Bei Jürgen hat die Knochenmarkspende, man könnte fast sagen, wie ein Wunder für alle sichtbar gewirkt, er hat auch bald wieder langsam im Wasser zu trainieren begonnen, was seinen Gesundungsprozess regelrecht beschleunigt hat und ein halbes Jahr später hat er seine verschobene, letzte Rettungsschwimmerprüfung wieder mit einer glatten Eins gemacht, worüber auch ich mich mehr als nur gefreut habe und er sich sichtlich auf die nächsten Taucherspaziergänge im Waldsee wieder freute, die er mit Onkel Heintje und Hans im nächsten Sommer machen möchte und dann auch den schon vergessenen Schatz heben wollen, den der Graf von Tuttlingen im 30jährigen Krieg bei Nacht und Nebel im Waldsee, vor den raubenden und heranrückenden Schweden nicht versenkt, sondern, wie er sicher glaubte, nur im Wasser kurzfristig versteckt hat, der bis heute noch nicht gehoben worden sein soll, da es bis heute keine Zeugen, außer den Geistern, die da im See ihre letzte, nasse Ruhestätte gefunden haben, die sicher bei ihren Streifgängen im Wasser durch den Waldsee, diesen da ruhenden Schatz wiederentdeckt haben und jetzt ihn uns heben oder aus dem See herausholen lassen wollen. Hin und wieder soll da auch der Geist des Grafen da im See nachschauen, ob auch alles, was sie damals zu ihrer Zeit versenkt haben auch noch da ist. Mehr Zeugen für diesen Akt der Versenkung gibt heute sicher nicht, als wieder die nächtlichen Geister, die doch ansonsten, was den Waldsee anbelangt recht schweigsam sind, uns aber diese reiche und goldheimliche Neuigkeit aus der langen Vergangenheit mitgeteilt haben, wohlwissend, dass wir, wenn wir diesen Schatz heben sollten, ihn sicher nicht für uns behalten werden, sondern ihn dann nach der Bergung ordnungsgemäß bei der heutigen Eignerin des Waldsees, der kleinen Spukhausener Gemeindeverwaltung, wie es sich gehört abliefern werden.
Bei meinem nächsten Besuch bei Wilma habe ich mich doch schon gewundert, dass
sie doch ein kleines Bisschen anders war als sie es in der letzten Zeit immer war; sie ist nicht gleich in eine, ihre persönliche Eiszeit mir gegenüber verfallen, als ich in ihrer Nähe auftauchte und mich ihre persönliche Abneigung hat spüren lassen, wie gleichgültig ich ihr doch immer noch bin, der nur für ihre finanzielle Seite und ihre weiteren Habseligkeiten sorgen darf; ansonsten war ich für sie das total unbekannte Wesen, das sie restlos enttäuscht hat oder sie immer wieder zu etwas zwingen will. Nur was das sein sollte, dass konnte oder wollte sie zu niemanden sagen, wie und wann das alles passiert sein soll, das hat sie uns nie gesagt oder auch sagen können oder gar wollen. Ob hier ihr eigenes Gewissen in was für einer Angelegenheit nicht mehr gar mitspielen wollte? Und seit Gereons Tod auch keine Dankeschön mehr über ihre Lippen brachte, denn alles was ich für sie jetzt getan habe, war sicher in ihren Augen eine Selbstverständlichkeit, für das sie doch kein Dankeschön sagen brauchte. Die heutige Begrüßung zwischen uns war zwar noch nicht herzlich, aber wir gaben uns schon mal, was auch schon sehr lange nicht mehr geschehen ist, wieder zur Begrüßung die Hände, was wir sicher schon seit dem Tag der Leichenschau nicht mehr gemacht haben. Und sie fragte auch, ob es bei uns daheim in Spuckhausen etwas Neues gibt und ich ihr sagte, dass vor gut einem halben Jahr Jürgen schwer an der Leukämie erkrankt ist und ich ihm mein Knochenmark nicht spenden konnte, da wir beide scheinbar nicht miteinander verwandt sind und ich erst jetzt dahinter gekommen bin, dass wir wahrscheinlich schon nach knapp achteinhalb Monaten einen kerngesunden Jungen bekamen, was doch einige Fragen aufwerfen kann oder gar muss, wer der eigentliche Zeuger von Gereon ist. Wilma fragte gleich weiter, ohne zunächst auf meinen Verdacht auch