Doch diese Unbelehrbaren hatten sich der Meinung der großen Mehrheit gebeugt. Nur nach dem Genuss einiger Maß des würzigen „Tautropfenweins“ klangen noch einmal die großen Reden, die nach Blut und Eroberung verlangten.
Diese Stimmung wollte Rrordrak mit seinen geheimen Truppen ausnutzen. Ein Angriff durch – angebliche – Elfen sollte die Menschen gegen dieses Volk aufbringen und zu Unstimmigkeiten innerhalb der Elfenrasse führen, so der Plan.
Bereits seit Tagen reisten Rrordraks Männer alleine oder in kleinen Gruppen durchs Land und sammelten sich in der Nähe Vorstamms in der Ebene von Gohara.
Ein schmales Lächeln zuckte über Rrordraks Gesicht, dann blickte er wieder ausdruckslos auf den knienden Mann.
„Gebt den Männern das Kommando. Ich will, dass ein Krieg losbricht, wie ihn diese Länder noch nicht erlebt haben. Verbrennt diesen blödsinnigen Baum und tötet so viele Dörfler wie möglich.
Aber denkt dran, es muss so aussehen, als hätten die Elfen das Dorf angegriffen, um es für Endoria einzunehmen. Und als hätten die Menschen als Rache den Baum zerstört.“
Ein grausamer Zug verzerrte das hagere Gesicht.
„Es darf niemanden geben, der etwas anderes erzählen kann. Wenn es Zeugen gibt, dann müssen sie glauben, genau das gesehen zu haben, was ich gerade sagte. Und jetzt schickt die Falken los.“
Rrordrak hatte bereits seit langem erkannt, dass Sternfalken und ihre Reiter ein hervorragendes Transportmittel für Nachrichten waren.
Sie waren etwa so groß wie ein mittelgroßer Hund und hatten ein fantastisches Orientierungsvermögen.
Rrordrak hatte sich die Dienste eines ganzen Volkes von Sternfalkenboten gesichert.
Der Mann, der auf dem Teppich vor Rrordraks Thron kniete schob sich rückwärts, bevor er aufstand und den Thronsaal verließ, ohne sich noch einmal umzusehen.
Mit einem leisen Knall verpuffte eine Rauchwolke in der Höhe des Thronsaals und trieb langsam durch den riesigen Raum.
Mit gerefften Segeln glitt das Piratenschiff, die Bucaneer , wie Nat inzwischen erfahren hatte, auf den dichten Nebel zu.
Auf dem Achterdeck peilte Odu zum wiederholten Mal die Sonne an. Hierfür verwandte er ein kompliziert aussehendes Gerät, das aus mehreren geschliffenen Scheiben bestand, die durch verschiedenste Stellrädchen und Halterungen zueinander verschoben werden konnten.
Das Schiff trieb inzwischen langsamer als ein gehender Mensch. Dann hob Odu die Hand und Tally, die neben ihm an Deck stand, rief den wartenden Seeleuten zu:
„ANKER RUNTER! BOOTSCREW ABLASSEN!“
Rasselnd löste sich die Ankerkette und der Anker verschwand in der aufspritzenden See.
An Steuerbord wurde ein Ruderboot abgelassen, in dem vier Mann saßen.
Zwei Ruderer auf der Mittelbank, ein Steuermann am Heck und ein weiterer Mann am Bug, der sich mit einem Tau um den Bauch gesichert hatte. Was diese Sicherung sollte, wurde Nat nach wenigen Augenblicken klar.
Der Mann kniete sich auf die Bank und lehnte sich weit über die Kante des Bootes, bis die Sicherungsleine ihn stoppte.
Jetzt konnte er mit beiden Armen ins Wasser reichen, wo er offensichtlich nach etwas suchte.
Dies war beileibe keine angenehme und ungefährliche Tätigkeit. Die See war kabbelig und immer wieder wurde der Mann von einer Welle getroffen, die ihn in seiner exponierten Stellung hin und her schwanken ließ.
Und einmal war es sogar passiert, dass ein Leviathan aus der Tiefe des Meeres herausgeschossen kam und den Mann aus dem Boot herausgerissen hatte.
Der Rest der Bootsmannschaft hatte Glück gehabt. Der Leviathan hatte bei seinem Angriff die Sicherungsleine durchgebissen, so dass das Boot nicht mit in die Tiefe gerissen wurde.
Nach einigen Momenten richtete sich der Mann auf und sagte etwas nach hinten, was Nat von seiner Position an der Reling der Bucaneer nicht verstehen konnte.
Die Ruderer reichten dem Mann im Bug ein weiteres kurzes Seil, mit einem großen Karabinerhaken.
