Er begann, Bäume zu fällen und kam rasch voran: Zwanzig Stück schlug er; mit dem erzenen Beil glättete er sie geschickt und kürzte sie mit der Richtschnur auf passendes Maß. Kalypso brachte Bohrer; damit bohrte er durch alle Stämme und befestigte sie aneinander mit Holzverbindungen und Klammereisen. Wie ein Mann, der sich im Schiffsbau auskennt und dem gewölbten Boden eines Lastkahns die ideale Breite zumisst, so bemaß auch Odysseus sein Floß. Aus dicht aneinander gefügten Brettern baute er dann ein Deck, das von mächtigen Balken gehalten wurde. Einen Mast stellte er darin auf; und daran wiederum brachte er die Rahe an. Zuletzt fertigte er das Steuerruder, um das Gefährt auch lenken zu können, und umgab das Deck mit einem Zaun aus geflochtenen Weiden, der ihn vor den Wellen schützen sollte. Unterdessen hatte die göttliche Kalypso Leinenstoff herbeigeschafft. Wie ein Fachmann schnitt er daraus das Segel zu, band Brassen, Schoten und Taue vorn wie hinten fest und beförderte das Floß mittels Hebelkraft in die göttliche Salzflut.
Am vierten Tag, war alles geschafft. Und am fünften entließ ihn die himmlische Kalypso von der Insel, nachdem sie ihn gebadet und in duftende, frische Kleidung gesteckt hatte. Einen Schlauch voll roten Weins gab sie ihm, einen weiteren, größeren voll Wasser und reichlich Proviant in einem ledernen Beutel, dazu noch eine Menge erfreulicher Leckerbissen. Dann schickte sie ein Fahrtlüftchen los, nicht zu stark und nicht zu lau. Der strahlende Odysseus ließ den Wind in das flatternde Segel knallen, freute sich über die günstige Brise und steuerte, am Heck sitzend, virtuos in die richtige Richtung. Und kein Schlaf legte sich auf seine Lider, stets behielt er die Plejaden im Auge und den Boötes, der spät untergeht. Er orientierte sich weiter am Arktos, den manche auch Bären oder Wagen nennen, und der sich auf der Stelle dreht, scheu auf Orion linsend, und nie in den Genuss eines Bades im Okeanos kommt. Dieses Sternbild sollte er immer zur Linken haben, so hatte ihm die himmlisch hübsche Kalypso eingeschärft.
Siebzehn Tage segelte er auf offenem Meer, am achtzehnten tauchten die schattigen Berge des Phaiakenlandes auf; zum Greifen nah, geformt wie ein Schild, lag das Land im dunstigen Meer. In diesem Moment sah ihn, von den Solymer Bergen aus und trotz der riesigen Entfernung, Poseidon, der gerade auf dem Heimweg von den Aithiopen war. Da segelte also dieser Kerl schon wieder herum! Wütend schüttelte er den Kopf und führte ein Selbstgespräch:
"Das darf doch nicht wahr sein! Da haben also die Götter, während ich in Aithiopien war, in der Sitzung einen neuen Beschluss gefasst. Jeden Moment kann er das Land der Phaiaken erreichen. Wenn er es schafft, sich zu denen zu flüchten, zieht er laut Schicksal den Kopf aus der Schlinge des Elends, die um seinen Hals liegt. Meine Meinung dazu ist, der Kerl soll noch jede Menge Niederlagen einstecken."
Nach diesen Worten ballte er die Wolken zu Türmen und wühlte das Meer auf, seinen Dreizack in der Faust schwingend; sämtliche Winde ließ er wirbeln und toben, in finstersten Wolken verbarg er Land und Meer; Nacht stürzte vom Himmel. Wild stürmten die Winde aus Osten, Süden, wilder noch aus Westen, und der aus dem Äther herkommende Nord peitschte die Wogen haushoch.
Ganz weich wurden da Odysseus' Knie, sein Herz sank bis in die Sandalen, und schwer angegriffen führte er ein Selbstgespräch mit seinem mutigen Herzen: "Ach, ich armer Wurm, was wird jetzt aus mir? Wie wird das wieder enden? Da hat die Göttin doch vollkommen recht gehabt, als sie mir vorhersagte, ich würde noch eine Menge durchmachen müssen, bevor ich heimatlichen Boden erreiche. Und jetzt tritt alles genau so ein. O je, was für Breitseiten von Wolken sind das, die Zeus da auffährt! Das Meer wühlt er auf, die Winde bestürmen mich aus allen Richtungen gleichzeitig! Das ist jetzt sicher das Ende. Dreimal glücklicher die Danaer, nein viermal glücklicher, die im Dienst des Atriden vor Troja starben; ja, damals hätte ich abtreten sollen, an dem Tag, als ich beim gefallenen Peliden stand und die Troer in Massen eherne Speere auf mich warfen. Anschließend hätte man mich wenigstens ehrenvoll bestattet, und mein Ruf bei den Achaiern wäre spitzenmäßig. Jetzt steht mir ein erbärmlicher Tod bevor."