nur ein kleines bisschen einzugehen, wer dann das Knochenmark für Jürgen gespendet hat und ich ihr sagte dass es sein Bruder Frieder war, der dann als der ideale Spender ohne Wenn und Aber in Frage kam. Nach einer kleinen Pause sagte sie, dass dann Frieder doch kein so schlechter Mensch sein kann, wenn er so etwas für seinen Bruder getan hat. Jetzt schaute ich sie doch eine nicht zu kurze Weile, wahrscheinlich sehr fragend an und sagte dann, dass er schon für die bloße Blutprobe, in der die bloße Eignung festgestellt werden sollte fünfzig Euro verlangte, die er auch von mir, obwohl ich doch nichts mit ihm gemeinsam habe, bekam, bevor es mit der so dringend nötigen Knochenmarkspende zu spät ist und Jürgen sie zum Sterben gar nicht mehr benötigt und für die so dringend benötigte Knochenmarkspende verlangte dein lieber und ach so gute Enkelsohn seine vollkommene Freilassung. Nur was er mit seiner absoluten Freilassung anfangen wollte, das weiß er bis heute nicht und konnte es auch niemandem erklären, denn es hat sich bis heute niemand gefunden, der ihm sein Schlaraffenland auf Erden auch finanzieren wolle und er zum Schluss meinte, dass ich, sein Großvater ihm diese Freiheit bezahlen soll, denn ich arbeite ja auch nichts und lebe doch recht gut von meinem Nichtstun und kann immer wieder ungerechte Geschenke an seine Lieblinge verteilen! Und warum er dann nicht auch zu den Lieblingen seines ach so ungerechten Großvaters gehört, diese Frage konnte oder wollte er einfach nicht beantworten. Vielleicht glaubt er immer noch auf Staatskosten, die ihn nichts kosten, irgendwo den lieben Gott seinen Wohltäter spielen zu lassen? Doch dann haben wir ihm in einem narkotisierten Zustand diese nötige Portion Knochenmark abgenommen und gleich Jürgen direkt übertragen was bei Jürgen prima gewirkt hat. Als Frieder spät aber doch bemerkt hat was wir mit ihm gemacht haben, er aber diesen Eingriff nicht beweisen konnte, denn zu vieles, vor allen Jürgens wieder gesund werden, sprach für seine Knochenmarkspende, hat er alle möglichen Hebel in Bewegung gesetzt, um uns, die bösen Diebe seines ach so kostbaren Knochenmaks entsprechend zu bestrafen, dass er seinem leiblichen Bruder nicht nur geholfen, sondern ihm auch noch das Leben gerettet hat, seinem jüngeren Bruder und nicht dem bösen und ungerechten Opa, der seine Rente nicht ihm schenken will, das wollte er beileibe nicht wahrhaben oder gelten lassen. Wir einigten uns, dass ich ihm jeden Monat zehn Euro Taschengeld und zu Weihnachten noch einmal dreißig Euro extra überweise, solange ich leben werde; so sieht es um deinen ach so guten Enkelsohn aus, mit dem du dich sicher sehr rühmen kannst! Auch sagte ich ihr, dass Jürgen seine letzte Rettungsschwimmerprüfung mit der besten Note gemacht hat, die man überhaupt erreichen kann. Und da fragte sie, warum er denn nicht selber hier her mitgekommen ist, um mir das auch selbst zu erzählen und ich sie fragte, ob sie das auch wirklich wissen will, warum er nicht kam, um es ihr selbst zu erzählen, was sie lautstark bejahte. Jetzt habe ich ihr fest in die Augen geschaut und sagte, dass sie noch am letzten Sonntag niemanden von ihrer braven Familie sehen wollte, weder mich, deinen Mann, deine beiden Kinder, Schwiegerkinder oder die beiden Enkelkinder. Wir alle waren doch für dich wie die Pest, um die man am liebsten einen großen Bogen macht, wenn man sie schon nicht vernichten kann, um von ihr wenigstens verschont zu bleiben, von denen du keinen um dich dulden wolltest. Ich durfte nur dir deine schmutzige Wäsche waschen und sauber wieder dir hierherbringen, ohne jemals ein kleines Danke von dir zu hören. Und wenn du glaubst, dass du uns wieder alle sehen willst, dann werden wir wohl am nächsten Sonntag alle wieder da sein, um mit dir deine glorreiche Wiederauferstehung oder deine Rückkehr ins Leben mit dir zu feiern. Da wurde Wilma plötzlich wieder sehr traurig und sagte, „wenn ihr mich dann noch, nach all dem, was da so vorgefallen sein soll, auch noch sehen wollt!