„Möchte eine von euch noch einen Tee? Oder Kaffee?“ Nora sah in die Runde. Sie verstand es das Thema zu wechseln und ignorierte die zuvor aufkeimende traurige Atmosphäre gänzlich.
Hannah nickte. Sie wollte die Situation nur noch beenden. Noras Frage nach einer Tasse Tee lockerte die angespannte Szenerie etwas auf. Schließlich waren sie auf einem Babyshower. Da gehörten Fehlgeburten nicht hin. Was sollten sie tun, wenn sich Doro als gute Gastgeberin wieder ihnen zuwandte. Sie anschweigen? Auch Andrea und Tanja schienen die Situation so einzuschätzen und nickten Nora zu. Sie verschwand in der Küche.
„Braucht sie was?“ wollte Tanja wissen. „Können wir ihr irgendwie behilflich sein? Oder etwas Gutes tun?“
Andrea schüttelte den Kopf. „Nein.“ Traurig schaute sie in die Runde der so glücklichen Frauen am anderen Ende des Raumes.
„Eigentlich hätte ich euch das gar nicht erzählen dürfen.“ Sie schluchzte leise. „Aber ihr habt mich gefragt, wie es ihr geht. Und sie konnte einfach nicht hierher kommen und mit euch allen Doros Baby feiern.“ Eine Träne kullerte ihr übers Gesicht.
„Sagst du uns Bescheid, wenn wir etwas tun können?“ Hannah sah ihre Freundin bittend an. Andrea nickte.
„Dürfen wir dich zwischendurch fragen, wie es ihr geht?“
Andrea sah Tanja an. „Klar.“ Sie dachte kurz nach. „Man kann ihr gerade einfach nicht helfen. Ich weiß auch nicht so genau, was ich tun soll. Ich bin einfach immer nur für sie da, wenn sie sich meldet und versuche ihr kleine Freuden im Alltag zu machen.“
Jetzt kullerten auch Hannah zwei Tränen übers Gesicht. Sie nahm Andrea fest in den Arm. Sie war eine großartige Freundin. Auch wenn sie Svenjas Geheimnis an sie weitergegeben hatte. Außerdem musste Hannah irgendwo mit all ihrer angesammelten Emotionalität hin.
Ihr tat Svenja so unglaublich leid. Gleichzeitig war sie jedoch froh, dass ihr das nicht passiert war. Unbewusst strich sie sich über den Bauch. Sie war froh, dass ihr das hoffentlich und vermutlich nicht passieren würde. Sie hoffte ganz fest darauf.
Es war Abend geworden. Sie stand am Herd und bereitete das Abendessen zu. Wienerschnitzel, Bratkartoffeln und ein gemischter Salat standen auf dem Speiseplan.
Der Salat befand sich in einer kleinen Plastikschüssel auf dem Tisch. Zwei Teller, Besteck, zwei Gläser und eine Flasche Bier, an der das Wasser langsam herab perlte.
Draußen war es noch taghell und ein lauer Sommerabend stand bevor. Margot liebte diese Abende. Gerne hätte sie draußen den Tisch gedeckt. Doch sie wusste, dass Karl-Heinz es nicht mochte, wenn ihm die Fliegen oder möglicherweise Wespen das Abendessen streitig machten. Bevor sie einen ärgerlichen Wutanfall ihres Mannes riskierte, deckte sie lieber in der kleinen Küche, in der das Licht nur schummerig auf sie herabschien, den Tisch.
Unmittelbar nach ihrer Diagnose hatte sich ihr Leben zu zweit ein wenig geändert. Sie hatte ihre Teilzeitstelle als Postangestellte hinter dem Verkaufstresen krankheitsbedingt ruhen lassen. Ob sie dort je wieder arbeiten würde, wusste sie nicht. Sie hatte noch nicht darüber nachgedacht, ob sie das überhaupt wollte. Ihre Kolleginnen und Kollegen wussten von ihrer Erkrankung. Irgendwie machte sowas ja doch die Runde. Ihr war es unangenehm. Hier Zuhause hatte sich inzwischen alles wieder so eingespielt wie vor dem Krebs. Sie machte den Haushalt, den Garten und kümmerte sich um den Einkauf und zeitige Mahlzeiten. Karl-Heinz hatte es während ihrer Chemotherapie und Bestrahlung eine zeitlang versucht. Aber irgendwie waren sie essenstechnisch nicht über Spiegeleier und Nudeln hinausgekommen. Er hatte es nun mal nicht gelernt. Was sollte sie da machen? Schnell hatte ihre große Schwester das Kochen für sie und ihren Mann übernommen. Sie wohnte in einem Nachbarort und war jeden Tag die knapp 15km zu ihr gefahren. Manchmal auch nur jeden zweiten Tag, um Benzin und Zeit für ihre eigene Familie zu sparen. Außerdem hatte sie eine Anstellung als Bäckereifachverkäuferin. Um alles unter einen Hut zu bekommen, hatte sie an manchen Tagen für den kommenden mitgekocht. Eintöpfe, Suppen oder Gemüsepfannen. Margot mochte das Essen ihrer Schwester und war ihr dankbar. So hatte sie ihre Ernährung etwas umstellen können. Karl-Heinz aß es mit. Aber von mögen konnte keine Rede sein. Sie sah es seinem Gesicht an, wenn er den Deckel der Töpfe anhob. Doch er sagte kein Wort. Als sie wieder erholt genug war, hatte sie ihrer Schwester gesagt, Karl-Heinz würde es nochmal probieren und sie könnte inzwischen ja auch schon wieder ein, zweimal die Woche kochen. Das war gelogen. Denn letztendlich hatte sie wieder ihren Part übernommen, damit ihr Alltag zu zweit lief. Die Liste ihrer täglichen Aufgaben war lang und sie den ganzen Tag beschäftigt.
