innerlich. Wenigstens das funktionierte noch. Bevor ich einschlief, hatte ich mir die Uhrzeit eingeprägt, um pünktlich aufzuwachen. Und dass funktionierte wirklich fast immer, wenn ich genug Schlaf bekommen habe. Mein innerer Wecker schob mich dann aus dem Reich der Träume sanft ins echte Leben. Nur, dass das echte Leben nicht sanft zu mir war. Mein Rücken schmerzte immer noch. Ich versuchte mich vollends wach zu räkeln, doch diese Bemühungen wurden von meinem regungslosen Körper sofort im Keim erstickt. Kein Räkeln, kein Ruckeln, nicht einmal den Kopf konnte ich zur Seite bewegen. Nur das Heben und Senken meines Brustkorbes konnte ich beeinflussen. Und so lauschte ich einfach meinem eigenen Atem, starrte auf das Holo-Flat-Pad über mir und wartete darauf, dass mir das sonnengebräunte Gesicht von John Mc Lay ein kraftvolles »Gooood mooorning« entgegen schmettern würde. Vielleicht half die Bewegung und meinem Rücken ging es danach wieder besser. Um mir die Zeit zu vertreiben, wollte ich gerade einen weiteren Anlauf machen, das religiöse Erziehungsprogramm auf Buddhismus umzustellen, als ich hörte, wie leise die Tür geöffnet wurde. Ich versuchte die Augen soweit zu verdrehen, dass ich die Tür ins Blickfeld bekam. Der weiße Balken der Flurbeleuchtung wurde breiter und zwei Gestalten huschten lautlos herein.
Was sollte das!? Kam jetzt die judäische Befreiungsfront mit dem Fluchtwagen oder das Ninja-Duo der Assassinen-Gilde?
Dann fingen die beiden zischelnd an zu tuscheln: »Pssst! Sei leise.«
»Bis gerade eben war alles leise«, erwiderte der andere.
»Ok, ok«, zischelte die erste Stimme.
»Lass uns einfach die Nr.7 schnell rausfahren, bevor er anfängt zu stinken und die anderen wach werden. Dass er so schnell hier rauskommen würde, hätte er vermutlich nicht gedacht.«
»Vor allem nicht mit den Füßen voraus«, meinte der andere sarkastisch.
»Wir müssen nachher unbedingt Professor Marquez anrufen und ihm sagen, dass etwas schief gelaufen ist.«
»Jaja,,aber bis der Herr Professor aus dem Bett gekrochen ist, denke ich schon wieder ans Abendessen.«
»Jetzt mach mal lieber die Stecker von Startnummer 7 raus und mach seinen Fluchtwagen klar.«
»Bin ja schon dabei«, hörte ich wieder die erste Stimme.
Dann vernahm ich das leise Klicken von Steckern, die aus der Wand gezogen und ein Klacken als die Bremse des Bettes gelöst wurden. Die Rollen des Bettes gaben ein leicht schmatzendes Geräusch von sich und ich sah, wie die beiden das Bett auf den hell erleuchteten Türspalt zuschoben.
»Jetzt kann er vermutlich das Licht am Ende des Tunnels sehen«, kicherte die zweite Stimme.
»Halt endlich die Klappe und mach die Tür zu«, beendete die erste Stimme das Gespräch.
Der Lichtbalken wurde schmäler und verschwand schließlich ganz.
»Klack« machte die Tür und bei mir fiel endlich der Groschen, den ich vor lauter Ungläubigkeit minutenlang in der Schwebe gehalten hatte. Nr. 7 war tot! Ein uraltes Kinderlied schob sich ohne jede Ankündigung in mein Bewusstsein:
Sieben kleine Negerlein
und einer ist nicht aufgewacht
da waren`s nur noch sechs.
»Wir müssen Professor Marquez anrufen, dass etwas schief gegangen ist«, echote es in meinem Kopf. Aber war dieses »etwas« ein Einzelfall oder nur die Blüte eines Pilzgeflechtes? Was wäre, wenn das Serum alle sieben Versuchskaninchen ins Land der ewigen Ruhe befördern würde?
Eine Todesspritze mit Zeitschaltuhr! Der Hypochonder in mir schrie auf: »Was ist mit Deinen Rückenschmerzen? Das ist doch nicht normal! Zufälle gibt es nur in schlechten Romanen, aber nicht im echten Leben!« Der Schreck fuhr mir bis ins Mark, ich merkte, wie die Panik wie eine heiße Feuerwalze in mir aufstieg und kalten Angstschweiß auf meine Stirn zauberte. Für einen Augenblick hatte mein vegetatives Nervensystem wohl vergessen die Atmung sicherzustellen, was ich aber panikartig sofort nachholte und nach Luft rang.
