Zu Einbruch der Dämmerung am gleichen Tage rasselte plötzlich der Maschinentelegraph und die Schraube begann schäumend rückwärts zu drehen. Der voraus laufende englische Flugzeugträger war auf Grund geraten und verstopfte den Kanal. Jedoch hielt die Verstopfung nicht lange vor, denn aus der Weiche, die vor ihnen lag, preschten zwei starke Schlepper hervor und zerrten ihn wieder in die Fahrrinne zurück. Der Konvoi nahm Fahrt auf und kroch dem Bittersee entgegen, wo Anker geworfen wurde, den Gegenverkehr passieren zu lassen und alle Gelegenheit erhielten, sich von Deck in die außerordentlich salzigen Fluten zu stürzen, denn es war unerträglich heiß. Am folgenden Tag bereits wurde Port Suez passiert, die Händlerboote und der Lotse bei Fahrt aussenbords gesetzt und in das Rote Meer vorgestossen, das seltsam und faszinierend erscheint. Rote, schroffe Felsen, unterbrochen von gelber Wüste, kein Leben, kein Rauch. Nichts. Im südlichen Teil der langgestreckten See liegen ein paar Inseln aus aufgetürmten Felsen zwischen denen riesige Wasserschildkröten an der Bordwand entlangtreibend, beobachtet werden konnten. Auch kleine Wale machten sich von Zeit zu Zeit durch Zeigen der Buckel und Abblasen der Luft bemerkbar. Ebenso konnten mühelos Haie erspäht werden.
In Port Aden, dem zentralen Hafen des Yemen, bunkerten sie vier Stunden an einer Boje in der Hafenbucht. Landgang war nicht möglich und von dem Liegeplatz konnten lediglich kahle Felsen und graubraune Mauern aus Lehm mit kleinen Fenstern in der flimmernden Hitze erkannt werden.
Ein paar Tage später, nachdem entlang der Küste des Yemen und der Insel Sokotra die Strasse Hormuz erreicht und der Persische Golf betreten worden war, machte das Schiff in Dammam, dem Bestimmungshafen, an einem großen Holzsteg, der weit ins Meer ragte, fest. Auf Reede ankerten einige andere Schiffe in Warteposition, denen sie vorgezogen wurden. Gleichwohl passierte nichts und die Tage vergingen. Baden verbot sich mit Blick auf die unzähligen Haie, die den Dampfer stets umkreisten und auf Küchenabfälle hofften.
Das Saufen gaben sie rasch auf, da es in der Hitze, das Thermometer zeigte stets über fünfundvierzig Grad, zu Folgeerscheinungen kam, die mit Verblödung umschreibbar wären. Abgesehen davon war Zechen nur an Deck möglich, da unter Deck Themperaturen herrschten, die zur Gerinnung des menschlichen Körpers führen konnten und Gelage an Deck riefen andererseits die Saudi Arabischen Posten auf den Plan, die sich Alkohol im Lande des Propheten strengstens verbaten und gelegentlich mit Verstärkung anrückten und von der Pier mit mitgeführten Steinen auf Zecher, oder vermeintliche Zecher warfen. Landgang war verboten. Andererseits war außer der Holzpier und der horizontweiten Wüste nichts zu entdecken, was den Wunsch auf Landgang hätte stimmulieren können. Nach zwei Wochen Müßigganges begannen eines morgens sich zahllose zerlumpte Menschen mit Defiziten auf der Pier zusammenzurotten. Den Einen fehlte jeweils ein linkes Auge, den anderen die linke Hand. Das waren die Schauerleute, die die zigtausende von Zementsäcken aus den Laderäumen wuchten sollten und die sehr paradox erschienen. Wo die Einen nicht links zugreifen konnten, konnten die anderen ihre linke Hand nicht sehen und griffen ins Leere. Damit das irgendwie vorangehen und einmal ein Ende nehmen möge, einigten sie sich schließlich unter unendlichem Geschnatter, die Zentnersäcke zu viert zu packen und auf den Netzen des Ladegeschirrs zu stapeln.
Immerhin. Es ging voran. Langsam und mühselig und lächerlich. Und unverzüglich versank alles unter einer bleiernen Schicht aus Zementstaub, der bald auf der schwitznassen Haut zu brennen begann und Pickel hervorzauberte, die kräftig den Juckreiz förderten. Die uniformierten Wachen auf der Pier verzogen sich ob des Staubes auf immer weiter entfernte
Standorte und die weißgepuderten Behinderten begannen, es sich, bar unmittelbarer Aufsicht, in den Laderäumen behaglich einzurichten und frönten des Schläfchens und der Herumlungerei auf den Säcken, um gelegentlich ein Ladenetz zu füllen und nicht zu vergessen, den nächsten Sack aufzureißen.
Sie kamen zu Hunderten zu Sonnenaufgang aus der Wüste. Und sie verschwanden zu Hunderten bei Sonnenuntergang in der Wüste. Tagein Tagaus. Getrieben von einer Horde von Aufsehern.
