„SEEMONSTER!“ Der Ausguck hatte, natürlich nur ganz unauffällig, verfolgt, was auf Deck vor sich gegangen war. Er hatte gesehen, wie Nat über Bord sprang und jetzt sah er die schlanken Körper der Leviathane durchs Wasser schießen.
Nat schien die herannahenden monströsen Räuber auch bemerkt zu haben, ließ sich davon aber nicht aus der Ruhe bringen.
Mit einigen Schwimmbewegungen war er am Schiff und griff nach dem Seil, dass locker ins Wasser herab hing.
Er fasste das Seil, bis es sich straffte, dann zog er sich nur mit den Armen mit fantastischer Geschwindigkeit zurück aufs Schiff…
…ein Schmerz wie ein Stich fuhr durch Rrordraks Kopf …!
Den Leviathanen blieb nur das Nachsehen, sie drehten enge Kurven unter dem treibenden Seil. Eines der Tiere stürzte sich darauf und biss es in Stücke.
Nat hechtete über die Bordwand und hinter ihm kappte einer der Piraten mit seinem Entermesser das wild schlagende Seil, bevor es noch Stücke aus dem Holz brach.
Der junge Mann richtete sich auf, als eine große Faust auf sein Gesicht zuschoss und ihn direkt über der Nasenwurzel traf.
Er schlug lang aufs Deck und schüttelte den Kopf. Seine Nase fühlte sich an wie gebrochen und seine Stirn pochte …
… Rrordrak sank stöhnend auf den Thron, während der Schmerz schlagartig erlosch …
und es gelang Nat nur mit Mühe eine Ohnmacht niederzukämpfen.
„Du bist Schuld, dass ein Seil zerschnitten werden musste. Wir werden das Segel neu vertäuen müssen. Und deine Dummheit hätte das ganze Schiff gefährden können.“
Odus Stimme war nur ein gepresstes Zischen.
„Leiste dir noch einmal so einen dämlichen Fehler und ich werde dich häuten und für die Möwen an der höchsten Rah aufhängen.“
Kaum gezügelte Wut sprach aus seinen funkelnden Augen.
Hinter ihm stand Tally und auch ihr Gesicht zeigte alles andere als Freude.
Wortlos drehte sie sich um und stieg die Treppe hinauf aufs Oberdeck.
Nat ließ sich auf das Deck zurück sinken. Er spürte, wie Blut aus einer Platzwunde an der Stirn über seine Haut lief.
Der Energiestoß, der ihn zu dieser wahnwitzigen Aktion getrieben hatte war versickert. Im Stillen verfluchte er sich, wie er mit dieser Dummheit seine sich nur langsam verbessernde Situation hier auf dem Schiff so gefährden konnte.
Ein alter Seemann mit schütterem weißen Haar und ledriger Haut beugte sich zu ihm herunter. Nat war gefasst auf die nächsten ätzenden Bemerkungen.
„Alle Achtung.“ Der fast zahnlose Mund des Alten verzog sich zu einem Grinsen. „Ich fahr’ schon mein ganzes Leben zur See, aber ich habe noch nie jemanden so schnell ein Seil hinauf klettern sehen. Ich war mir sicher, dass die Fische dich fressen würden.
Aber, wenn Odu dir keine reingehau’n hätte, dann hätt’ ich das gemacht.“
„Mathi, mach Platz.“
Der Alte wurde beiseite geschoben und Alda kniete vor Nat nieder, um ihm mit einem nassen Tuch das Blut vom Gesicht zu wischen.
Auch sie schüttelte den Kopf ob seiner Dummheit, aber ein leichtes Grinsen zog über ihre Züge.
„Klasse Leistung.“
Ehe sie mehr sagen konnte, erklang ein Ruf aus dem Ausguck.
„ES GEHT LOS!“
Nat schob Alda zur Seite, stand auf und eilte zur Reling, wo er durch eine der geöffneten Enterluken blickte.
Da alle Blicke der Anderen sich zum Bug richtete schaute auch Nat nach vorne.
Zunächst erkannte er nicht was sich tat, dann sah er wie sich das Seil, das am Bug des Schiffes befestigt war aus dem Wasser hob und langsam spannte.
Das Schiff wurde in Richtung des Nebels gezogen.
Innerhalb kürzester Zeit verschwand das Schiff im Nebel und Nats zweite Reise durch das Grau begann.
„ Das kann nicht alles gewesen sein .“
Wutentbrannt funkelte Rrordrak den entspannt dastehenden Kapitän Blackard an.
„Irgendetwas sagt mir, dass jemand überlebt hat. Ihr müsst jemanden übersehen haben.“
Blackard bemühte sich nicht ungeduldig zu klingen.