Ich hatte den Eindruck, dass ich mit einem Zug die gesamte Luft des Zimmers durch die Nase gesogen hatte. Da war der Geruch nach Krankenhaus. Eine Mischung aus Reinigungsmittel, Medikamenten und der Ausdünstung von kranken Menschen. Im Nachgang glaubte ich, das noch zarte Bouquet der Verwesung zu riechen. Aber sicher konnte ich mir da nicht sein, da ein anderer Geruch, nein Gestank, alles andere immer stärker werdend überlagerte. Ein Geruch, den man tatsächlich mit nur einem Wort beschreiben konnte:
BAHNHOFSTOILETTE
Der Geruch hing dumpf und unbeweglich in der Luft, ließ sich auch mit den besten Ablenkungsversuchen nicht aus der Welt schaffen. Selbst das flache Durch-den-Mund-Atmen brachte keine Erleichterung. Der Gestank legte sich wie eine schwere alte Decke über alles und schloss es unerbittlich ein. Dies schien kein normaler Tag zu sein. Nr. 7 tot, kein morgendliches Fitnessprogramm und: keine Luft!
Endlich ging die Tür auf und Mosquito und Daniel, den ich in Gedanken immer noch Brötchen nannte, schoben ihre Service-Wägelchen herein.
Mosquito donnerte los. »Es ist Freitag und Zeit zum … Scheiße, was ist denn hier los.«
»Du hast es erfasst!«, kommentierte Brötchen ungerührt und ging zum großen Fensterflügel, der sich über die Mittelachse öffnen ließ.
Endlich zog frische Luft von außen herein. Obwohl Ende Februar immer noch Schnee lag, war die kalte frische Luft, die hereinströmte, ein echtes Geschenk an die Geruchsnerven. Auf Mosquito schien sie allerdings keinen beruhigenden Einfluss zu haben:
»Wer von Euch Bettnässern ist hier das Oberstinktier? Ich sage Euch nur eins, das Chef-Opossum hat es bei mir im wahrsten Sinne des Wortes verkackt! Nr. 7 kann’s nicht sein, der ist auf der Flucht. Nr. 6 pennt immer noch und macht keine Anstalten, aus dem Reich der Träume zu kommen. Aber was ist mit Dir Nr. 5? Du bist doch ein geborener Schisser!«
Verdammt! Konnte dieser Gestank tatsächlich von mir stammen? Und wenn ja, was heckte dieser perverse Psychopath als Nächstes aus? Die Quelle des Gestankes schien tatsächlich ganz in meiner Nähe zu liegen. Und jetzt, da Mosquito auf mich zu schritt, bekam ich es wirklich mit der Angst zu tun. Mosquito beugte sich über mein Gesicht und funkelte mich durch seine Nickelbrille an.
»Angst? Du kleines Arschloch?!«
Dann rückte er zurück, nur um gleich wieder nach vorne zu schnellen und sein Gesicht erst haarscharf vor meinem zum Stehen kommen zu lassen. Sein Blick war unmissverständlich: »Wie kann ich diesen Käfer so langsam wie möglich sezieren, sodass er so lange wie möglich noch zappelt, bevor er stirbt?«
»Buh!«
Ich schreckte innerlich tatsächlich zusammen und meine Augen weiteten sich. Mosquito freute sich wie ein kleines Kind: »Siehst Du, wie diesem kleinen, wohlbehüteten Muttersöhnchen die Düse geht? Auf seinem Vitalometer ist der Puls von 80 plötzlich auf 140 geschossen. Das macht viel mehr Laune als auf dem Jahrmarkt Hau den Lukas zu spielen!«
»Jetzt hör endlich auf mit Deinen albernen Spielchen«, brummte Brötchen. »Wir haben noch eine Menge anderes Zeug zu tun. Nr. 6 habe ich gecheckt, der ist in Ordnung und bewegen sollen wir ihn ja noch nicht, bis er zu sich gekommen ist. Also kümmere ich mich jetzt um Nr. 5 und Du ziehst dir endlich den Mundschutz und die Gummihandschuhe an und machst mit Nr. 4 weiter. Fang endlich an zu arbeiten!«
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