Was ihren Beruf anging, würde sie erstmal abwarten. Noch war sie auf unbestimmte Zeit krankgeschrieben. Sobald es finanziell nötig war, würde sie wieder einsteigen. Mit einer Gabel wendete sie die beiden Schnitzel und achtete darauf, dass die Bratkartoffeln nicht anbrannten.
Die Dunstabzugshaube saugte den fettigen Bratenduft ein und gab ohrenbetäubenden Lärm von sich. Was andere als Lärm empfanden, beruhigte sie. Sie stellte in diesen Momenten ihre Ohren und ihren Kopf auf Durchzug, um nicht unentwegt über ihr Leben, ihre Krankheit, ihre Heilung und möglicherweise anstehende Veränderungen nachzudenken. Manchmal, nicht oft, aber immer häufiger kam ihr nämlich auch das Nachdenken über ihre Ehe in den Sinn. Bislang war dieses Denken sehr betrübt gewesen und erfüllte sie mehr mit Frustration als allem anderen.
Sie liebte ihren Mann. Schließlich hatten sie vor mehr als dreißig Jahren geheiratet. Da liebte man sich schließlich. Außerdem wollte sie keine der Frauen sein, die sich nach so vielen Jahren Ehe von ihrem Mann trennte. Geschweige denn scheiden ließ. Sie wollte nicht so sein wie ihre Freundinnen, die das Handtuch hinwarfen. Sie hatten sich gut arrangiert. Sie machte den Haushalt, er ging zur Arbeit und reparierte am Wochenende das Auto oder mähte den Rasen. Abends lag er vor dem Fernseher im Sessel, verschwand im Arbeitszimmer vor dem Computer und sie sahen sich erst wieder, wenn sie ins Bett ging. Zum Gute Nacht sagen. Ein kurzes „Gute Nacht.“
Irgendetwas war ihnen verloren gegangen. Soweit war sie in ihren Gedanken schon gekommen. Was dieses Irgendetwas war, wusste sie allerdings noch nicht.
Plötzlich zog ihr ein scharfer Geruch von leicht Verbranntem in die Nase.
„Mist.“ zischte sie vor sich hin und wurde sogleich von dem verstärkten Rauschen der Dunstabzugshaube übertönt.
Intuitiv riss sie die Pfanne mit dem Schweinefleisch von der Herdplatte und wendete beide Stücke hastig mit dem Pfannenheber. Eines der Schnitzel hatte eine leicht dunkle Verfärbung an der Kruste und war vielleicht etwas zu braun, fast schon schwarz an einer Ecke. Man könnte es abschneiden und dennoch essen.
In dem Augenblick trat Karl-Heinz in die Küche.
Sie drehte sich zu ihm um und wollte ihn herzlich begrüßen und in den Arm nehmen. Sie wusste, dass sie das schon sehr lange nicht mehr getan hatten. Selbst während ihrer Krankheit hatte es keine Umarmungen oder Zärtlichkeiten mehr gegeben. Ihre Sehnsucht nach Zuneigung war jedoch größer als ihre Angst vor Abweisung und Resignation. Also beschloss sie, es einfach darauf ankommen zu lassen.
Als sie auf ihn zutrat und die Arme nach ihm ausstreckte, sah er sie nur verdutzt an, wich ihr aus und blaffte unfreundlich: „Ist das Essen verbrannt?“
Sie drückte den Kloß in ihrem Hals hinunter und tat so, als wäre nichts gewesen. Die Tränen unterdrückend, wandte sie sich wieder ihren beiden Pfannen auf dem Herd zu und wendete noch einmal schnell die Bratkartoffeln.
„Nein. Nur ein bisschen brauner als sonst.“
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