„Alle Schiffe wurden versenkt. Die Sachen, die wir von dem Flaggschiff geholt haben wurden alle einzeln untersucht, damit da keine Kiste drunter war, in der sich vielleicht jemand versteckte. Wenn es Überlebende gab, dann haben die Seemonster sich darum gekümmert.“
Langsam wurde seine Stimme lauter sein Tonfall gepresster.
„Außerdem war weit und breit kein anderes Schiff. Wenn jemand den Angriff überlebt hätte, dann hätte er tagelang auf dem Wasser aushalten müssen. Und das schafft keiner.“
Blackard dachte kurz an all die Männer und Frauen, die er schon aus Lust oder Ärger über Bord geworfen hatte. Von denen war keiner wieder erschienen, außer in seinen Träumen.
Rrordrak knirschte mit den Zähnen. Leider brauchte er diesen aufgeblasenen Kapitän noch. Keiner war so rücksichtslos, wie Blackard und keinem gelang es, so kampfstarke Schiffe zusammen zu stellen wie diesem riesenhaften Piraten.
Aber ein kleiner Denkzettel konnte nicht schaden.
„Dzyrog.“ Nur ein einziges Wort des Schwarzdruiden und aus dem Gebälk der Decke löste sich ein Schatten und ließ sich zu Boden fallen. Der Boden des Thronsaals erzitterte, die Balken knirschten.
Der schwarze Drache stand direkt hinter Blackard, der erschrocken den Kopf einzog.
„Kapitän. Für mich wäre es ein geringes Ärgernis, wenn ich mich nach einem anderen Anführer umsehen müsste, der mir den Nachschub aus der Alten Welt vom Leib hält. Aber ich bin bereit und in der Lage dazu.“
Er zeigte mit einer Handbewegung auf den Drachen.
„Also mäßigt euch und vergesst nicht, wer hier das Sagen hat.“
Er stieg die Stufen hinab und stellte sich vor den Piraten. Obwohl er fast zwei Köpfe kleiner war als dieser, ließ ihn seine Präsenz mindestens ebenbürtig erscheinen.
„Wenn ihr an meiner Seite bleibt und euch entsprechend verhaltet, dann könnt ihr hier auf diesem Kontinent ein König sein. Wenn nicht, dann werdet ihr Drachenfutter oder ein Aschehaufen.“
Sein Gesicht verzog sich zu einer bösartigen Fratze.
„Ich will, dass eure Patrouillenschiffe noch besser aufpassen und ich erwarte, dass ihr jederzeit zur Verfügung steht, wenn … was? Was ist los?“
Blackards Gesicht hatte sich bei dem Hinweis auf die Patrouillenschiffe verzogen, was Rrordraks’s aufmerksamem Blick nicht entgangen war.
„Wir haben wieder eins verloren.“ Die Stimme des Kapitäns war jetzt leise und gepresst.
„Was heißt das – ihr habt es verloren. Die Schiffe, die ich kenne verliert man nicht einfach so.“
„Wir wissen nicht, was passiert ist.“ Blackard wand sich wie ein Wurm am Haken. Der Überbringer schlechter Nachrichten zu sein, wenn einem der warme schwefelstinkende Atem eines Drachen in den Nacken blies, war selbst für diesen Hünen, nun ja, schwierig.
„Das Schiff ist von einer Patrouille nicht zurückgekommen. Die anderen dort kreuzenden Schiffe haben Trümmerteile des Schiffes gefunden. Ob es angegriffen wurde ist aber nicht klar, weil kein Schiff in der Nähe zu sehen war, außer es ist in den Nebel verschwunden. Und das kann man dort nicht, nicht einmal in der Nähe. Es gibt dort keine Wege durch den Nebel.“
Die Stimme des Kapitäns überschlug sich fast. Er schwitzte. Wenn Rrordrak seinem Drachen ein Zeichen gab, dann würde Blackard versuchen diesen kleinen Mistkerl zu packen und ihn als Schutzschild verwenden.
„Das ist das vierte Schiff, das so von der Wasseroberfläche verschwindet, ohne dass ihr eine Ahnung habt, was dort vor sich geht.“
Rrordrak’s Augen funkelten vor mühsam unterdrücktem Hass.
„Findet es heraus und tilgt dieses Ärgernis von der Landkarte. Und wenn ihr dafür nicht Manns genug seid, dann werde ich mich selber darum kümmern. Und jetzt geht.“
Rrordrak drehte sich um und stieg die Stufen zum Thron hinauf, ohne Blackard eines weiteren Blickes zu würdigen.
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