Und während er noch sprach, rollte schon eine grauenhafte Woge heran, stürzte von oben auf ihn nieder und erschütterte sein Gefährt in den Grundfesten. Das Steuer glitt aus seinen Händen, er wurde von Bord geschleudert. Im gleichen Moment knickte ein fürchterlicher Windstoß den Mast mittendurch, kein Wunder, da sich die Winde wirbelnd kreuzten. Für eine sehr geraume Weile drückte es ihn unter Wasser, der Druck der Welle war so stark, dass er einfach nicht nach oben kam. Zusätzlich zog ihn noch die erstklassige Wollkleidung nach unten, die ihm Kalypso geschenkt hatte. Sehr spät tauchte er auf und spie amphorenweise Salzwasser. Aber trotz aller Erschöpfung war ihn noch klar, wo sich das Floß befand. Durch die Brecher kämpfte er sich hin und zog sich hoch. So entging er dem Tod.
Kreuz und quer, hin und her rissen Strömung und Wogen das steuerlose Gefährt. Wie der Nordwind im Herbst Disteln über die Äcker treibt, die mit ihren Stacheln dicht aneinander wie Kletten haften, so trieben die Winde das Floß ziellos durch die Wasser; mal warf es der Südwind dem Nordwind zu, mal gab es der Ost dem West in treue Hände, dass der es wieder jage. Doch da erblickte ihn die Tochter des Kadmos, Ino mit den schönen Fesseln, die ehemals ein Mensch gewesen war und immer weise Sachen gesagt hatte, nun aber Leukothea hieß und in den Salzfluten unter Göttern fortlebte, von denen sie sehr geschätzt wurde. Sie hatte Mitleid mit Odysseus, dem so arg mitgespielt wurde. Aus den Tiefen tauchte sie auf in Gestalt eines Wasservogels, setzte sich auf einen Balken des Floßes und sagte:
"Du Unseliger, was hast du bloß Poseidon, dem Erderschütterer, angetan, dass er derart sauer ist und dir so fürchterliches Pech beschert? Doch bei aller Wut, die er hat, vernichten wird er dich nicht. Und jetzt pass mal auf, ganz dumm siehst du ja nicht aus. Zieh deine Kleider aus, lass das Floß Floß sein und schwimm zum Land der Phaiaken; wozu hast du schließlich deine Hände? Dort wirst du gerettet sein, so bestimmt es das Schicksal. Nimm diesen Götterschleier hier und leg ihn dir um den Körper; kein Leid und keinen Tod hast du dann mehr zu fürchten. Sobald du das Ufer erreichst, musst du den Schleier abnehmen und der dunklen See zurückgeben. Wirf, so weit du kannst, und wende dein Gesicht dabei unbedingt vom Meer ab." Solche guten Ratschläge gab ihm die Göttin und dazu den Schleier. Wie ein Wasservogel tauchte sie hinunter in die aufgewühlten Wogen, und die dunklen Tiefen verschluckten sie wieder.
Doch hatte der große Odysseus, der schon so vieles mitgemacht hatte, seine Zweifel. Immer noch schwer angegriffen, führte er ein Selbstgespräch mit seinem mutigen Herzen: "Ach, ich armer Wurm, dass mir jetzt bloß nicht ein unsterbliches Wesen eine Falle stellt! Ich soll mein Fahrzeug verlassen? Das scheint mir nicht angeraten. Ich hatte doch schon Land gesehen, allerdings in einiger Entfernung. Dort sei ich gerettet, sagte sie. Wie Recht sie hat. Doch scheint es mir besser, am Floß festzuhalten, solange die Balken beieinander bleiben. Ich ertrage das Wetter geduldig, komme was wolle. Falls die Wellen mir das Floß zertrümmern, kann ich immer noch schwimmen. Was dann der denkbar beste Ausweg sein wird." Während er sich über diese Dinge tiefschürfende Gedanken machte, schuf Poseidon, der die Elemente beherrscht, eine mächtige, ganz und gar entsetzliche Woge; sie baute sich auf, wölbte sich hoch und schlug auf ihn nieder. Und wie ein heftiger Windstoß einen Haufen trockener Spreu zerstreut, sie hierhin und dorthin bläst, so leicht nahm die Woge das stabile Floß auseinander. Doch der tapfere Odysseus schwang sich auf einen Balken und benutzte ihn als eine Art Rennpferd. Immerhin zog er jetzt die Kleider aus, die er von Kalypso bekommen hatte. Und er band sich schleunigst den Schleier um. Dann sprang er kopfüber in die Fluten und schwamm mit ausgreifenden Zügen kraftvoll los.
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