“ Der letzte Teil des Satzes, den sie da eben noch gesagt hat, machte mich doch sehr nachdenklich, was da vielleicht doch noch so alles passiert sein kann, außer Gereons Wundergeburt, der mit knapp achteinhalb Monaten und wenn man dann noch die vierzehntägige Verspätung bei einem Buben dazurechnet, schon bestens entwickelt und völlig gesund in diese Welt gekommen ist, bei dem nach der Geburt nichts mehr nachgebessert werden musste, wie es bei Frühgeburten üblich ist. Es wird doch nicht etwa auch noch unser dritter Sohn ein Geschenk des Weihnachtmannes sein, den dann der Klapperstorch etwa im Vorbeifliegen uns gebracht oder bei uns in einem falschen Nest wieder abgeladen hat. Doch Wilma meinte damit, dass sie mich solange im Glauben gelassen hat, dass Gereon mein und kein mir untergejubeltes Kind ist, der uns dann alle so im Leben enttäuscht hat und sein Sohn Frieder uns weiter so durch oder mit seinem Lebenswandel immer wieder mehr und mehr enttäuscht; sondern besonders mich immer wieder an mein Unrecht, das ich dir zugefügt habe erinnerte. Und da ergriff sie mit ihren beiden Händen meine rechte Hand, schaute mir jetzt in die Augen und ich merkte sofort, dass das, was jetzt kommt, ihr sehr schwer fällt und sie erst beim vierten Anlauf mir das sagen konnte, was sie seit der Leichenschau so bedrückt hat, dass sie als knapp Zwanzigjährige sich Hals über Kopf in einen Hallodrian restlos verliebt hat, der ihre ganz große Liebe ganz und gar nicht wert war, denn als er erfahren hat, dass unser liebestolles Verhalten nicht ohne Folgen für sie geblieben ist, ist er Hals übern Kopf auf Nimmerwiedersehen verschwunden, ohne jemals wieder etwas von ihm zu hören, ohne für die Folgen seiner Taten auch nur ein kleines bisschen einzu- oder geradezustehen oder etwas zu erfahren wohin er verschwunden ist oder was er jetzt macht. Und da passierte ein wahres Wunder. Eines Vormittags, ich war nahe der Verzweiflung wie es jetzt mit mir weitergehen soll, und ich am liebsten Rattengift geschluckt hätte, um aus meinem so jung verkorksten Leben zu scheiden, denn meine Eltern hätten für meine Lage sicher damals auch kein kleines bisschen Verständnis gehabt und die mich immer wieder vor diesem Hallodrian nicht nur gewarnt haben, sondern mich auch vor die Tür gesetzt hätten, da tauchte bei uns ein kleiner Vermessungstrupp auf und der Chef dieser kleinen Truppe warst du, die da hinter unserm Haus, auf unserm großen Grundstück einen Bauplatz einmessen sollten auf dem dann der Altersruhesitz für unsere Eltern gebaut werden sollte und auch gebaut wurde, der sicher auch heute da noch steht. Obwohl recht spät, merkte ich bald, wie mir meine innere Stimme sagte, dass hätte dein wahrer Mann sein können! Und wenn ich auf meine Mutter gehört hätte, die gegen den Hallodrian gleich nach unserm schnellen Kennenlernen war, dem doch nichts im Leben heilig war, der nur das eine oder sein Vergnügen gesucht hat, der nur sein eigenes Wollen gekannt hat und es befriedigen wollte. Ich hätte am liebsten damals laut gerufen, „warum hätte“, er soll es sein und auch für immer bleiben, mein Mann, dem ich dann das sein und bleiben will, bis dass der Tod uns scheidet, was ich damals eigentlich immer auch wollte aber für die Wahrheit wahrscheinlich damals, warum nur, nicht nur zu blind, sondern auch zu taub war, denn Liebe macht sehr viele, wahrscheinlich doch, besonders die falsche Liebe, sie macht die Jugend im Liebesrausch restlos blind! „Warum mag das bloß so sein?“
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