„Wir müssen hier raus,“ sagte der Erste Offizier und hustete. „Wir werden hier verkommen.“
„Wir werden hier bleiben,“ widersprach der Bootsmann.
„Wir werden immer hier bleiben,“ sagte Heini, der andere Matrose.
„Wir werden selbst löschen müssen,“ sagte der Erste Offizier und hustete erneut ,“wir müssen selbst löschen. Wenn wir hier wegkommen wollen.“
„Laß uns hier bleiben,“ sagte Heini und spuckte über die Reling.
„Biertrinken an Deck ist jetzt verboten,“ rief der Erste, als er sich nach Mittschiffs entfernte,“es hat Beschwerden gegeben.“
„Laß uns endlich von hier verschwinden,“ sagte der Bootsmann grimmig. „Geht nur eine Teilladung raus,“ brüllte der Erste von Mittschiffs und enterte zum Bootsdeck hoch, die Brücke zu erreichen, „Rest geht nach Goa.“
„Wir werden selbst anpacken.“ Sagte der Bootsmann bestimmt.
„Du wirst gewiß nicht anpacken,“ meinte Heini, der andere Vollmatrose. „Richtig. Ich bin der Bootsmann. Ihr werdet selbst anpacken. Ich werde die Sache mit dem Ersten besprechen gehen. Wo ihr eh nur rumlungert. Geht nach Goa, Wie ihr den Ersten gehört habt. In Goa haben sie Weiber.“ Er drehte sich um und folgte dem Ersten, den Löscheinsatz der Decksmannschaft zu beratschlagen.
„Also gut,“ sagte der Bootsmann als er von der Brücke zurückkam zu der vollzählig auf der Poop lungernden Deckmannschaft,“ also gut. Wir löschen selbst. Ab morgen früh. Wir reißen die Luke eins auf und fangen da an. Aus Raum eins nehmen wir die Hälfte. Morgen früh. Vier Mann auf die Pier. Strops gleich auf die LKW Ladeflächen. Sonnabend und Sonntag Freiwache. Außer der Wache. Wache wie bisher abwechselnd. Freitag arbeiten die hier nicht. Freitag beten die hier. Also auch keine LKW. Das heißt, Freitag auch Freiwache. Gut geht’s euch.“
Und so wickelten sich alle Tücher um den Kopf, zogen Hemden und lange Hosen an und verschwanden zu Neunt im Raum eins, während vier Mann auf der Pier sammelten, wo es etwas weniger heiß war und Tom Have, der Messedienst hatte, auf der Poop von Ohr zu Ohr grinste und die Vollmatrosen die beiden Winschen übernahmen. Der Bootsmann sammelte sich am Lukensüll und brüllte hinunter :“ Macht voran Leute. Denen werden wir es jetzt mal zeigen. Klotzt ran. Bald ist Freitag. Dann könnt ihr ruhen.“
So vergingen die ersten acht Stunden am Dienstag. Dann um sechzehn Uhr zog Bernd mit Heini und dem Leichtmatrosen Dieter auf Wache. Um zwanzig Uhr gab es Mittagessen, weil am helllichten Tag keiner zu Mittag essen wollte und um vier Uhr früh ging Bernd erneut auf Wache, um anschließend wieder in Raum eins abzuentern und aus den Ecken die Zementsäcke herbeizuschleppen, sie auf dem Netzstropp zu stapeln und „Hiev up“ nach oben zu brüllen, solange noch Spucke vorhanden und der Hals noch nicht ausgedörrt und zugeklebt war. Tagein, tagaus. Aber der Raum begann sich zu lichten.
„Daß ihr mir da nicht zu viel rausholt,“ brüllte der Erste vom Lukensüll und hustete wild, um rasch in dem Schwitzkasten der Brücke zu verschwinden, wo er tagsüber lebte und nachts verweilte.
Die Holzpier hatte oben einige Luken, durch die man über Leitern nach unten auf wackelige Bretterstege klettern konnte, die knapp über der Wasseroberfläche und unter der ganzen Pier kreuz und quer verliefen. Also stieg Bernd am Sonnabend hinunter, sich das Konstrukt anzuschauen und die Füße im Wasser baumeln zu lassen, nur knapp bis zu den Knöcheln natürlich, um die Haie nicht zu provozieren. Sich umblickend, bemerkte er einige Araber in gut fünfzig Meter Entfernung, die jedoch zielstrebig näher heranrückten. Auch vor ihm stiegen jetzt zwei Gestalten gewandt mit der verbliebenen Hand eine Leiter herunter und Bernd wurde sofort klar, mit welcher Absicht sie sich wohl tragen mochten. Sie wollten ihn ficken und hatten entsprechende Andeutungen bereits an Deck vom ersten Tag ihres Erscheinens an gemacht. Bernd war bei ihnen begehrt. Also begab er sich auf die Flucht und suchte nach einer Leiter und einem Ausstieg nach oben, der ihm aber taktisch gekonnt mehrfach abgeschnitten wurde.
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