Der Mann hängte sich erneut über die Kante und befestigte den Haken an etwas unter der Wasseroberfläche.
Dann ruderten die Männer wieder zurück zum Schiff und zogen dabei etwas hinter sich her, was eine schmale Spur durchs Wasser zog.
Am Schiff angekommen, wurde das Tau mit dem Karabiner gelöst und eine Matrosin, die an einem Seil von einer der Enterluken herunter hing, nahm das Seil auf und ließ sich nach oben ziehen. Das Seil wurde außenbords nach vorne geführt und dann zogen vier Männer zusammen einen schweren verrosteten Haken nach oben.
Als er gegen die Bordwand schlug, ergriff Odu den Haken und führte in scheinbar mühelos in eine große metallene Öse ein, die an der Bugspitze des Schiffes angebracht war.
Das Ruderboot hatte inzwischen Kurs auf den Nebel genommen.
Nat sah, dass ein weiteres Tau über die Kante des Bootes hing, an dem das Boot, wie ein Hund an der Leine, entlang geführt wurde.
Die Ruderer legten sich in die Riemen und nach wenigen Augenblicken war das Ruderboot im dichten Nebel verschwunden.
„Was war das? Was geht hier vor?“ Mit gerunzelter Stirn drehte Nat sich zu Alda, die gelangweilt neben ihm an der Reling lehnte und in den Nebel starrte.
„Das wirst Du schon sehen. Lass dich überraschen.“ Sie grinste ihn an und hängte sich bei ihm ein.
„Jetzt wird sich einige Zeit nichts tun. Wie wäre es, wenn wir beiden ein wenig … äääh … Kartoffeln schälen gehen würden. Du darfst mir gerne ein wenig zur Hand gehen.“
Sie blickte Nat mit einem, wie sie wohl meinte, verführerischen Augenaufschlag an.
Bevor Nat ihr antworten konnte, war Odu zu ihnen getreten und fasste Nat am Arm.
„Tut mir leid, Alda, dass ich dir unseren Freund hier vorenthalten muss, aber ich habe noch etwas mit ihm zu besprechen.“
Mit einem verärgerten Grunzen wandte Alda sich um und stieg die Treppe hinunter auf das Hauptdeck.
„Was passiert hier?“ Mit einer ausholenden Bewegung deutet Nat auf den Nebel und das Seil, das schlaff von der Bordwand hing, bis es im Wasser eintauchte.
„Hmmm. Das ist eine lange Geschichte und ich bin noch nicht sicher, ob ich sie dir erzählen kann und will.
Jetzt will ich von dir wissen, ob du kämpfen kannst? Wenn du angeblich die Hoffnung Iskandriens bist, dann solltest du auch kämpfen können. Wie steht es damit?“
Nat überlegte. Natürlich konnte er Odu Lügen erzählen um nicht zu schlecht da zu stehen. Aber Tatsache war, dass er seit seiner Kinderzeit kaum einmal gekämpft hatte. Und wenn, dann hatte es sich auch nur um wilde Schlägereien in billigen Kneipen gehandelt und keinen Kampf auf einem Schlachtfeld oder gar Mann gegen Mann in einem Duell.
„Um es kurz zu machen. Ich weiß, wo bei einem Schwert vorne und hinten sind, das heißt wo man anfassen sollte und wo besser nicht. Aber damit kämpfen kann ich nicht.“ Er zuckte die Schultern. „Und meine Arme und Fäuste sind Recht kräftig, aber auch eher untrainiert.“
„Nun denn.“ Odu schien ungerührt. „Es ist gut, dass du ehrlich bist, dann können wir versuchen, etwas für dich zu tun. Wir liegen hier jetzt einige Zeit vor Anker. Diese Zeit können wir nutzen, damit du mit dem besten Schwertkämpfer üben kannst, den ich je gesehen habe.
Oder vielmehr mit der besten Schwertkämpferin.“
Odu blickte über Nat`s Schulter.
Hinter ihm stand Tally und blickte ihn verächtlich an. Ihre Hand ruhte auf dem Griff ihres Säbels.
Odu ging ein paar Schritte zu einer Kiste, die an Deck stand und holte zwei etwa drei Fuß lange Holzschwerter heraus.
„Hiermit könnt ihr üben, aber euch nicht töten.“ Er warf einen warnenden Blick zu Tally. „Eigentlich nicht.“
Nat schluckte.
Er reichte Nat eines der Schwerter und warf das andere Tally zu. Mit sicherem Griff packte sie den Schwertgriff und ließ die Holzwaffe locker kreisen.
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