Und da stand ich plötzlich mit dir vor diesem Toten Kind, das ja gar nicht dein Kind war und da ist bei mir mein Verstand durchgebrannt und hat in mir all das zerstört, was ich mit meinem Lügenbau glaubte aufgebaut zu haben und jetzt restlos und auch ganz lautlos in sich zusammengestürzt zu sein scheint, was außer mir wohl niemand be- oder gemerkt oder auch gespürt hat. Und neulichst in der Nacht, da sah ich ihn, Gereon, eine reinste durch und durch Trauergestalt vor meinem Bett, außer Reichweite stehen und er vor mir, wobei die Tränen an seinen Backen herabrollten und er von mir das verlangte, dass ich dir endlich reinen Wein einschenken soll und dir die wahre Wahrheit erzählen muss, denn sonst kann er drüben in der Ewigkeit seinen Frieden nicht finden, denn er ist sicher nicht allein an seinem Unglück schuld, denn zu jedem Unglück oder zu jeder Dummheit gehören immer mindestens zwei. Andernfalls er bald auch hier oder wo ich auch immer sein wollte in jeder Nacht wieder kommen muss, um mich nicht schlafen zu lassen, um mich mit ihm zusammen dafür auch leiden zu lassen, was da mit ihm passiert ist. Und diese Wahrheit habe ich jetzt eben dir gebeichtet und bitte dich mir mein dich so schäbiges Hintergehen zu verzeihen. Ich habe mir immer wieder Mühe gegeben, dir das zu sein oder zu geben, was eine gute Ehe auszeichnet. Und wenn du mich fragen solltest, was aus meinem damaligen Liebhaber oder meiner damaligen, ganz großen, aber doch so kurzen, blinden Liebe geworden ist, dann muss ich dir sagen, ich weiß es nicht. Ich war, nachdem er mich so schändlich verlassen hat zu Stolz nach ihm auch noch zu suchen, der meine große Liebe so rücksichtslos zu seinem puren Vergnügen und zu meiner Schande ausgenutzt und dann mit Füßen getreten hat. Ich habe seit seinem damaligen, plötzlichen und lautlosen Verschwinden nie wieder etwas von ihm zu hören oder gar zu sehen bekommen. Ich bin mir auch sicher, dass er bis heute noch nicht einmal weiß, dass wir beide schon so viele Jahre verheiratet sind, denn ich hätte es bestimmt gefühlt, wenn er in unserer Nähe, wie auch immer aufgetaucht wär, um seine Folgen oder sein Produkt, bei dem es sicher nicht allzuviel Positives gab zu begutachten.
Dass er uns, wie auch immer, bald über den Weg laufen sollte, dieser große Hallodrian
oder Taugenichts, das haben wir beide damals auch nicht im Geringsten ahnen können oder auch wollen. Danach hat sie mich sehr ernst und fragend angeschaut und da kam auch schon die Frage, ob ich ihr auch verzeihen kann und wir einen neuen Abschnitt, einen zweiten in unserm, nicht mehr ganz so jungen Leben beginnen können und ich ihr sagte, wenn wir wieder so ein Leben zusammen leben können, wie wir es bisdahin gelebt haben; in dem keiner über den andern triumphieren oder etwas Falsches erzählen mag und an einem Strang ziehen, egal ob bei einem Hoch- oder bei einem Tiefdruckgebiet um uns herum und du wegen der Ordnung, die sich während deiner Abwesenheit bei uns langsam angesammelt hat, Spukhausen nicht auf den Kopf stellst, würde ich dich gleich wieder mitnehmen. Und, wie ich da sehen kann, kannst du ja alles hier wieder allein abklären und wenn wir dich dann wieder in dein neues, altes, unlängst von dir noch so verrufenes Spukhausener Leben zurückholen können, rufst du einfach an und wir, auch wenn es etwas noch hier zu klären gibt, wir es dann beide gemeinsam abklären. Jürgen und ich holen dich wieder nach Spukhausen zurück, soweit es nicht während der Schulzeit ist, die er bestimmt nicht schwänzen soll. Noch am späten Sonntagabend, nach meiner Rückkehr aus dem Krankenhaus, habe ich Jürgen gesagt, dass es Oma wieder besser geht, dass wir beide sie sicher bald wieder hierher nach Spukhausen holen werden und wir dann, das Dreiblättrige Spukhausener Jagdschlosskleeblatt bestimmt wieder vollzählig ist. Scheinbar hat sie in der letzten Woche wieder sehr gute Fortschritte in ihrem Wollen gemacht und sie auf mich einen recht guten und fast gesunden Eindruck gemacht hat. Jedenfalls war sie sich ganz und gar bewusst, was sie zu mir gesagt hat. Am kommenden Mittwoch, gegen elf Uhr vormittags klingelte das Telefon und Wilma sich am andern Ende meldete und mich fragte ob ich noch zu meiner, am Sonntag hier gemachten Aussage stehe und sie wieder nach Spukhausen zu uns abholen wolle, was ich natürlich sofort bejahte. Und da sagte sie, dass ich doch dann bitte auch zwei große Koffer für den Kram, der sich so in der doch recht langen Zeit angesammelt hat nach Spukhausen mitnehmen kann, der mich immer wieder an meine Tief- oder Auszeitzeit erinnern möge, die ich seit Gereons Totenschau habe als Folge meines Leichtsinns, was ich damals, als die, meine ganz große Liebe, die