1 ...7 8 9 11 12 13 ...35 „Wenn der uns auch erhalten bleibt, weiß ich nicht, wie ich dem Alten den Fleischverbrauch erklären soll. Was euch diese Woche zusteht, habt ihr bereits den Haien gegeben.“
„Schmeiß schon. Machst du mal zwei Tage lang Pfannkuchen oder Labskaus.“ „Jetzt wimmelt das aber,“ brüllte Bernd von unten zu der an der Reling versammelten Zuschauerschar, die ihn wegen der Krümmung des Schiffes nur sehen konnten, wenn sie sich weit herausbeugten.
„Ja, jetzt ist das gut,“ rief der Assi, “jetzt spring, du Kasper.“
Tollkühn nahm Harry, das Arschloch, Anlauf und kam mit den Armen wedelnd heruntergestürzt, um in einem Schwall aufstiebenden Wassers zu verschwinden. Etwas seitlich der Haie. Und etwa sechs Meter von der Jakobsleiter entfernt. Schon mit dem Auftauchen des Haarschopfes klang Bernd schrilles Geschrei in die Ohren. Harry starb. Er starb vor Furcht. Er tauchte auf. Er tauchte unter. Er schlug mit den Armen und krallte mit den Händen in die See. Er spuckte Wasser. Schon kam er kaum noch mit der Unterlippe über die Wasseroberfläche und schluckte mit aufgerissenem Maul mehr Wasser, das sein Hilfegebrüll zu einem Gurgeln dämpfte.
„Hier,“ rief Bernd laut und hilfreich,“ hier bin ich. Hier.“
„Beeil dich, brüllte jemand von Deck.“ Die Haie werden sich gleich vom Schreck erholt haben und dir ein Bein abreißen.“
„Paddeln. Du musst paddeln. Dann kommst du vom Fleck.“
„Jeder kann paddeln. Aber der Arsch kann nicht paddeln. So was saugt man mit der Muttermilch auf,“ meinte Björn laut. „Jeder normale Mensch kann paddeln. Das übt man im Utterus. Ich konnte paddeln. Als ich rauskam.“
„Wir sehen hier den österreichischen Zuhälter von der Reeperbahn in den blauen Wässern des Persischen Golfes ersaufen,“ rief der Leichtmatrose Fritz und spuckte über die Reling. „Und ihr sagt, hier ist nichts los.“
„Schmeißt einen Rettungsring hinunter,“ brüllte der Bootsmann, der sich der Zuschauerschar zugesellte. „Macht hin. Der säuft uns ab.“
Ein Rettungsring kam herabgesegelt und landete aufspritzend neben Harrys Kopf im Wasser, der instinktiv zugriff und den Ring packte.
„Na, also,“ brüllte der Bootsmann,“ geht doch. Zieh ihn ran an die Leiter Bernd. Bevor die Haie sich entschließen, ihn zu zerlegen.“ Er beugte sich weit über die Reling und winkte Bernd mit der freien Hand zu, dass er verstehen möge.
Harry hatte den Ring jetzt mit beiden Händen gepackt und zog seinen Körper auf diesen nach, so dass der Ring kenterte und Harry auf der anderen Seite wieder kopfüber ins Wasser glitt, den Halt verlor und erneut unter der Oberfläche verschwand. Spuckend und voll des Terrors kam er wieder hoch. Schluckte mehr Wasser und versank erneut. Der Rettungsring trieb ab. „Schwimm hin Bernd,“ brüllte der Bootsmann,“ und zieh ihn an den Haaren zur Leiter.“
Bernd ließ die Leiter los und plumpste ins Wasser. Vier, fünf, Schwimmstöße und er war bei Harry, der gerade erneut auftauchte, mit irrem Blick und verzerrter Fresse.
„Ruhig Harry,“ sagte Bernd, “ruhig. gib mir deine Hand.“
Aber Harry gab ihm seine Hand nicht und griff nach seinem Kopf, wo er sich in den Haaren festkrallte und sich, wie schon an dem Rettungsring erprobt, über Bernd zu ziehen begann. Bernd ging unter und bemerkte, dass Harry sich überall an ihm anklammerte und auch die Beine um ihn schlang. Nunmehr gingen beide unter und Bernd bekam keine Luft mehr und geriet selbst in Panik. Wir werden als Knäuel auf den Meeresgrund sinken, dachte er kurz und versuchte mit der einen, freien, Hand zuzuschlagen und irgendetwas zu treffen, was in dem Chaos misslang. Irgendwie gewannen sie wieder Auftrieb und Bernd bekam die Beine frei und konnte sie in das Wasser stoßen, so dass sie weiter an die schwingende Leiter kamen. Nach rückwärts überbeugend bekam Bernd dann einen Fuß in Harrys Bauch und stieß so kraftvoll wie möglich zu, worauf Harry losprustete, losließ und erneut unterging.
Mit einer Hand konnte Bernd jetzt den Tampen der Jakobsleiter greifen und mit der anderen fischte er nach Harrys Haaren, in die er griff, die sich aber als zu kurz erwiesen und keinen Halt boten. Er versuchte einen Fuß unter seine Eier zu schieben und ihn zu liften, aber auch das gelang nicht. Schließlich erwischte Bernd unter Wasser Harrys Arm und zog. Er kam hoch, aber es war eher ein hochtreiben. Er hatte keine Kraft mehr. Schaffte es aber noch, die untere Stufe der Leiter zu fassen und sich an diese zu klammern. Selbst Wasser spuckend und völlig fertig und kraftlos, brüllte Bernd: “Hoch Harry, zieh dich hoch du Arschloch. Gib mir die Stufe frei.“
Aber Harry hörte nicht mehr und hing benommen an der unteren Stufe im Wasser, unfähig zu weiterer Bewegung. Damit war Bernd der Ausstieg aus dem Persischen Golf versperrt.
„Raus,“ brüllte der Bootsmann von der Reling. “Verschwinde aus dem Wasser. Die Haie sind wieder da und schnuppern an euch.“
Harry zog sich mit letzter Kraft auf die erste und dann die zweite Holzstufe, auf der er benommen festgekrallt verblieb. Bernd kam nicht raus und geriet in Panik. Sich wild umschauend, entdeckte er das aus dem Wasser ragende Ruderblatt zu seiner Rechten und begann sofort die etwa dreißig Meter zu durchschwimmen. Das Ruderblatt wurde größer und größer und als er es erreicht hatte, ragte es um die hundert Zentimeter über seinem Kopf auf. Unmöglich, die obere Kante zu greifen. Er versuchte es viermal mit tauchen und aufschnellen; aber es reichte nicht. Harry hing immer noch auf den beiden unteren Sprossen, wie ein nasser Sack Mehl. Dann ließ Bernd sich tief absinken und schnellte erneut, mit irren Schwimmbewegungen nach oben. Er griff die Kante und hing an seinen Fingernägeln. Aber Panik verleiht ungeahnte Kräfte, so dass es ihm gelang, einen Handballen auf das Ruderblatt zu schieben und schliesslich sich hinaufzuziehen. Als er auf dem breiten Ruder erschöpft Platz nahm und an sich herabschaute, stellte er fest, dass er von unten bis oben aufgeschlitzt war. Der Muschelbewuchs hatte seine Brust und Oberschenkel in ein blutiges Stück Fleisch verwandelt. Und Harry hing immer noch an der verdammten Leiter.
„Jemand die Jakobsleiter runter und Harry hochholen,“ brüllte der Bootsmann von oben, „Bernd? Bist du noch da Bernd?“ Von oben konnte er Bernd, der sich mitten unter dem Heck befand nicht sehen.
„Ja, Ja,“ rief Bernd zurück, “Ich bin auf dem Ruderblatt.“
„Gut. Bleib da. Wenn Harry oben ist, spring rein und hechte zur Leiter. Damit das hier mal ein Ende nimmt. Die Haie sind wieder da. Das quirlt alles da unten. Das wimmelt nur so. Die haben einen gesunden Appetit.“
„In gar keinem Falle spring ich da noch mal rein. Ich bin blutüberströmt. Von den Muscheln.“
„Scheiße auch. Wenn der Alte das hier mitkriegt, wird es ein Donnerwetter geben. Der wird die Bierlast abschließen und den Schlüssel über Bord schmeißen. Wo hat es solche Idiotie schon mal gegeben. Ein Arschloch, das nicht schwimmen kann, springt vom Sonnensegel und kann noch nicht mal paddeln. Wir werden das Arbeitsboot klarmachen und aussetzen. Das wird dauern. Bleib auf dem Ruder.“
„Da kannst du ganz sicher sein, dass ich hier bleibe.“
Es wurde aber nichts mit dem kleinen Arbeitsboot, das auf dem Achterdeck an einem Davit hing und nicht ausgesetzt werden konnte, weil der Davit festgerostet war.
„Hat keinen Sinn. Der Davit ist fest und die Spindel auch. Kriegen das Ding nicht außenbords,“ sagte Björn, der an der Jakobsleiter heruntergeklettert kam, nachdem der Leichtmatrose Fritz Harry geborgen hatte, um die Situation in Augenschein zu nehmen. „Du musst noch mal ins Wasser und die Leiter erreichen.“
„Ich werde schwachsinnig sein und da noch mal reinhopsen. Bei all dem Blut hier.“
„Waschs ab.“
„Wie. An das Wasser komm ich nicht ran. Das ist ein Meter tiefer. Und außerdem würde das dann das Ruder runter laufen und die Haie noch mehr anregen.“
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