wohl nur ich so bezeichnet und auch gesehen habe, sonst keiner meiner Mitmenschen. Für die andern war es von Anfang an der riesengroße Reinfall, was ich erst im Nachhinein merken wollte oder schmerzhaft merken musste, und danach alles habe durchmachen müssen. Eine gute Stunde später, nach diesem Telefonanruf stand ich ihr gegenüber in ihrem Krankenhauszimmer und nach einer schon bisschen besseren Begrüßungszeremonie als neulich noch am letzten Sonntag, denn so ganz die Alten von einst sind wir beide leider nach diesem langen, großen ehelichen Tiefenriss, der mich fast verzweifeln ließ, noch nicht. Zusammen haben wir ihre Habseligkeiten in die beiden mitgebrachten Koffer gepackt, gingen hinab ins Arbeitszimmer zum Stationsarzt, um da ihre schon fertigen Entlassungspapiere abzuholen und vom Stationsarzt die besten Wünsche für unser weiteres Leben bekamen und weiter im Erdgeschoss, in die für uns so glorreiche Entlassungsabteilung, um da ihre Schulden zu bezahlen, wofür ich in der letzten Zeit nur noch gut war und ab ging es in die noch gar nicht so alte Heimat nach dem schönen Spukhausen, in dem sicher auch, nicht nur die sehenden, die uns immer wieder besuchenden Nachtgeister auf Wilma sicher auch schon warten, um vielleicht uns das eine oder das andere, auch aus der eigenen Vergangenheit mitzuteilen oder ihre Freude auch über den glücklichen Ausgang unseres ehelichen Tiefs, vor dem sie uns auch gewarnt haben, zu äußern. In Spukhausen war, als wir da ankamen gerade die Mittagszeit und ich wollte mit Wilma gleich ins Wirtshaus auch zum fertigen Mittagessen oder dem Versöhnungsmahl vorbeifahren. Doch Wilma bat mich, ihr diesen öffentlichen Auftritt nach alle dem was so vorgefallen ist, im Wirtshausbesuch noch nicht zuzumuten. Sicher hat sie da auch daran denken müssen, dass auch in Spukhausen auf ihre indirekte Anzeige hier von amtswegen auch auf ihre böswilligen Anschuldigungen hin nach geprüft wurde, ob ich tatsächlich so ein zänkischer und streitsüchtiger Mann war und noch bin und eine gekochte Fertigsuppe aus der Dose auf die Schnelle warm gemacht, würde heute zur Begrüßung in Spukhausen ihr sicher auch gut schmecken. Und so fuhren wir geradewegs schnurstraks bei uns vor die Haustür und begannen Wilmas Sachen ins Haus zu tragen. Hades, unser brave Hund, wusste im ersten Moment nicht viel mit Wilma, die ja so lange nicht daheim in Spukhausen war, anzufangen und es hat sicher eine ganze Weile gedauert, bis Hades, der sicher den Geldfund in ihrem Schrank noch nicht vergessen hat in Wilma wieder diese Frau von einst erkannte, bei der er damals vor den vielen hier im Haus herumgeisternden Hausgeistern unter ihren Händen auch seinen Schutz vor diesen Geistern gefunden hat. Diese ehemalige Verbindung zwischen den Beiden war bald wieder hergestellt, was auch in Wilma das Selbstgefühl wieder gestärkt hat, dass das hier ihr eigentliches, letztes Zuhause war, in dem sie doch nur immer wieder viel Erfreuliches erleben konnte, in dem sie niemand betrogen hat und auch glaubt, dass auch sie hier in diesem Haus von niemandem betrogen wurde, ein Hort der völligen Zufriedenheit. Auch Hades ist bald nicht mehr von ihrer Seite gewichen, dass sie nicht wieder heimlich nach unbekannt oder wohin auch immer wieder auf die Schnelle verschwindet, die doch auch für ihn so lange, nein, viel zu lange für ihn fort war. Als wir unsere, auf die Schnelle gekochte Suppe gegessen haben, sind wir auf die bald mit unseren leeren Einkaufstaschen in die Stadt gefahren, um wieder all das da einzukaufen, was eigentlich in einer Küche zu einem guten Essen kochen da zu sein hat, um wieder etwas Vernünftiges oder Herzhaftes auf die Teller zu zaubern, bei dem nicht nur der Gaumen, sondern auch die Nase und die Augen auf ihre Kosten kommen was sie und auch wir eigentlich so lange vermissen mussten, abgesehen vom sonntäglichen Wirtshausessen, denn eine zweite oder Ersatzwilma haben wir beim besten Willen nicht gefunden oder finden können aber auch nicht finden wollen, an die und ihre Küche wir und unser Magen uns alle schon in den vergangenen Jahren so gewöhnt haben. Beim Einkaufen war Wilma scheinbar doch wieder die alte Wilma von einst, die Wilma, noch vor ihrem katastrophalen, nervlichen Kollaps oder Zusammenbruch, den sie damals bei der Leichenschau ihres wahrlich ersten Sohnes erlitt, als ihr, ihr verlogenes Spielchen, das sie einstmals mit mir gespielt hat, so richtig wieder bewusst wurde, über das sie sicherlich in all den Jahren unseres doch so trauten Zusammenseins nie viel nachgedacht hat, denn es hat da diesbezüglich zwischen uns beiden nie irgendwelche Schwierigkeiten gegeben.
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